Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
D L e Gebrauchsanweisung

„Man löse einen Teil der Masse in Wasser
auf, spachtele gut durch und lasse einige Minuten
stehen. Gebe dann so lange Wasser oder Pulver
hinzu, bis die Masse zähflüssig wird, und spachtele
nochmals durch. Die zusammenzuklebenden
Lederflächen hat man gut gereinigt. Man achte,
daß die Masse gut vom Pinsel tropft, und streicht
nunmehr dieselbemit demselben aufdieselben und
müssen sodann die aneinandergeklebten Leder-
stücke unter Anwendung von Druck trocknen."

Diese aufschlußreiche Erläuterung hatte ich
in mühsamen Lektionen zu meinem geistigen Besitz gemacht, ehe ich
daranging, meine durchgelaufenen Schuhe durch Aufkleben neuer
Lcdersohlen wieder marschfähig zu inachen.

Also, wie stand da?

„Man löse.."

Ich schüttete einen Teil des Pulvers in ein Gefäß mit Wasser.

„Lies mal weiter!" sagte ich zu meiner Frau.

„Spachtele gut durch."

Spachtele gut durch? Ja, was hieß denn überhaupt das?

„Weißt du zufällig, was spachteln ist?" fragte ich die bereits tückisch
lächelnde Genossin meiner Ehe.

„Bein!" bot mir diese zur Antwort.

„Ihr Frauen wißt auch nie etwas."

„Weißt du es denn?"

„Jawohl", sagte ich, denn mir fiel in diesem Augenblick ein, daß
man im Rheinland mit „spachteln" die Tätigkeit des Essens bezeichnet.
Auf den herzustellenden Leim übertragen, bedeutete es, daß die Masse
gut gekaut werden mußte. Gut gekaut ist halb geklebt.

Es mar eigentlich ganz klar. Sondern nicht Vögel, Spinnen und
andere Getiere klebrige Säfte ab, so ihnen zur Herstellung von Bestem
und Betzen dienen? Was Betzen und Bestem recht ist, mußte meinen
Schuhen billig sein. Und die billige Herstellung, das war es ja ge-
rade, worauf es ankam.

Die Gesponsin meines Lebens in solchem Sinne belehrend, nahm
ich einen kräftigen Schluck von der Leimmasse und kaute.

Kaute, bis die Masse in den festen Zustand überzugehen sich an-
schickte und mir die Zähne darin steckenbliebe». Es gelang mir aber
noch, den Klumpen aus dem Munde zu nehmen.

Ich legte ihn auf einen Teller.

Schluck um Schluck nahm ich, kaute und legte die Klumpen auf
den Teller. Es war ein schönes Arrangement. Es sah aus, als hätte
ich Leberknödel fabriziert.

Die Lebensgefährtin feixte.

Ich befahl ihr, auch eine Portion zu kauen. Aber sie lachte mich aus.
Man kann sich eben auf eine Frau nie verlassen.

„Weiter!" befahl ich, als der letzte Knödel dalag.

„Soll ich sie mit Petersilie garnieren ?" fragte
der sogenannte bessere Teil.

„Weiterlesen!" brüllte ich.

„Lasse einige Minuten stehen."

Endlich eine Pause. Ich benutzte die Minuten,
um mir den Schweiß von der Stirn zu wischen.

Wahrhaftig! Aber so eine Sache ist des Schwei-
ßes der Edeln wert.

„Lies weiter!" befahl ich nach genau drei
Minuten.

MeineFrau hat das Gehorchen gclernt.Sie las.

„Gebe dann so lange Wasser oder Pulver hin-
zu, bis die Masse zähflüssig wird."

Ich legte die ziemlich fest gewordenen Knödel
ins Gefäß zurück und goß warmes Wasser
darüber. Die Knödel hopsten wie kleine
Gummibälle hin und her. Zuletzt lösten
sic sich auf. Das war der Moment, neues
Pulver hinzuzutun.

„Wie steht da noch?"

„ . . . bis die Masse zäbflüssig wird."
Heureka! Das war sic jetzt.

„Spachtele nochmals gut durch."

„Du willst mich ärgern. Spachtele selbst!"
„Es steht hier."

Ich entriß den fraulichen Händen die Ge-
brauchsanweisung, um mich zu überzeugen.

Kein Zweifel. Es mußte nochmals gespach-
telt werden.

„Geh!" befahl ich, um bei der nun folgen-
den Prozedur allein zu sein.

Gewohnt zu gehorchen, flüchtete lachend und prustend der weibliche
Teil meines Daseins.

Ich fertigte noch einmal eine Schüssel Knödel an.

„Die zusammenzuklebenden Lederflächen hat man gut gereinigt",
lautete die Vorschrift weiter.

Hat man. Bein, hatte ich natürlich noch nicht. Was das Zeug hielt,
eilte ich in die Küche, um unterm Brunnen mit Sand und Soda der
Reinigung lederner Flächen obzuliegen. Eile war geboten. - - -
Schuhe und Sohlen gereinigt.

In die Stube zurück.

„Man achte, daß die Masse gut vom Pinsel tropft."

Tropfen! — — Knödel tropfen nicht.

Zurück mit den Knödeln ins Gefäß. Boch einmal Wasser darauf.
Ha, das wurde eine Masse! Vom Pinsel tropfend wie Butter.

„ . . . und streicht nunmehr dieselbe mit demselben auf dieselben."
Auf deutsch: die Masse mit dem Pinsel auf die Sohlen.

Der spannende Moment setzte ein.

Mit höher schlagendem Herzen trug ich die bereits wieder fester
werdende Klebmasse auf. — — —

Es war — — unter Schwierigkeiten — gelungen.

„ . . . und müssen sodann die aneinandergeklebten Lcderstückc unter
Anwendung von Druck trocknen."

Das war entschieden das schwerste.

Ich legte ein Brett über die Stiefel und wälzte den Schreibtisch
darauf. Ich belastete den Schreibtisch mit dem Konversationslexikon
und „Brehms Tierleben" und setzte mich selbst als Schlußstein auf
das Gebäude. Sicher ist sicher.

Als ich oben saß, kam meine Frau wieder herein.

„Bring' mir eine Tasse Kaffee! Ich habe Durst bekommen", bat
ich, befahl ich.

Meine Frau, sonst gewohnt zu gehorchen, lachte Mich aus.

„Laß mich nur erst wieder herunter sein!" drohte ich.

Aber auch das half nichts. Ich bekam keinen Kaffee.

Drei Stunden Hab' ich oben gesessen.

Einsam Hab' ich gesessen. Märtyrer einer Idee.
Uber den Unwert der Frauen habe ich nachgedacht.

Uber Industrie und Wissenschaft habe ich nach-
gedacht, die es armen Menschen ermöglichen, selbst
die Reparatur ihrer Schuhe zu besorgen.

Und über manches andere habe ich nachgedacht,
lind dann bin ich heruntergestiegen. Bach
drei Stunden.

lind habe den Schreibtisch und „ Brehms Tier-
lcben" und das Lexikon von den Stiefeln gewälzt,
lind habe nachgesehen, was es geworden ist.

lind siehe da! Die neuen Sohlen haben ge-
klebt. Sie kleben heute noch. Kleben fester als
Granit. Fester als irgend etwas auf der Welt.
Aber — und das ist schade — nicht an den
Stiefeln kleben sic. Bein! Auf dem Fuß-
boden jind sie klebengeblieben. Und da
werden sie klebcnbleiben. Keine Scheuer-
frau der Erde ist imstande, sie wieder zu
entfernen. Herbert Schlidknecht


306
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Die Gebrauchsanweisung"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Flechtner, Otto
Entstehungsdatum
um 1926
Entstehungsdatum (normiert)
1921 - 1931
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 164.1926, Nr. 4221, S. 306

Beziehungen

Erschließung

Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg
 
Annotationen