Die Turmuhr
3n X hatte der Uhr-
machermeister Biederbeck
die Turmuhr zu reparie-
ren. Sechs bis siebenmal
im Jahr stieg er aus den
Kirchturm und feilte, lö-
tete und hämmerte dort
einen Tag lang oder auch
länger. Bis die Uhr, die
wohl schon sehr alt war,
wieder richtig ging.
Einmal, als die Uhr
wieder nicht mehr weiter
wollte, war Biederbeck ge-
rade krank. Er schickte da-
rum seinen Sohn, der bei
ihm das Handwerk lernte.
Der junge Biederbeck
kam nach einigen Stun-
den freudestrahlend zu-
rück. Es war das erstemal
gewesen, daß ihn der Alte
an eine größere Arbeit
herangelassen hatte. Er
ließ ihn nun an sein Kran-
kenlager holen.
„Mein Sohn," fragte
er, „wie hast du nun die
Uhr wieder in Gang ge-
kriegt?" So und so, be-
richtete der Junge.
„Und was ineinst du,
wie lange die Uhr nun lau-
fen wird?" fragte derAlte
weiter.
„Die wird jetzt ihre
drei, vier Jahre gehen."
„Pfuscher!" zischte der
Alte, sich im Bett auf-
richtend und den Spröß-
ling am Ohr ziehend,
„aus dir wird nie etwas.
Hör'zu, Bursche! EineUhr
so zu reparieren, daß sie
wiedergeht, ist keineKunst.
Aber sie so zu reparieren,
daß sie wieder geht und
nach zwei Monaten von
selbst wieder stehenbleibt,
das ist die Kunst."
Als MeisterBiedcrbeck
drei Tage später wieder
gesund war, stieg er auf
den Turm, um die Uhr
noch einmal „nachzusehen".
Bach zwei Monaten
blieb sie prompt wieder
stehen." sdii.
Butschers
Beben uns wohnen
Butschers, und das ist ein
Malheur. Butschers sind
das Ideal - Lineal, mit
dem meine Frau Ver-
gleiche zieht. Butschers!
Wenn ich schon den Ba-
Es klagten über schwere Nöte
Die Blümlein rings im Frühlings-
land
Und meinten, einzig Hilfe böte
Ein wirtschaftlicher Reichsverband.
Was gelten Rosen noch und Flieder,
Stiefmütterchen und Veilchenschar?
Kein Mägdlein trägt sie mehr am
Mieder
Und steckt sie ins geflocht'ne Haar.
Verschollen ist die Burschensitte,
Daß Blumen er zur Liebsten trägt.
Nach anderem steht ihre Bitte:
Nach Zigaretten und Konfekt.
Wo einstens an der Kleiderrüsche
Den roten Blütenschmuck man sah,—
Was sollen dort noch Knospen-
büsche?
Es ist ja gar kein Stoff mehr da.
Karl
Wer mag den Blumenduft noch
haschen
Im Hain zur lauen Sommernacht,
Wo man für Kunstparfüm inFlaschen
Landaus, landein Reklame macht?
Die Tulpen, Primeln, Mohn und
Myrte,
Mimosen, Astern und Resed':
Sie schickten alle Delegierte,
Daß man die tiefe Not berät.
Da schaut das bunte Parlamentchen
Gar frohen Aug's ein kleiner Knab'
Und brach mit seinen Kinderhändchen
Die ganze Tagung einfach ab.
Zu Mütterleins Geburtstagsfeier
Der Bub das schönste Sträußlein
wand:
„Und denk', Mama, sie blühten heuer
Am Feldrain alle beieinand!"
Rabe
men höre, wird mir mords-
übel. Ich höre ihn zwei-
hundertmal tagsüber —
also wird mir zweihundert-
mal mordsübel. Butschers!
Butschers machen das so!
Butschers machen das so!
Butschers hier - Butschers
da. Wenn meine Frau
«Butschers" sagt, macht sie
immer einen ganz süßen
Mund.Zweihundertmal am
Tage. Butschers spielen
Tennis! Butschers haben
einen Affenpinscher! But-
schcrs haben einen Bubi-
kopf! Butschers lassen ihre
Wäsche draußen waschen!
Butschers haben Mensen-
diek im Herzen! Butschers
haben einen großen Vogel!
Also schaffen wir uns eben-
falls Tennis,Affenpinscher,
Bubikopf, Wäsche außer
demHause,Mensendiekund
einen großen Vogel an!
Selbstverständlich! Wenn
Butschers das doch haben!
Butschers! ! !
Samstag nacht um zwei
Uhr dreißig weckt mich
meine Frau aus gesegnetem
Schlummer, um mir eben
mitzuteilen, daß „Sie" —
die Butschersche, jetzt Un-
terricht in Kunstgesang
nähme. Und daß „Er" —
der Butschersche, leiden-
schaftlich gern Tilsiter Käse
äße. In mir steigt wahn-
sinnige Angst vor dem kom-
menden Kunstgesang und
demTilsiterKäseauf.Wenn
doch Butschers — —!
Ein längst erwogener
plan reift endlich. Ich gehe
am Sonntag zu Butschers.
Ich biete Butschers meine
kümmerlichen Ersparnisse
in Höhe von Reichsmark
ekntausendachthundertfünf-
unddreißig, auch sechzig-
pfennigen an, wenn sie mir
dieandereEtagenhälste räu-
men. Butschers schmunzeln
ja. Ich frohlocke. Butschers
bin ich los! Zwei Stunden
später japst meine Frau:,,
Denk' dir Butschers! But-
schers ziehen vor die Stadt.
In ein Landhaus! O wie
stilvoll!" Butschers! But-
schers !! Butschers!!! Him-
melhagelwolkenbruch.Was
soll ich weiter reden? Vier-
zehn Tage hernach wohnen
wir auch in einem Landhaus!
Vor der Stadt! Stilvoll!
Bei Butschers! J. K. H.
4
3n X hatte der Uhr-
machermeister Biederbeck
die Turmuhr zu reparie-
ren. Sechs bis siebenmal
im Jahr stieg er aus den
Kirchturm und feilte, lö-
tete und hämmerte dort
einen Tag lang oder auch
länger. Bis die Uhr, die
wohl schon sehr alt war,
wieder richtig ging.
Einmal, als die Uhr
wieder nicht mehr weiter
wollte, war Biederbeck ge-
rade krank. Er schickte da-
rum seinen Sohn, der bei
ihm das Handwerk lernte.
Der junge Biederbeck
kam nach einigen Stun-
den freudestrahlend zu-
rück. Es war das erstemal
gewesen, daß ihn der Alte
an eine größere Arbeit
herangelassen hatte. Er
ließ ihn nun an sein Kran-
kenlager holen.
„Mein Sohn," fragte
er, „wie hast du nun die
Uhr wieder in Gang ge-
kriegt?" So und so, be-
richtete der Junge.
„Und was ineinst du,
wie lange die Uhr nun lau-
fen wird?" fragte derAlte
weiter.
„Die wird jetzt ihre
drei, vier Jahre gehen."
„Pfuscher!" zischte der
Alte, sich im Bett auf-
richtend und den Spröß-
ling am Ohr ziehend,
„aus dir wird nie etwas.
Hör'zu, Bursche! EineUhr
so zu reparieren, daß sie
wiedergeht, ist keineKunst.
Aber sie so zu reparieren,
daß sie wieder geht und
nach zwei Monaten von
selbst wieder stehenbleibt,
das ist die Kunst."
Als MeisterBiedcrbeck
drei Tage später wieder
gesund war, stieg er auf
den Turm, um die Uhr
noch einmal „nachzusehen".
Bach zwei Monaten
blieb sie prompt wieder
stehen." sdii.
Butschers
Beben uns wohnen
Butschers, und das ist ein
Malheur. Butschers sind
das Ideal - Lineal, mit
dem meine Frau Ver-
gleiche zieht. Butschers!
Wenn ich schon den Ba-
Es klagten über schwere Nöte
Die Blümlein rings im Frühlings-
land
Und meinten, einzig Hilfe böte
Ein wirtschaftlicher Reichsverband.
Was gelten Rosen noch und Flieder,
Stiefmütterchen und Veilchenschar?
Kein Mägdlein trägt sie mehr am
Mieder
Und steckt sie ins geflocht'ne Haar.
Verschollen ist die Burschensitte,
Daß Blumen er zur Liebsten trägt.
Nach anderem steht ihre Bitte:
Nach Zigaretten und Konfekt.
Wo einstens an der Kleiderrüsche
Den roten Blütenschmuck man sah,—
Was sollen dort noch Knospen-
büsche?
Es ist ja gar kein Stoff mehr da.
Karl
Wer mag den Blumenduft noch
haschen
Im Hain zur lauen Sommernacht,
Wo man für Kunstparfüm inFlaschen
Landaus, landein Reklame macht?
Die Tulpen, Primeln, Mohn und
Myrte,
Mimosen, Astern und Resed':
Sie schickten alle Delegierte,
Daß man die tiefe Not berät.
Da schaut das bunte Parlamentchen
Gar frohen Aug's ein kleiner Knab'
Und brach mit seinen Kinderhändchen
Die ganze Tagung einfach ab.
Zu Mütterleins Geburtstagsfeier
Der Bub das schönste Sträußlein
wand:
„Und denk', Mama, sie blühten heuer
Am Feldrain alle beieinand!"
Rabe
men höre, wird mir mords-
übel. Ich höre ihn zwei-
hundertmal tagsüber —
also wird mir zweihundert-
mal mordsübel. Butschers!
Butschers machen das so!
Butschers machen das so!
Butschers hier - Butschers
da. Wenn meine Frau
«Butschers" sagt, macht sie
immer einen ganz süßen
Mund.Zweihundertmal am
Tage. Butschers spielen
Tennis! Butschers haben
einen Affenpinscher! But-
schcrs haben einen Bubi-
kopf! Butschers lassen ihre
Wäsche draußen waschen!
Butschers haben Mensen-
diek im Herzen! Butschers
haben einen großen Vogel!
Also schaffen wir uns eben-
falls Tennis,Affenpinscher,
Bubikopf, Wäsche außer
demHause,Mensendiekund
einen großen Vogel an!
Selbstverständlich! Wenn
Butschers das doch haben!
Butschers! ! !
Samstag nacht um zwei
Uhr dreißig weckt mich
meine Frau aus gesegnetem
Schlummer, um mir eben
mitzuteilen, daß „Sie" —
die Butschersche, jetzt Un-
terricht in Kunstgesang
nähme. Und daß „Er" —
der Butschersche, leiden-
schaftlich gern Tilsiter Käse
äße. In mir steigt wahn-
sinnige Angst vor dem kom-
menden Kunstgesang und
demTilsiterKäseauf.Wenn
doch Butschers — —!
Ein längst erwogener
plan reift endlich. Ich gehe
am Sonntag zu Butschers.
Ich biete Butschers meine
kümmerlichen Ersparnisse
in Höhe von Reichsmark
ekntausendachthundertfünf-
unddreißig, auch sechzig-
pfennigen an, wenn sie mir
dieandereEtagenhälste räu-
men. Butschers schmunzeln
ja. Ich frohlocke. Butschers
bin ich los! Zwei Stunden
später japst meine Frau:,,
Denk' dir Butschers! But-
schers ziehen vor die Stadt.
In ein Landhaus! O wie
stilvoll!" Butschers! But-
schers !! Butschers!!! Him-
melhagelwolkenbruch.Was
soll ich weiter reden? Vier-
zehn Tage hernach wohnen
wir auch in einem Landhaus!
Vor der Stadt! Stilvoll!
Bei Butschers! J. K. H.
4
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Mirakel"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1926
Entstehungsdatum (normiert)
1921 - 1931
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 165.1926, Nr. 4222, S. 4
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg