Die Verehrerin
Skizze von Edward Gtilgebauer
Tobias Kopp war ein Original. Mehr als daö! Er war berühmt.
De facto, nicht nur in der Einbildung. Ein weißer Rabe mit einem
Wort. Seine Gedichte hatten sich durchgesetzt. Erschienen sie doch samt
und sonders in den gelesensten Zeitschriften.
Seit der Stabilisierung erhielt er 30 Goldmark für jede« Poem.
Da er nun sehr leicht produzierte und sich nur in den seltensten Fällen
vergriff, war das immerhin in diesen Zeiten eine respektable Ein-
nahme. Denn sein Dutzend Lyrika brachte Tobias Kopp monatlich
an den Mann.
Allein, nicht nur diese wahrhaft erzeptionelle wirtschaftliche Be-
tätigung stempelte Tobias Kopp zu einer außerordentlichen Person-
lichkeit. Nein! In diese Zeit des Radios und der Motoren, der
Pyjamas und der Bubiköpfe paßte er mit dem Habitus eines Bo-
hemiens aus den Tagen Murgers wie die Faust auf das Auge.
Sein äußerer Mensch, in dem die Dichterseele wohnte, hatte etwas
Sokratisches an sich, wenn anders man der attischen Überlieferung
in Bild und Wort Glauben schenken darf. Denn Tobias Kopp war
verboten häßlich und unterstrich diesen körperlichen Mangel gefliffent-
lich. Die breite Stupsnase, die, man kann nicht anders sagen als
deplaziert, mitten in dem immer weingeröteten Gesichte saß, die aus-
druckslosen, kleinen, wafferblauen Augen, deren Kurzsichtigkeit beim
Lesen durch doppelte Zwicker wettgemacht wurde, der an das wohlge-
formte Knie eines jungen Mädchens gemahnende Kahlschädel wandel-
ten das Bild, das man sich vielleicht von diesem Jünger Apolls gemacht
hätte, erbarmungslos zur Karikatur.
Tobias Kopp war sich deffen vollauf bewußt. Und je intensiver das
Feuer in seinen LiebeSkarmina loderte, desto mimosenhafter zog er
sich in Wahrheit in seine vier Wände zurück.
Es war etwas eigenes um diese vier Wände. Sie bestanden in
einer Nische oes Cafe Astoria, wo Tobias Kopp seinen Stammtisch
hatte und wo er die besten seiner Erotika mit Bleistift auf die weiße
Rückseite von Kinoprogrammen und Ausverkaufsreklamen schrieb.
In den literarischen Adreßbüchern stand darum auch zu lesen:
Tobias Kopp, Lyriker. Auf Reisen. Ständige Adreffe: Cafe Astoria.
Der Zählkellner Gustav war auf dem laufenden. Er kannte dir
Gepflogenheiten des Dichters, von dem beim ersten Blick kein Mensch
zu sagen vermochte, ob er sich den Sechzig nähere oder aber, ob er die
Dreißig kaum überschritten hatte. Verriet doch kein Zeichen in Aus-
sehen oder Kleidung sein Alter.
Wenn Kopp das Cafe betrat, und das war jeden Morgen pünkt-
lich fünf Minuten nach zehn Uhr der Fall, dann brachte Gustav
die bewußte Hennesy mit den drei Sternen und legte die Mappen
stoßweise auf den Tisch, in denen dann die Suche nach dem Erschienenen
begann. Aus der obersten dieser Mappen fand dann Tobias Kopp die
Post, die im Laufe des vorhergehenden Tages für ihn angekommen war.
Auch heute wieder.
Er hatte Auge und Griff für die Briefe, als wenn er Direktor
einer großen Aktiengesellschaft einer modernen Industrie und nicht
lyrischer Dichter und Bereiter des Pegasus gewesen wäre.
Das Wesentliche, das heißt Bestellungen von seiten der Redak-
tionen oder Mitteilungen über Honoraranweisung.... wanderte
sogleich in die Tasche seines Havelocks. Alles andere fiel unter den
Tisch, wo es Gustav in der Mittagspause aufzukehren hatte.
Wie kam er nur heute zu dieser Ausnahme?
Tobias Kopp schüttelte das ratzekahle Haupt über sich selbst.
Er hielt einen resedagrünen, stark nach „Quelques Fleurs“ duf-
tenden Brief in seinen Händen, führte ihn mehrere Mal« unter die
Stupsnase und besah ihn dann von allen Seiten, offenbar unschlüssig,
ob er ihn öffnen oder unter den Tisch fallen lasten sollte.
Ganz gegen seine Gepflogenheit entschloß er sich zu dem ersteren
und las:
Verehrter Meister!
Die ergebenst Unterzeichnete ist eine glühende Bewundrerin
Ihrer subtilen Kunst! Auf einer Reise hat sie hier in der Stadt
Station gemacht, beseelt von dem unwiderstehlichen Wunsche,
Ihre persönliche Bekanntschaft machen zu dürfen. Sie bittet
um Ihren Besuch.
Aufrichtig
Verena Delis, Pension Ina, Holbeinstraße 55.
Um den Tierpark. „Ihr Münch'ner kennt nur euer Bier, - aber für fremde Viecher habt ihr kein Intereffe!" -
„Was, ham ma uns net g'rad' a' Stund mit Eahna unterhalt'»?!"
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Skizze von Edward Gtilgebauer
Tobias Kopp war ein Original. Mehr als daö! Er war berühmt.
De facto, nicht nur in der Einbildung. Ein weißer Rabe mit einem
Wort. Seine Gedichte hatten sich durchgesetzt. Erschienen sie doch samt
und sonders in den gelesensten Zeitschriften.
Seit der Stabilisierung erhielt er 30 Goldmark für jede« Poem.
Da er nun sehr leicht produzierte und sich nur in den seltensten Fällen
vergriff, war das immerhin in diesen Zeiten eine respektable Ein-
nahme. Denn sein Dutzend Lyrika brachte Tobias Kopp monatlich
an den Mann.
Allein, nicht nur diese wahrhaft erzeptionelle wirtschaftliche Be-
tätigung stempelte Tobias Kopp zu einer außerordentlichen Person-
lichkeit. Nein! In diese Zeit des Radios und der Motoren, der
Pyjamas und der Bubiköpfe paßte er mit dem Habitus eines Bo-
hemiens aus den Tagen Murgers wie die Faust auf das Auge.
Sein äußerer Mensch, in dem die Dichterseele wohnte, hatte etwas
Sokratisches an sich, wenn anders man der attischen Überlieferung
in Bild und Wort Glauben schenken darf. Denn Tobias Kopp war
verboten häßlich und unterstrich diesen körperlichen Mangel gefliffent-
lich. Die breite Stupsnase, die, man kann nicht anders sagen als
deplaziert, mitten in dem immer weingeröteten Gesichte saß, die aus-
druckslosen, kleinen, wafferblauen Augen, deren Kurzsichtigkeit beim
Lesen durch doppelte Zwicker wettgemacht wurde, der an das wohlge-
formte Knie eines jungen Mädchens gemahnende Kahlschädel wandel-
ten das Bild, das man sich vielleicht von diesem Jünger Apolls gemacht
hätte, erbarmungslos zur Karikatur.
Tobias Kopp war sich deffen vollauf bewußt. Und je intensiver das
Feuer in seinen LiebeSkarmina loderte, desto mimosenhafter zog er
sich in Wahrheit in seine vier Wände zurück.
Es war etwas eigenes um diese vier Wände. Sie bestanden in
einer Nische oes Cafe Astoria, wo Tobias Kopp seinen Stammtisch
hatte und wo er die besten seiner Erotika mit Bleistift auf die weiße
Rückseite von Kinoprogrammen und Ausverkaufsreklamen schrieb.
In den literarischen Adreßbüchern stand darum auch zu lesen:
Tobias Kopp, Lyriker. Auf Reisen. Ständige Adreffe: Cafe Astoria.
Der Zählkellner Gustav war auf dem laufenden. Er kannte dir
Gepflogenheiten des Dichters, von dem beim ersten Blick kein Mensch
zu sagen vermochte, ob er sich den Sechzig nähere oder aber, ob er die
Dreißig kaum überschritten hatte. Verriet doch kein Zeichen in Aus-
sehen oder Kleidung sein Alter.
Wenn Kopp das Cafe betrat, und das war jeden Morgen pünkt-
lich fünf Minuten nach zehn Uhr der Fall, dann brachte Gustav
die bewußte Hennesy mit den drei Sternen und legte die Mappen
stoßweise auf den Tisch, in denen dann die Suche nach dem Erschienenen
begann. Aus der obersten dieser Mappen fand dann Tobias Kopp die
Post, die im Laufe des vorhergehenden Tages für ihn angekommen war.
Auch heute wieder.
Er hatte Auge und Griff für die Briefe, als wenn er Direktor
einer großen Aktiengesellschaft einer modernen Industrie und nicht
lyrischer Dichter und Bereiter des Pegasus gewesen wäre.
Das Wesentliche, das heißt Bestellungen von seiten der Redak-
tionen oder Mitteilungen über Honoraranweisung.... wanderte
sogleich in die Tasche seines Havelocks. Alles andere fiel unter den
Tisch, wo es Gustav in der Mittagspause aufzukehren hatte.
Wie kam er nur heute zu dieser Ausnahme?
Tobias Kopp schüttelte das ratzekahle Haupt über sich selbst.
Er hielt einen resedagrünen, stark nach „Quelques Fleurs“ duf-
tenden Brief in seinen Händen, führte ihn mehrere Mal« unter die
Stupsnase und besah ihn dann von allen Seiten, offenbar unschlüssig,
ob er ihn öffnen oder unter den Tisch fallen lasten sollte.
Ganz gegen seine Gepflogenheit entschloß er sich zu dem ersteren
und las:
Verehrter Meister!
Die ergebenst Unterzeichnete ist eine glühende Bewundrerin
Ihrer subtilen Kunst! Auf einer Reise hat sie hier in der Stadt
Station gemacht, beseelt von dem unwiderstehlichen Wunsche,
Ihre persönliche Bekanntschaft machen zu dürfen. Sie bittet
um Ihren Besuch.
Aufrichtig
Verena Delis, Pension Ina, Holbeinstraße 55.
Um den Tierpark. „Ihr Münch'ner kennt nur euer Bier, - aber für fremde Viecher habt ihr kein Intereffe!" -
„Was, ham ma uns net g'rad' a' Stund mit Eahna unterhalt'»?!"
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Um den Tierpark"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum (normiert)
1926 - 1926
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 165.1926, Nr. 4228, S. 80
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg