zu „wandeln," als die Radiumuhr, die ich in der Hand verborgen
hielt, die zwölfte Stunde zeigte.
Ich wandelt/ rund um den Wall, stieg ein bißchen auf den Söller,
von da auf den krenelierten Turm und heulte dazu wie ein Wolf,
der sich „Gute Nacht" sagt. Auf dem Platz im Burghofe, wo sonst
die Ganöohrschen Kaninchen weideten, stand das Liebespaar. Der
junge Mann trug eine Sportmütze und eine Windjacke, und die
junge Dame, die stark nach Parmesanveilchen duftete, lehnte sich an
seine Brust und seufzte, sie habe schreckliche Angst. Worauf ich noch
fürchterlicher heulte. Ich habe für mindestens 150 Mark geheult
und beschloß, eine Zulage von dem Helden mit der Hasenscharte zu
heischen.
Nachdem ich über die Burg gekrarelt war wie eine waidwunde
Gemse, lehnte ich mich pittoresk an die Mauer, umrahmt vom opa-
lenen Scheine des Mondes und verschnaufte. Außerdem mußte ich
nießen. Innerhalb der Rolljalousie gab es einen gräßlichen Ton,
gleichsam, als berste die Hölle, und ich stieß mir die Glatze blau. Auf
die Dame aber machte das an sich harmlose Geräusch den erwünschten
Eindruck. Sie sank mit einem Aufschrei in die Arme ihres Ritters
und schrie: „Schütze mich, Alfred, schütze mich - das Gespenst klappert
mit den Rippen!" Und Alfred drückte sie fest an sich und einen Kuß
auf die bebenden Lippen.
Im nächsten Angenblick bekam er von einer hinter ihm auftau-
chenden Gestalt eine furchtbare Backpflaume und taumelte seitwärts.
Die Dame schrie das schreckliche Wort „Vater!" und wollte in Ohn-
macht fallen, aber die neue Gestalt erwischte sie am Bubikopf und
Pia cle
Von Wilhel,
beutelte sie furchtbar hin und her, wobei er schrie: „Entartete Tochter!
Hier treibst du dich mit deinem Galan herum!" Und die Tochter
winselte tränenerstickt, sie treibe sich in allen Ehren herum und habe
nur das Gespenst sehen wollen. Dort oben stehe es noch!
„Gespenst!" schrie der rasende Vater und knockte Alfred out, der
sich eben aufraffen wollte. „Ich werde dir zeigen, was es mit diesem
Schwindel auf sich hat!" Und er zückte einen Browning auf mich.
Die Situation wäre auch für ein richtiges Gespenst mißlich ge-
wesen, und ich möchte schwören, daß sogar Otto der Vernagelte die
Panik ergriffen und mit vollem Hosenpanier entfleucht wäre. Ich
machte also Kehrt und sprang in den Wallgraben, wo Gansohr zwei
Schweine mästet. Dabei riß der Harnischriemen, und ich sauste, halb
Rittergespenst, halb Pullover davon, bis ich schweißüberströmt im
Wirtshause des Dörfchens landete, über dem einst Otto der Ver-
nagelte das Szepter geschwungen hatte. Gottseidank war ich von
keiner der hinter mir hersausenden Kugeln getroffen worden.
Nun, die Sache hatte unangenehme Folgen. Ich wurde wegen
groben Unfugs zu hundert Mark verurteilt, das Wohnungsamt be-
schlagnahmte die ganze Burg, und als Gansohr von der Hochzeits-
reise zurückkehrte, fand er sein ehemals blühendes Unternehmen ver-
wüstet und eine muntere Schar von 30 Kindern, die bereits sämtliche
Kaninchen erschlagen und aus dem Harnisch des vernagelten Otto
eine Wellenbadschaukel gemacht hatte. Er prozessiert mit mir wegen
Schadenersatz, und das einzig Positive, was ich in meiner kurzen
Laufbahn als Gespenst geleistet haben werde, dürfte der Offenbarungs-
eid sein.
Und da wagt man es, von einem okkultistischen Zeitalter zu reden!
Schnutti
n Lichtenberg
Man kennt sie aus Zeitungsspalten, wo sie mit einer Regel-
mäßigkeit erscheint, welche die vier Jahreszeiten — die doch immer-
hin einen gewiffen Rückhalt am gregorischen Kalender haben - be-
schämen könnte, Ab und zu erscheint sie auch auf der Flimmerleinwand.
Aber seltener. Wichtig — und entscheidend — bleiben für ihr Leben
die Zeitungsnotizen: Pia de Schnutti hat . . . Pia de Schnutti
wurde . . . Pia de Schnutti plant . . . Aber man kennt das.
Man kennt das so sehr, daß ich seit Jahren nicht mehr über das
erste Wort „Pia" hinausgelesen habe. Zur Stärkung lese ich dann
einen Artikel „Die Rückwirkungen der jüngsten Muffolinirede auf
die Getreidespekulation an der Chicagoer Produktenbörse." Aber um
Himmelswillen nichts mehr von Pia de Schnutti! !!
Aber in dem kleinen, weltabgewandten Badeorte traf ich sie höchst-
persönlich!! — Sie! Pia. Wie kommt die Göttliche, von der alle
Zeitungen der Welt Notiz und Notizen nehmen, hierher? In
solchen Augenblicken pflege ich stets auszurufen: „Traue ich meinen
Augen! ..." Oder: „Sehe ich recht? ..." Man hat das so aus
seiner literarischen Beschäftigung.
Pia befand sich aber schon an meiner Seite. Sie schätzt mich noch
aus der Zeit, da sie mir schöne, lichte Zigarren verkaufte. Und flötete:
„Denken Sie nur, wie man sich trifft!"
Ich erwiderte tiefsinnig: „Ja - das Leben ist seltsam. . . "
Dieser Satz hängt natürlich auch mit meiner literarischen Betätig-
ung zusammen!!
Sie spielte ausdrucksvoll mit ihrer Perlenkette, die ohne Zweifel
das Echteste an ihr war und schlug die Augen wie zum Objektiv auf:
„Seltsam — ja!! . . . Das ist das richtige Wort. Wie seltsam,
wenn ich denke, daß ich noch bis vor drei Tagen verheiratet war und
nun..."
„O, Sie sind nicht mehr verheiratet?"
„Ja, haben Sie denn das nicht in den Blättern gelesen? Es war
doch eine große Affäre!! Ein Schlager."
I 28
hielt, die zwölfte Stunde zeigte.
Ich wandelt/ rund um den Wall, stieg ein bißchen auf den Söller,
von da auf den krenelierten Turm und heulte dazu wie ein Wolf,
der sich „Gute Nacht" sagt. Auf dem Platz im Burghofe, wo sonst
die Ganöohrschen Kaninchen weideten, stand das Liebespaar. Der
junge Mann trug eine Sportmütze und eine Windjacke, und die
junge Dame, die stark nach Parmesanveilchen duftete, lehnte sich an
seine Brust und seufzte, sie habe schreckliche Angst. Worauf ich noch
fürchterlicher heulte. Ich habe für mindestens 150 Mark geheult
und beschloß, eine Zulage von dem Helden mit der Hasenscharte zu
heischen.
Nachdem ich über die Burg gekrarelt war wie eine waidwunde
Gemse, lehnte ich mich pittoresk an die Mauer, umrahmt vom opa-
lenen Scheine des Mondes und verschnaufte. Außerdem mußte ich
nießen. Innerhalb der Rolljalousie gab es einen gräßlichen Ton,
gleichsam, als berste die Hölle, und ich stieß mir die Glatze blau. Auf
die Dame aber machte das an sich harmlose Geräusch den erwünschten
Eindruck. Sie sank mit einem Aufschrei in die Arme ihres Ritters
und schrie: „Schütze mich, Alfred, schütze mich - das Gespenst klappert
mit den Rippen!" Und Alfred drückte sie fest an sich und einen Kuß
auf die bebenden Lippen.
Im nächsten Angenblick bekam er von einer hinter ihm auftau-
chenden Gestalt eine furchtbare Backpflaume und taumelte seitwärts.
Die Dame schrie das schreckliche Wort „Vater!" und wollte in Ohn-
macht fallen, aber die neue Gestalt erwischte sie am Bubikopf und
Pia cle
Von Wilhel,
beutelte sie furchtbar hin und her, wobei er schrie: „Entartete Tochter!
Hier treibst du dich mit deinem Galan herum!" Und die Tochter
winselte tränenerstickt, sie treibe sich in allen Ehren herum und habe
nur das Gespenst sehen wollen. Dort oben stehe es noch!
„Gespenst!" schrie der rasende Vater und knockte Alfred out, der
sich eben aufraffen wollte. „Ich werde dir zeigen, was es mit diesem
Schwindel auf sich hat!" Und er zückte einen Browning auf mich.
Die Situation wäre auch für ein richtiges Gespenst mißlich ge-
wesen, und ich möchte schwören, daß sogar Otto der Vernagelte die
Panik ergriffen und mit vollem Hosenpanier entfleucht wäre. Ich
machte also Kehrt und sprang in den Wallgraben, wo Gansohr zwei
Schweine mästet. Dabei riß der Harnischriemen, und ich sauste, halb
Rittergespenst, halb Pullover davon, bis ich schweißüberströmt im
Wirtshause des Dörfchens landete, über dem einst Otto der Ver-
nagelte das Szepter geschwungen hatte. Gottseidank war ich von
keiner der hinter mir hersausenden Kugeln getroffen worden.
Nun, die Sache hatte unangenehme Folgen. Ich wurde wegen
groben Unfugs zu hundert Mark verurteilt, das Wohnungsamt be-
schlagnahmte die ganze Burg, und als Gansohr von der Hochzeits-
reise zurückkehrte, fand er sein ehemals blühendes Unternehmen ver-
wüstet und eine muntere Schar von 30 Kindern, die bereits sämtliche
Kaninchen erschlagen und aus dem Harnisch des vernagelten Otto
eine Wellenbadschaukel gemacht hatte. Er prozessiert mit mir wegen
Schadenersatz, und das einzig Positive, was ich in meiner kurzen
Laufbahn als Gespenst geleistet haben werde, dürfte der Offenbarungs-
eid sein.
Und da wagt man es, von einem okkultistischen Zeitalter zu reden!
Schnutti
n Lichtenberg
Man kennt sie aus Zeitungsspalten, wo sie mit einer Regel-
mäßigkeit erscheint, welche die vier Jahreszeiten — die doch immer-
hin einen gewiffen Rückhalt am gregorischen Kalender haben - be-
schämen könnte, Ab und zu erscheint sie auch auf der Flimmerleinwand.
Aber seltener. Wichtig — und entscheidend — bleiben für ihr Leben
die Zeitungsnotizen: Pia de Schnutti hat . . . Pia de Schnutti
wurde . . . Pia de Schnutti plant . . . Aber man kennt das.
Man kennt das so sehr, daß ich seit Jahren nicht mehr über das
erste Wort „Pia" hinausgelesen habe. Zur Stärkung lese ich dann
einen Artikel „Die Rückwirkungen der jüngsten Muffolinirede auf
die Getreidespekulation an der Chicagoer Produktenbörse." Aber um
Himmelswillen nichts mehr von Pia de Schnutti! !!
Aber in dem kleinen, weltabgewandten Badeorte traf ich sie höchst-
persönlich!! — Sie! Pia. Wie kommt die Göttliche, von der alle
Zeitungen der Welt Notiz und Notizen nehmen, hierher? In
solchen Augenblicken pflege ich stets auszurufen: „Traue ich meinen
Augen! ..." Oder: „Sehe ich recht? ..." Man hat das so aus
seiner literarischen Beschäftigung.
Pia befand sich aber schon an meiner Seite. Sie schätzt mich noch
aus der Zeit, da sie mir schöne, lichte Zigarren verkaufte. Und flötete:
„Denken Sie nur, wie man sich trifft!"
Ich erwiderte tiefsinnig: „Ja - das Leben ist seltsam. . . "
Dieser Satz hängt natürlich auch mit meiner literarischen Betätig-
ung zusammen!!
Sie spielte ausdrucksvoll mit ihrer Perlenkette, die ohne Zweifel
das Echteste an ihr war und schlug die Augen wie zum Objektiv auf:
„Seltsam — ja!! . . . Das ist das richtige Wort. Wie seltsam,
wenn ich denke, daß ich noch bis vor drei Tagen verheiratet war und
nun..."
„O, Sie sind nicht mehr verheiratet?"
„Ja, haben Sie denn das nicht in den Blättern gelesen? Es war
doch eine große Affäre!! Ein Schlager."
I 28
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Ich mache Otto'n"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1926
Entstehungsdatum (normiert)
1921 - 1931
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 165.1926, Nr. 4232, S. 128
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg