1b e t nt k e b r / von Ludwig Dok Meter
Uber zwanzig Jahre lang ließ ich mich vom Schicksal durch die
Tropen treiben,- fast über den ganzen Äquator hinweg führte mich
mein Los. Ich war Schmetterlingsfänger für eine Londoner Firma,
mitten in Zentralafrika am Kongo,- auf Suinatra baute ich Kaffee und
in Kolumbia konstruierte und fabrizierte ich Gebirgsgeschütze für die
jeweiligen Aufständischen von Mittel- und Südamerika. Ich kaufte
mir ein kleines Palais in Bogota, der Hauptstadt Kolumbias, und
verkehrte nur in der besten Gesellschaft.
Eines Tages wurde ich von Donna Iuana eingcladen,- ich sollte
ihren neuen Radioapparat anhören. Da sie sehr einflußreich war und
ich es mit ihr nicht verderben wollte, begab ich mich in ihr Haus. Ich
wurde herzlich empfangen und bald saß ich mit angeschnallten Kopf-
hörern in einem bequemen Sessel. Donna Iuana bediente mitAmateur-
eifer ihren Apparat.
Sie strahlte mich an: „Ein deutsches Schiff!"
Und richtig, sie hatte ein Konzert des Dampfers „München" auf-
gefangen.
Uber mich kam eine seltsame Starre. Aus der Melodie des alten
Liedes: „So lang der alte Peter" erwuchsen längst vergessene Bilder.
Unheimlich, fast schmerzhaft klar sah ich die Gassen und Plätze meiner
Vaterstadt. In unbändiger Stärke erwachte in mir das Heimweh.
Ich verabschiedete mich von Donna Iuana, stieg in den nächsten Zug,
saß in dem nächsten Schiffe und fuhr auf dem geradesten Wege nach
München.
Endlich war ich daheim. Selbstverständlich war ich in einem erst-
klassigen Hotel abgestiegen und fühlte mich dort auch sehr wohl und
behaglich. Zuerst hatte ich nämlich befürchtet, mir würde alles fremd
erscheinen,- aber es war alles genau so wie in San Franzisko oder in
Buenos Aires. Der Speisesaal glich dem des Ornnck lUSrel in Kairo.
Allmählich aber überfiel mich neues Heimweh. Hier war ich in Kopen-
hagen oder London. Aber ich war nicht daheim. Ich aß vorzügliche
französische Küche, aber es schmeckte mir nicht. Da fiel mir plötzlich
eine Frucht ein, die ich seit meiner Kindheit nicht mehr gegessen hatte.
Ich besann mich und endlich fiel mir auch der Name ein: ich bestellte
einen „Radi".
Der Oberkellner eilte herbei. Tr sprach mich spanisch an. (Er hatte
wohl meine Koffer gesehen.) Ich sagte: „Bitte, einen Radi." Er eilte
hinweg, gab Befehle. Ein Kellner kam und steckte ein paar Hörer an.
„Bitte sehr: Soeben Radiovortrag des Herrn Professor Stengelmeier
über das Klima Südamerikas."
Ich aber sagte: „Richt Radio, nicht Radium, sondern Radi, Radi,
Radiii!"
Der Kellner verschwand,- ein anderer kam und fragte mich diskret,
was man unter „Radi" verstehe. Ich erklärte ihm, daß das eine
Bodenfrucht sei, die man mit Salz esse. Der Direktor kam. Er be-
dauerte außerordentlich, daß Radifrüchte kn München leider noch nicht
zu haben seien. Er kenne diese sehr gut, denn er sei Hotelfachmann
aus Berlin und dort könne man alle nur erdenklichen tropischen Früchte
haben, aber hier in München ...! Seine Miene sah geradezu mitleid-
erregend aus, als er die Rückständigkeit Münchens streifte. Er tat sich
offenbar selbst leid, daß er in einer solchen Gegend leben mußte. Ich
tröstete ihn mit einem gütigen Blicke und ging.
Auf der Straße fragte ich einen vertrauenerweckenden Herrn:
„Mein Herr, können Sie mir Auskunft geben, wo ich hier Radi
kaufen kann?"
Er antwortete: „Ree, Männeken, dat kann ich Ihnen nun mal nich
sagen, aber lassen Sie die Hände davon, das ist nur eine Speise für
Eingeborne!" Ich ging betrübt weiter. Dann wandte ich mich an einen
Schutzmann: „Bitte, können Sie mir sagen, wo man Radi bekommt?"
Er schaute mich durchdringend an und sagte schroff: „Machen Sie
hier keine dummen Witze."
Ich ging betrübt weiter und kam in die Vorstadt. Da war ein kleiner
Wirtshausgarten, und weil ich durstig war, setzte ich mich an einen der
runden Tische. Die Kellnerin fragte mich mit herzerfrischender Freund-
lichkeit: „A Maß gefällig?" Ich nickte und sie brachte mir den über-
schäumenden Krug. Es schmeckte mir herrlich und wiederum stieg
mir die Sehnsucht nach einem Radi auf. Kleinlaut und bescheiden
fragte ich: „Kann ich vielleicht einen Radi haben?"
„An. Radi woll'n S'? Freili', an Radi können S' haben!" Und
sie brachte mir einen weißen, wunderschönen Riesenrettich. Ich war
hoch erfreut, wußte aber leider nicht mehr, wie man einen solchen be-
handelt. Ich gestand der Kellnerin, daß ich über zwanzig Jahre keinen
Radi mehr gegessen habe. Hilfsbereit schnitt sie ihn, salzte ihn und
erklärte mir, wann der Zeitpunkt gekommen sei, an dem ich ihn essen
dürfe.
Endlich tropfte das Salzwasser aus allen Poren und ich aß und —
war daheim.
Um mich her aber standen die Gäste, brave Borstadtleute. Sie
standen und staunten den Mann an, der über zwanzig Jahre keinen
Radi gegessen hatte.
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Uber zwanzig Jahre lang ließ ich mich vom Schicksal durch die
Tropen treiben,- fast über den ganzen Äquator hinweg führte mich
mein Los. Ich war Schmetterlingsfänger für eine Londoner Firma,
mitten in Zentralafrika am Kongo,- auf Suinatra baute ich Kaffee und
in Kolumbia konstruierte und fabrizierte ich Gebirgsgeschütze für die
jeweiligen Aufständischen von Mittel- und Südamerika. Ich kaufte
mir ein kleines Palais in Bogota, der Hauptstadt Kolumbias, und
verkehrte nur in der besten Gesellschaft.
Eines Tages wurde ich von Donna Iuana eingcladen,- ich sollte
ihren neuen Radioapparat anhören. Da sie sehr einflußreich war und
ich es mit ihr nicht verderben wollte, begab ich mich in ihr Haus. Ich
wurde herzlich empfangen und bald saß ich mit angeschnallten Kopf-
hörern in einem bequemen Sessel. Donna Iuana bediente mitAmateur-
eifer ihren Apparat.
Sie strahlte mich an: „Ein deutsches Schiff!"
Und richtig, sie hatte ein Konzert des Dampfers „München" auf-
gefangen.
Uber mich kam eine seltsame Starre. Aus der Melodie des alten
Liedes: „So lang der alte Peter" erwuchsen längst vergessene Bilder.
Unheimlich, fast schmerzhaft klar sah ich die Gassen und Plätze meiner
Vaterstadt. In unbändiger Stärke erwachte in mir das Heimweh.
Ich verabschiedete mich von Donna Iuana, stieg in den nächsten Zug,
saß in dem nächsten Schiffe und fuhr auf dem geradesten Wege nach
München.
Endlich war ich daheim. Selbstverständlich war ich in einem erst-
klassigen Hotel abgestiegen und fühlte mich dort auch sehr wohl und
behaglich. Zuerst hatte ich nämlich befürchtet, mir würde alles fremd
erscheinen,- aber es war alles genau so wie in San Franzisko oder in
Buenos Aires. Der Speisesaal glich dem des Ornnck lUSrel in Kairo.
Allmählich aber überfiel mich neues Heimweh. Hier war ich in Kopen-
hagen oder London. Aber ich war nicht daheim. Ich aß vorzügliche
französische Küche, aber es schmeckte mir nicht. Da fiel mir plötzlich
eine Frucht ein, die ich seit meiner Kindheit nicht mehr gegessen hatte.
Ich besann mich und endlich fiel mir auch der Name ein: ich bestellte
einen „Radi".
Der Oberkellner eilte herbei. Tr sprach mich spanisch an. (Er hatte
wohl meine Koffer gesehen.) Ich sagte: „Bitte, einen Radi." Er eilte
hinweg, gab Befehle. Ein Kellner kam und steckte ein paar Hörer an.
„Bitte sehr: Soeben Radiovortrag des Herrn Professor Stengelmeier
über das Klima Südamerikas."
Ich aber sagte: „Richt Radio, nicht Radium, sondern Radi, Radi,
Radiii!"
Der Kellner verschwand,- ein anderer kam und fragte mich diskret,
was man unter „Radi" verstehe. Ich erklärte ihm, daß das eine
Bodenfrucht sei, die man mit Salz esse. Der Direktor kam. Er be-
dauerte außerordentlich, daß Radifrüchte kn München leider noch nicht
zu haben seien. Er kenne diese sehr gut, denn er sei Hotelfachmann
aus Berlin und dort könne man alle nur erdenklichen tropischen Früchte
haben, aber hier in München ...! Seine Miene sah geradezu mitleid-
erregend aus, als er die Rückständigkeit Münchens streifte. Er tat sich
offenbar selbst leid, daß er in einer solchen Gegend leben mußte. Ich
tröstete ihn mit einem gütigen Blicke und ging.
Auf der Straße fragte ich einen vertrauenerweckenden Herrn:
„Mein Herr, können Sie mir Auskunft geben, wo ich hier Radi
kaufen kann?"
Er antwortete: „Ree, Männeken, dat kann ich Ihnen nun mal nich
sagen, aber lassen Sie die Hände davon, das ist nur eine Speise für
Eingeborne!" Ich ging betrübt weiter. Dann wandte ich mich an einen
Schutzmann: „Bitte, können Sie mir sagen, wo man Radi bekommt?"
Er schaute mich durchdringend an und sagte schroff: „Machen Sie
hier keine dummen Witze."
Ich ging betrübt weiter und kam in die Vorstadt. Da war ein kleiner
Wirtshausgarten, und weil ich durstig war, setzte ich mich an einen der
runden Tische. Die Kellnerin fragte mich mit herzerfrischender Freund-
lichkeit: „A Maß gefällig?" Ich nickte und sie brachte mir den über-
schäumenden Krug. Es schmeckte mir herrlich und wiederum stieg
mir die Sehnsucht nach einem Radi auf. Kleinlaut und bescheiden
fragte ich: „Kann ich vielleicht einen Radi haben?"
„An. Radi woll'n S'? Freili', an Radi können S' haben!" Und
sie brachte mir einen weißen, wunderschönen Riesenrettich. Ich war
hoch erfreut, wußte aber leider nicht mehr, wie man einen solchen be-
handelt. Ich gestand der Kellnerin, daß ich über zwanzig Jahre keinen
Radi mehr gegessen habe. Hilfsbereit schnitt sie ihn, salzte ihn und
erklärte mir, wann der Zeitpunkt gekommen sei, an dem ich ihn essen
dürfe.
Endlich tropfte das Salzwasser aus allen Poren und ich aß und —
war daheim.
Um mich her aber standen die Gäste, brave Borstadtleute. Sie
standen und staunten den Mann an, der über zwanzig Jahre keinen
Radi gegessen hatte.
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Heimkehr"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1926
Entstehungsdatum (normiert)
1921 - 1931
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 165.1926, Nr. 4222, S. 10
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg