ICH MACHE OTTO’N
V o n Ha ns Bachmik
Mein Freund Felir Gansohr ist von Beruf Gespenst. Sein
Geschäftslokal, oder wie eL in den Steuererklärungen heißt: seine
gewerbliche Niedcrlastung befindet sich aus einer romantisch verfallenen
weiland Raubritterburg in der Nähe des idyllischen Wuppertales.
Dort horstet auf einem, mittels vielfach gewundenen Weges mühevoll
zu erklimmenden Felsen ein zackiges Gemäuer mit Turm, Zinnen,
Zugbrücke und elektrischem Fahrstuhl. Die Burg heißt der Eisentrutz
(früher schrieb man „Eusentruz") und gehörte um die Mitternachts-
wende des 13. Jahrhunderts dem fürstlichen Geschleckte der Kaß-
wedel-Himmelpfort-Leuba an, die angeblich direkt von Adam ab-
stammten, und bei denen jede Maid Luitberga und jeder Maidling
Otto hieß. Damit man die vielen Ottos auseinanderhalten konnte,
kriegte jeder einen bezeichnenden Beinamen. Bei den Luitbergas
war das weniger vonnöten, weil sie entweder heirateten und dann
den Namen ihrer ritterlichen Mannen führten, oder ins Kloster
gingen und ein frommes Pseudonym bekamen.
So etwa um 1353 — diese Jahreszahl ist die gotischste aller
Jahreszahlen - soll nun ein Otto (es war Otto der Vernagelte)
einen Nebenbuhler aus einem Hohl-
weg heraus mit einem von der Arm-
brust geschnellten rostigen Nagel er-
schossen haben. Ob diese Geschichte
durchaus der historischen Wahrheit
entspricht, ist heute nicht mebr ganz
genau feftzuftellen. Erstens nämlich
fehlt jede Spur des rostigen Nagels,
und zwotens sollOtto der Vernagelte
eine Hübnerbrust und keine Armbrust
besessen baben,drittens heisst es auch,
der bezeichnet« Nebenbuhler soll sich
am Halse aufgehängt haben, weil er
in dem Minnekampf um das Mäd-
chen, neben dem die Ritter buhlten,
obgesiegt hatte und die Jungfrau
heiraten mußte. Dem sei nun, wie
ibm möge - feststeht, daß Otto der
Vernagelte körperlich nicht mehr
existiert, aber geistig noch so rege ist, daß er in sturmfreien Nächten
als Burggespenst umgeht. Das ist eine Hauptattraktion der Eisen-
trutzburg.
Nun weiß jedes entwindelte Kind, daß es nur ganz wenig Geister
aber gar kerne Gespenster mehr gibt. Es ist eine ausgeftorbene
Branche wie der letzte Mohikaner oder der olle, ehrliche Seemann.
Mein Freund Felix Gansohx, der nach der Instation keine nennens-
werten Talente im Übertölpeln der andern offenbaren konnte, hatte
um «in Geringes die Burg gepachtet und nach monatelangem Kampfe
mit dem zuständigen Wobnungsamte die Erlaubnis erstritten, in dem
Gemäuer eine Kammer nebst Küche, Keller und Kaninchenbox zu
bewohnen. Die übrigen, aus geborstenen Wällen und luftdurch-
lässigen Söllern, Gewölben und Dächern bestehenden romantischen
Silhouetten wurden beschlagnahmt.
Gansohr etablierte sich als Gespenst Ottos des Vernagelten. Er
lancierte mehrere, geschickt redigierte Aussätze in folkloristische Zeit-
schriften, fügte nebulöse Photographien bei und erreichte bald ein
lebhaftes Interesse in der gelehrten und der ungelehrten Welt.
Immer häufiger wallfahrtete man auf die Eisentrutz, und Gansohr
„ging um". Von zwölf bis eins wandelte er, in eine alte Rüstung
geschnallt, aus den Zinnen, von Mondlicht umflossen und wimmerte
bauchgrimmig. Bei schlechtem Wetter fand die Veranstaltung im
Saale statt. Es kostete drei Mark, wenn Gansohr spukte, und da
er bedürfnislos war, und sich regen Zuspruchs erfreute, brachte er
es vorwärts und konnte bereits nach einem Jahr einen elektrischen
Fabrstuhl einbauen lassen, der auf die höchste Zinne führte.
Nun wollte Felir Gansohr heiraten und benötigte hierzu eines Ur-
laubs von mehreren Tagen. Er schickte mir also das Reisegeld vierter
Klaffe und holte mich von der zu Eisentrutz gehörigen Bahnstation ab.
„Willst Du Otto'n machen?" fragte er und weihte mich in seine
Geschäftsgeheimnisse ein.
Nun hatte damals gerade
das Wachsfigurenkabinett, wo
ichIuarez undMarimilian dar-
zustellen hatte, Pleite gemacht,
und ich war brot-und kuchenlos.
Gegen eine tägliche Vergütung
von einer Mark und freier
Station toppte ich ein, und Felir
fuhr zu seiner Braut.
Ich bin unter keinem beson-
ders strahlenden Zodiakallicht
geboren und habe im allgemeinen
auch Pech, wenn ich Glück habe.
Davon ein andermal. Aber Sie
werden mir gleich recht geben.
Es erschien nämlich am glei-
chen Tage nachmittags ein net-
ter, junger Herr mit einem
Regenschirm und einer Hasen-
scharte und fragte, ob ich heute
Otto'n machen könne? Ich sah ihn pipp und paff an.
„Mein Herr", sagte ich sonor, „Otto'n kann man nicht machen.
Otto ist ein Gespenst und gehört als solches der vierten Division
an. Treiben Sie gefälligst nicht mit Entsetzen Spott!"
„Quatschen Sie keine Drehorgeln", verwies mich der hafen-
schartige Herr, „ich weiß Bescheid. Gansohr, der Gauner, fimmelr
hier Spukgeschichten. Mein Freund Sausemann hat mich an Gans-
ohr verwiesen, er hat mal 'ne ähnliche Geschichte erlebt. Die Sache ist
nämlich die, daß es sich um ein Mädchen handelt. Ein sogenanntes
Lorchen. Reizend, sage ich Ihnen. Hat nur 'n romantischen KlapS.
Nun will ich mit ihr heute Mitternacht die Burg besuchen, und Sie
machen Otto'n. Recht gruselig, alter Freund, wenn ich bitten darf!
Ich werde keine Spur von Furcht zeigen, werde Ihnen kühn zu
Leibe rücken, und dann verduften Sie. Das wird auf Lorchen starken
Eindruck machen, sie wird in mir einen Helden sehen, und das
Weitere ist meine Privatsache. Verstanden?"
Ich hatte einige Bedenken, aber der ,unge Held drückte mir seine
Visitenkarte in Form eines Hundertmarkscheines in die Hand, und
meine Bedenken schwanden. Auch
Gespenster wollen leben.
Es war eine Nacht, wie sie sich
Shakespeare für den Beginn des
ersten HamletarHuges nicht wolken-
zerriffener hätte wünschen können.
Düster starrten die Zinnen derEisen-
trutz in den fahlgrünen, huschenden
Mond. Zu allem Glück setzte auch
ei» pfeifender Wind ein, wie ihn
kein Theatermeister naturgetreuer
hätte machen können. Ich stand ge-
rüstet auf dem Wall und fühlte mich
ein bischen unbequem. Der Harnisch
drückte mir auf die Magengrube, und
ich wimmerte schon deshalb. Der Helm mit der eisernen Rolljalousie
vorm Munde lastete auf der Glatze wie ein Alb, und die Hals-
bräune, wie man die metallene Kkavatte in der Ritterzeit nannte,
beeinträchtigte das freie Spiel des Adamsapfels. Doch überwand
ich alle Behinderungen mit ottonischer Heldenhaftigkeit und begann,
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V o n Ha ns Bachmik
Mein Freund Felir Gansohr ist von Beruf Gespenst. Sein
Geschäftslokal, oder wie eL in den Steuererklärungen heißt: seine
gewerbliche Niedcrlastung befindet sich aus einer romantisch verfallenen
weiland Raubritterburg in der Nähe des idyllischen Wuppertales.
Dort horstet auf einem, mittels vielfach gewundenen Weges mühevoll
zu erklimmenden Felsen ein zackiges Gemäuer mit Turm, Zinnen,
Zugbrücke und elektrischem Fahrstuhl. Die Burg heißt der Eisentrutz
(früher schrieb man „Eusentruz") und gehörte um die Mitternachts-
wende des 13. Jahrhunderts dem fürstlichen Geschleckte der Kaß-
wedel-Himmelpfort-Leuba an, die angeblich direkt von Adam ab-
stammten, und bei denen jede Maid Luitberga und jeder Maidling
Otto hieß. Damit man die vielen Ottos auseinanderhalten konnte,
kriegte jeder einen bezeichnenden Beinamen. Bei den Luitbergas
war das weniger vonnöten, weil sie entweder heirateten und dann
den Namen ihrer ritterlichen Mannen führten, oder ins Kloster
gingen und ein frommes Pseudonym bekamen.
So etwa um 1353 — diese Jahreszahl ist die gotischste aller
Jahreszahlen - soll nun ein Otto (es war Otto der Vernagelte)
einen Nebenbuhler aus einem Hohl-
weg heraus mit einem von der Arm-
brust geschnellten rostigen Nagel er-
schossen haben. Ob diese Geschichte
durchaus der historischen Wahrheit
entspricht, ist heute nicht mebr ganz
genau feftzuftellen. Erstens nämlich
fehlt jede Spur des rostigen Nagels,
und zwotens sollOtto der Vernagelte
eine Hübnerbrust und keine Armbrust
besessen baben,drittens heisst es auch,
der bezeichnet« Nebenbuhler soll sich
am Halse aufgehängt haben, weil er
in dem Minnekampf um das Mäd-
chen, neben dem die Ritter buhlten,
obgesiegt hatte und die Jungfrau
heiraten mußte. Dem sei nun, wie
ibm möge - feststeht, daß Otto der
Vernagelte körperlich nicht mehr
existiert, aber geistig noch so rege ist, daß er in sturmfreien Nächten
als Burggespenst umgeht. Das ist eine Hauptattraktion der Eisen-
trutzburg.
Nun weiß jedes entwindelte Kind, daß es nur ganz wenig Geister
aber gar kerne Gespenster mehr gibt. Es ist eine ausgeftorbene
Branche wie der letzte Mohikaner oder der olle, ehrliche Seemann.
Mein Freund Felix Gansohx, der nach der Instation keine nennens-
werten Talente im Übertölpeln der andern offenbaren konnte, hatte
um «in Geringes die Burg gepachtet und nach monatelangem Kampfe
mit dem zuständigen Wobnungsamte die Erlaubnis erstritten, in dem
Gemäuer eine Kammer nebst Küche, Keller und Kaninchenbox zu
bewohnen. Die übrigen, aus geborstenen Wällen und luftdurch-
lässigen Söllern, Gewölben und Dächern bestehenden romantischen
Silhouetten wurden beschlagnahmt.
Gansohr etablierte sich als Gespenst Ottos des Vernagelten. Er
lancierte mehrere, geschickt redigierte Aussätze in folkloristische Zeit-
schriften, fügte nebulöse Photographien bei und erreichte bald ein
lebhaftes Interesse in der gelehrten und der ungelehrten Welt.
Immer häufiger wallfahrtete man auf die Eisentrutz, und Gansohr
„ging um". Von zwölf bis eins wandelte er, in eine alte Rüstung
geschnallt, aus den Zinnen, von Mondlicht umflossen und wimmerte
bauchgrimmig. Bei schlechtem Wetter fand die Veranstaltung im
Saale statt. Es kostete drei Mark, wenn Gansohr spukte, und da
er bedürfnislos war, und sich regen Zuspruchs erfreute, brachte er
es vorwärts und konnte bereits nach einem Jahr einen elektrischen
Fabrstuhl einbauen lassen, der auf die höchste Zinne führte.
Nun wollte Felir Gansohr heiraten und benötigte hierzu eines Ur-
laubs von mehreren Tagen. Er schickte mir also das Reisegeld vierter
Klaffe und holte mich von der zu Eisentrutz gehörigen Bahnstation ab.
„Willst Du Otto'n machen?" fragte er und weihte mich in seine
Geschäftsgeheimnisse ein.
Nun hatte damals gerade
das Wachsfigurenkabinett, wo
ichIuarez undMarimilian dar-
zustellen hatte, Pleite gemacht,
und ich war brot-und kuchenlos.
Gegen eine tägliche Vergütung
von einer Mark und freier
Station toppte ich ein, und Felir
fuhr zu seiner Braut.
Ich bin unter keinem beson-
ders strahlenden Zodiakallicht
geboren und habe im allgemeinen
auch Pech, wenn ich Glück habe.
Davon ein andermal. Aber Sie
werden mir gleich recht geben.
Es erschien nämlich am glei-
chen Tage nachmittags ein net-
ter, junger Herr mit einem
Regenschirm und einer Hasen-
scharte und fragte, ob ich heute
Otto'n machen könne? Ich sah ihn pipp und paff an.
„Mein Herr", sagte ich sonor, „Otto'n kann man nicht machen.
Otto ist ein Gespenst und gehört als solches der vierten Division
an. Treiben Sie gefälligst nicht mit Entsetzen Spott!"
„Quatschen Sie keine Drehorgeln", verwies mich der hafen-
schartige Herr, „ich weiß Bescheid. Gansohr, der Gauner, fimmelr
hier Spukgeschichten. Mein Freund Sausemann hat mich an Gans-
ohr verwiesen, er hat mal 'ne ähnliche Geschichte erlebt. Die Sache ist
nämlich die, daß es sich um ein Mädchen handelt. Ein sogenanntes
Lorchen. Reizend, sage ich Ihnen. Hat nur 'n romantischen KlapS.
Nun will ich mit ihr heute Mitternacht die Burg besuchen, und Sie
machen Otto'n. Recht gruselig, alter Freund, wenn ich bitten darf!
Ich werde keine Spur von Furcht zeigen, werde Ihnen kühn zu
Leibe rücken, und dann verduften Sie. Das wird auf Lorchen starken
Eindruck machen, sie wird in mir einen Helden sehen, und das
Weitere ist meine Privatsache. Verstanden?"
Ich hatte einige Bedenken, aber der ,unge Held drückte mir seine
Visitenkarte in Form eines Hundertmarkscheines in die Hand, und
meine Bedenken schwanden. Auch
Gespenster wollen leben.
Es war eine Nacht, wie sie sich
Shakespeare für den Beginn des
ersten HamletarHuges nicht wolken-
zerriffener hätte wünschen können.
Düster starrten die Zinnen derEisen-
trutz in den fahlgrünen, huschenden
Mond. Zu allem Glück setzte auch
ei» pfeifender Wind ein, wie ihn
kein Theatermeister naturgetreuer
hätte machen können. Ich stand ge-
rüstet auf dem Wall und fühlte mich
ein bischen unbequem. Der Harnisch
drückte mir auf die Magengrube, und
ich wimmerte schon deshalb. Der Helm mit der eisernen Rolljalousie
vorm Munde lastete auf der Glatze wie ein Alb, und die Hals-
bräune, wie man die metallene Kkavatte in der Ritterzeit nannte,
beeinträchtigte das freie Spiel des Adamsapfels. Doch überwand
ich alle Behinderungen mit ottonischer Heldenhaftigkeit und begann,
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Ich mache Otto'n"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1926
Entstehungsdatum (normiert)
1921 - 1931
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 165.1926, Nr. 4232, S. 127
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg