Versteckt, wie der Elfenpalast im Kindermärchen, liegt kn der wind-
geschützten Schneise die Jagdhütte. Uralte Buchen stecken nächtens
raunend die ehrwürdigen Häupter zusammen, ratlos, wie das flirrende
Mondlicht fernzuhalten sei/ die weißen Stämme stehen im Dunkel
wie ernste Wächter.
Denn der Herr des Hauses schläft. Nur in einer Frühsommernacht
draußen im Wald ist solch traumloser erquickender Schlaf möglich.
Ein wenig schnarcht der Herr auch, aber nur, weil sich das der rauschen-
den Symphonie der Waldgeräusche zur Nacht gut anpaßt.
Vor dem Feldbett liegen, selten einmütig, die Hunde. Hexe, das
müde Dackelfrauchen, schläft den besten Hundeschlaf und träumt nur
hin und wieder von der ungeschlachten Bache, die sich die Frischlinge
nicht abnehmen lassen wollte und dummerweise dem Hexlein das ent-
zückende Langohr derart in Unordnung brachte, daß ein Mann im
weißen Kittel es zusammenflicken mußte. Schöner war es davon nicht
geworden und Frau Hexe weiß das sehr genau und stöbnt im Traum.
Jack, der Windhund, ist wach und blinzelt durch die Dunkelheit nach
dem Napf, der blöd und leer aus seinem Winkel herübergähnt. Es
ist bedauerlich, daß auch die Freßnäpfe ausruhen müssen. Jack genießt
Gastrecht wie ein hoher, zur Jagd geladener Herr. Vom Iägerhand-
werk versteht er wirklich nichts und diese Unwissenheit trägt ihm draußen
im Feld manch verächtlichen Blick der Dame Hexe ein, die sich des
eignen Wertes wohl bewußt ist. Ganz wie jede andere Dame, pah,
denkt Jack, du krummbeinige Tante, Dackelgescheitigkeit allein tut's noch
lange nicht.
In meinen tiefen Schlaf schrillt eine Klingel.
Schon Zeit zum Aufbruch? Das leuchtende Zifferblatt der Uhr
zeigt zwei.
Noch ein Schrillen, lang anhaltend. Das reißt mich vollends hoch.
Aber das ist ja nicht der kleine Wecker. O du modernes Jagdhaus!
Das Telephon!
Was gibt es mitten in der Nacht? Rasch den Hörer.
„Hallo!!"
„Ja, guten Abend, ich bin's!"
„Abend" ist sehr gut. „Ich" ist unverkennbar Margot, ihre Stimme
ist klar und ruhig. Schlimme Nachricht kommt da nicht.
„Aber Kind," wage ich zu fragen, „was willst du denn zu dieser
nachtschlafenden Zeit? Wo steckst du?"
Jack stuppst
mir mit der
spitzen Nase
in die Knie-
kehle. Er ist
gar nicht so
dumm und
hört an dem
beschwören-
den Ton der
wohlgesetzten
Rede,mit wem
sein Herrchen
spricht. Ich
glaube sogar,
daßIack über-
sinnliche Ah-
nungen hat.
„Wo ich
bin? Zu Hause
natürlich, mein Lieber! Wo sollte ich denn auch sonst sein, bitte?
Nun höre!"
Ich höre.
„Mein Wagen ist schon bereit. Ich komme sofort zu dir heraus-
gefahren, um mit dir durch das Revier zu gehen, weil ich den Bock
sehen will, von dem du mir gestern erzählt hast. Du wartest,- nicht?!"
Aus, Schluß, die Leitung knackt, eingehängt.
Wieder anrufen und diesen nächtlichen Einfall ihr ausreden wollen,
ist sinnlos,- das würde allenfalls das Gegenteil des Gewollten bewir-
ken. Margot ist konsequent, wie nur eine Frau konsequent sein kann,-
dic plötzlichsten Einfälle führt sie am konsequentesten durch. Sie wird
also in dieser Minute in den kleinen schnellen Opelwagen steigen und
durch die mondhelle Nacht in ziemlichem Tempo hierhersurren. Ich
glaube nicht, daß es auf Erden eine Gewalt gibt, die sie aufhalten
oder zur Umkehr bewegen kann.
Mit den widerstreitendsten Gefühlen sitze ich auf dem Feldbett und
komme mir vor wie einst der alte Fritz bei Leuthen. Ohrfeigen könnt'
ich mich, daß ich Margot von dem Bock erzählt habe, der drunten am
Bach seit Wochen wechselt und der genau weiß, daß heute die Schon-
zeit zu Ende ist. Er wird also vorsichtiger sein als bisher.
Aber seine Vorsicht ist unnötig, denn ich sitze hier tatenlos und warte,
warte, warte. Fast eine Stunde wird der Opel sicher brauchen von
der entfernten Stadt bis zu meiner einsamen Waldklause. Und das
Gelände ist kein Parkett.
Zuckend tropst die Dämmerung in den Wald.
Da rattert es drüben auf der Landstraße und schon biegt ein kleines
grünes Ungeheuer sorglos in die Schneise und schlittert bis vor die
Hütte. Ein aufgeschreckter Häher schimpft ob der Störung grimmig in
den grauen Nebel. Marder rascheln im Laub. Tauben gurren auf.
Der ganze Wald ist wach.
Auf Wiedersehen, lieber Herr Bock, du wirst heut' bei diesem Lärm
aus den frischen Morgentrunk verzichten.
Margot ist da. In sehr elegantem Iagddreß: Loden, Lederzeug,
Hütchen mit Dachsbart, Feldstecher und — Mann, bleibe ernst! -
Jagdmesser mit Hirschhorn und Sklbereinlage. Gut so. Wenn sich zu
Hause auf Margots Torte eine Fliege setzt, sagt Margot: Hu!
Freude heucheln kann ich nicht. Und ich bin wirklich nicht erfreut
ob des überraschenden Besuchs. So ist die Begrüßung gemessen und
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geschützten Schneise die Jagdhütte. Uralte Buchen stecken nächtens
raunend die ehrwürdigen Häupter zusammen, ratlos, wie das flirrende
Mondlicht fernzuhalten sei/ die weißen Stämme stehen im Dunkel
wie ernste Wächter.
Denn der Herr des Hauses schläft. Nur in einer Frühsommernacht
draußen im Wald ist solch traumloser erquickender Schlaf möglich.
Ein wenig schnarcht der Herr auch, aber nur, weil sich das der rauschen-
den Symphonie der Waldgeräusche zur Nacht gut anpaßt.
Vor dem Feldbett liegen, selten einmütig, die Hunde. Hexe, das
müde Dackelfrauchen, schläft den besten Hundeschlaf und träumt nur
hin und wieder von der ungeschlachten Bache, die sich die Frischlinge
nicht abnehmen lassen wollte und dummerweise dem Hexlein das ent-
zückende Langohr derart in Unordnung brachte, daß ein Mann im
weißen Kittel es zusammenflicken mußte. Schöner war es davon nicht
geworden und Frau Hexe weiß das sehr genau und stöbnt im Traum.
Jack, der Windhund, ist wach und blinzelt durch die Dunkelheit nach
dem Napf, der blöd und leer aus seinem Winkel herübergähnt. Es
ist bedauerlich, daß auch die Freßnäpfe ausruhen müssen. Jack genießt
Gastrecht wie ein hoher, zur Jagd geladener Herr. Vom Iägerhand-
werk versteht er wirklich nichts und diese Unwissenheit trägt ihm draußen
im Feld manch verächtlichen Blick der Dame Hexe ein, die sich des
eignen Wertes wohl bewußt ist. Ganz wie jede andere Dame, pah,
denkt Jack, du krummbeinige Tante, Dackelgescheitigkeit allein tut's noch
lange nicht.
In meinen tiefen Schlaf schrillt eine Klingel.
Schon Zeit zum Aufbruch? Das leuchtende Zifferblatt der Uhr
zeigt zwei.
Noch ein Schrillen, lang anhaltend. Das reißt mich vollends hoch.
Aber das ist ja nicht der kleine Wecker. O du modernes Jagdhaus!
Das Telephon!
Was gibt es mitten in der Nacht? Rasch den Hörer.
„Hallo!!"
„Ja, guten Abend, ich bin's!"
„Abend" ist sehr gut. „Ich" ist unverkennbar Margot, ihre Stimme
ist klar und ruhig. Schlimme Nachricht kommt da nicht.
„Aber Kind," wage ich zu fragen, „was willst du denn zu dieser
nachtschlafenden Zeit? Wo steckst du?"
Jack stuppst
mir mit der
spitzen Nase
in die Knie-
kehle. Er ist
gar nicht so
dumm und
hört an dem
beschwören-
den Ton der
wohlgesetzten
Rede,mit wem
sein Herrchen
spricht. Ich
glaube sogar,
daßIack über-
sinnliche Ah-
nungen hat.
„Wo ich
bin? Zu Hause
natürlich, mein Lieber! Wo sollte ich denn auch sonst sein, bitte?
Nun höre!"
Ich höre.
„Mein Wagen ist schon bereit. Ich komme sofort zu dir heraus-
gefahren, um mit dir durch das Revier zu gehen, weil ich den Bock
sehen will, von dem du mir gestern erzählt hast. Du wartest,- nicht?!"
Aus, Schluß, die Leitung knackt, eingehängt.
Wieder anrufen und diesen nächtlichen Einfall ihr ausreden wollen,
ist sinnlos,- das würde allenfalls das Gegenteil des Gewollten bewir-
ken. Margot ist konsequent, wie nur eine Frau konsequent sein kann,-
dic plötzlichsten Einfälle führt sie am konsequentesten durch. Sie wird
also in dieser Minute in den kleinen schnellen Opelwagen steigen und
durch die mondhelle Nacht in ziemlichem Tempo hierhersurren. Ich
glaube nicht, daß es auf Erden eine Gewalt gibt, die sie aufhalten
oder zur Umkehr bewegen kann.
Mit den widerstreitendsten Gefühlen sitze ich auf dem Feldbett und
komme mir vor wie einst der alte Fritz bei Leuthen. Ohrfeigen könnt'
ich mich, daß ich Margot von dem Bock erzählt habe, der drunten am
Bach seit Wochen wechselt und der genau weiß, daß heute die Schon-
zeit zu Ende ist. Er wird also vorsichtiger sein als bisher.
Aber seine Vorsicht ist unnötig, denn ich sitze hier tatenlos und warte,
warte, warte. Fast eine Stunde wird der Opel sicher brauchen von
der entfernten Stadt bis zu meiner einsamen Waldklause. Und das
Gelände ist kein Parkett.
Zuckend tropst die Dämmerung in den Wald.
Da rattert es drüben auf der Landstraße und schon biegt ein kleines
grünes Ungeheuer sorglos in die Schneise und schlittert bis vor die
Hütte. Ein aufgeschreckter Häher schimpft ob der Störung grimmig in
den grauen Nebel. Marder rascheln im Laub. Tauben gurren auf.
Der ganze Wald ist wach.
Auf Wiedersehen, lieber Herr Bock, du wirst heut' bei diesem Lärm
aus den frischen Morgentrunk verzichten.
Margot ist da. In sehr elegantem Iagddreß: Loden, Lederzeug,
Hütchen mit Dachsbart, Feldstecher und — Mann, bleibe ernst! -
Jagdmesser mit Hirschhorn und Sklbereinlage. Gut so. Wenn sich zu
Hause auf Margots Torte eine Fliege setzt, sagt Margot: Hu!
Freude heucheln kann ich nicht. Und ich bin wirklich nicht erfreut
ob des überraschenden Besuchs. So ist die Begrüßung gemessen und
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Margot und der Bock"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1926
Entstehungsdatum (normiert)
1921 - 1931
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 165.1926, Nr. 4225, S. 44
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg