Wenn man junge Hunde verschenkt
Es ist ein rechtes Elend: Ohne Hund kann man nicht auskommen,
sonst werden einem die Obstbäume geplündert, und mit Hund wird des
Segens wieder zuviel, denn jedes Jahr bringt Bella 8— IO Junge an,
die man nicht bestellt hat und nur mit viel Mühe wieder los wird. Und
so band mir meine Frau beizeiten auf die
Seele: „Halt' bloß den Zaun dicht, daß
kein fremder Hund herein kommt!"
Ich tat das Meine; aber leider reichte
das nicht aus, wie sich bald herausstellte.
Nun hieß es beizeiten für den Absatz sor-
gen. Ich lief zu allen Bekannten, zum
Milchhändler, Bäcker und Kaufmann und
unter Hinweis auf die vorjährigen hübschen
Sprößlinge Bellas gelang es mir endlich,
auf das zu erwartende Minimum von 8
Diesjährigen ausreichende Subskriptionen
zu erhallen. Wir konnten also diesmal dem
großen Tag mit vollkommener Ruhe ent-
gegen sehen.
Eines Morgens erklang aus Bellas
Hütte ein Sopran im höchsten Diskant,
der uns von der Tatsache des Zuwachses
hinreichend überzeugte. Aber wer beschreibt unsere Verblüffung, als wir
statt des erwarteten Dreiviertelduyend nur ein einziges Hundebaby
vorfanden. Und dabei blieb 's.
„Ei, das ist fatal. Fröhbrodts und Meyers und Lemmermanns warten
direkt auf den versprochenen Hund und bei Mollwitzens darf ich mich
auch nicht mehr sehen lasten, wenn ich nicht Wort halte."
„Na, der Milchmann fragt auch schon alle Tage, und die Kinder von
Buchholtzens freuen sich schon lange aus das Hündchen."
„Es ist rein wie verhext. Sonst nicht los zu werden, und dies Jahr
will jeder einen haben!"
„Nun geh' aber," befahl meine Frau, „und sieh zu, wo du junge
Hunde auftreibst, denn blamieren können wir uns nicht!"
„Ich soll Hunde schnorren gehen?"
„Nenne es wie du willst, aber schaffe mir die Hunde zur Stelle!"
Ich ging — — Um es kurz zu machen: Ich kehrte wirklich mit zwei
jungen Hundesöhnen zum Mittag heim.
„Puh!" sagte ich, „Hunde gibt 's genug; das Schicksal hat auch
andere heimgesucht. Aber zum Teil sind sie schon zu alt, zum Teil über-
haupt noch nicht da."
„Eö fehlen also noch sechs!"
„Ich werde am Nachmittag auf die Nachbardörfer gehn. Aber vorerst
bin ich hundemüde!"
„Da steht dein Frühstück," sagte meine Frau kühl, „vielleicht wird
dir danach bester! Und dann geh' nur gleich!" — —
Erst am dritten Tag hatte ich meine Vollzahl Hündlein beisammen.
War ich zuerst noch etwas wählerisch gewesen und hatte auf Elternschaft
und körperliche Vorzüge Wert gelegt, so merkt« ich bald, daß ich dabei
nicht zum Ziele kommen würde und richtete mich also nach dem Grund-
satz: „Hund ist Hund," — und nahm, was ich kriegen konnte.
Es hat mich um einige merkwürdige Erfahrungen bereichert.
Zunächst bekamen alle Besteller ihr Hündchen. Minna trug es jedem
eigenhändig in's Haus, und da ich ihr Schweigen mit einem Extra-
taler honorierte, so war zunächst meine Ehre nach jeder Richtung hin
gerettet. Ach, gäb' es doch eine Versicherung gegen moralische Unglücks-
fälle oder wenigstens gegen Leichtsinn, — was wäre mir alles erspart
geblieben! Aber so -. Es gibt eben doch ein unerbittlich ausgleichendes
Schicksal, unerbittlich gegen alle kleinen Lügen. Von großen rede ich nicht.
Also schon vierzehn Tage später begannen die mit Hunden Be-
schenkten leise ihre Verwunderung zu äußern, daß die Sprößlinge so
wenig Ähnlichkeit mit Bella, der Schäfer-
Hündin entwickelten.
Zum Glück traten wir bald unzere Som-
merreise an.
Als wir nach sechs Wochen zurückkehrten,
begrüßte uns über der Tür nicht nur ein
rotgrünes „Herzlich Willkommen" seitens
Minnas, sondern es wurde uns auch noch
eins in anderer Art zu Teil.
Am Nachmittage erhob sich vor unserer
Gartentür ein Geräusch, das ich bühnen-
technisch als „Volksgemurmel" bezeichnen
will, obzwar die üblichen Rufe wie: „Rache!
— An die Laterne mit ihm!" noch nicht
zu vernehmen waren. Dagegen kläffte es
bald auf so mannigfache Weise, wie man
es nur im Tierasyl gewohnt ist und es
blieb mir also nichts weiter übrig, als
mich in persona nach vorne zu begeben.
Da sah ich an der Leine ihrer Herren acht Hunde in so vielerlei
Ausmaßen und Formen, daß man auf die doppelte, drei und vierfache
Zahl von Raffen zu schließen genötigt war: Ein Terrier, eine Halb-
Dogge, ein Dreiviertel-Mopö, ein struppiger Pintscher, ein Wesen
zwischen Dackel und Windhund, und hier ein vielversprechender Zieh-
hund. Oh, es war sehr unterhaltsam!
Nachdem sich meine Ueberraschung einigermaßen gelegt, zitierte der
Wortführer meiner Gäste: „Erkläret uns, Graf Oerindur, diesen acht-
fachen Zwiespalt der Natur!"
„Meine Herren," sagte ich ernst, „ich bin ein gutmütiger Mensch,
ein - unglaublich - gutmütiger Mensch; bloß mit Zitaten dürfen
Sie mir nicht kommen. Da gehe ich hoch, da werde ich direkt — —.
Übrigens: Kann ich etwas für die Jrrtümer der Natur? Bin ich ver-
antwortlich für die sieben Weltwunder? Hat nicht Goethe schon gesagt,
es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, von denen euere Schulweis-
heit sich nichts träumen läßt? — Nun bitte, da haben Sie so einen
Goethe-Fall vor sich!!
Eine Berufung auf Goethe ist in jeder Situation zu empfehlen;
sie war auch hier nicht ohne Wirkung, und meine bebende Entrüstung
tat das übrige. Immerhin hätte sich die Hundeschau vielleicht in die
Länge gezogen, wenn nicht urplötzlich Bella, die meiner Frau entwischt
war, auf den Plan getreten wäre. Ein wütendes Gejaule, nach links
und rechts ein paar Biffe, laute Schreie, angstvolles Gekläff, und —
die Straße war leer.
Mit Mühe pfiff ich Bella zurück, schloß das Gartentor und konnte
doch ein Lächeln nicht unterdrücken. Aufgeregt kam meine Frau heraus-
gestürzt. „Bella ist mir ausgerückt."
„Ja," sagte ich, „weil sie die beste Lösung von uns allen wußte."
Am nächsten Tage stand im Kreisblatt ein Artikel unter der Über-
schrift: „Das achte Weltwunder," worin von einem Hund erzählt
wurde, der zwischen Himmel und Erde zur Welt gekommen sei und nun
ebensolche Nachkommen liefere, deren Verteilung «in Goethe II über-
nommen hätte. Ich verzichtete auf eine Fortsetzung des Themas und
ließ mir an der Auszeichnung genügen. W.Mu»,r.G°rd-n
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Es ist ein rechtes Elend: Ohne Hund kann man nicht auskommen,
sonst werden einem die Obstbäume geplündert, und mit Hund wird des
Segens wieder zuviel, denn jedes Jahr bringt Bella 8— IO Junge an,
die man nicht bestellt hat und nur mit viel Mühe wieder los wird. Und
so band mir meine Frau beizeiten auf die
Seele: „Halt' bloß den Zaun dicht, daß
kein fremder Hund herein kommt!"
Ich tat das Meine; aber leider reichte
das nicht aus, wie sich bald herausstellte.
Nun hieß es beizeiten für den Absatz sor-
gen. Ich lief zu allen Bekannten, zum
Milchhändler, Bäcker und Kaufmann und
unter Hinweis auf die vorjährigen hübschen
Sprößlinge Bellas gelang es mir endlich,
auf das zu erwartende Minimum von 8
Diesjährigen ausreichende Subskriptionen
zu erhallen. Wir konnten also diesmal dem
großen Tag mit vollkommener Ruhe ent-
gegen sehen.
Eines Morgens erklang aus Bellas
Hütte ein Sopran im höchsten Diskant,
der uns von der Tatsache des Zuwachses
hinreichend überzeugte. Aber wer beschreibt unsere Verblüffung, als wir
statt des erwarteten Dreiviertelduyend nur ein einziges Hundebaby
vorfanden. Und dabei blieb 's.
„Ei, das ist fatal. Fröhbrodts und Meyers und Lemmermanns warten
direkt auf den versprochenen Hund und bei Mollwitzens darf ich mich
auch nicht mehr sehen lasten, wenn ich nicht Wort halte."
„Na, der Milchmann fragt auch schon alle Tage, und die Kinder von
Buchholtzens freuen sich schon lange aus das Hündchen."
„Es ist rein wie verhext. Sonst nicht los zu werden, und dies Jahr
will jeder einen haben!"
„Nun geh' aber," befahl meine Frau, „und sieh zu, wo du junge
Hunde auftreibst, denn blamieren können wir uns nicht!"
„Ich soll Hunde schnorren gehen?"
„Nenne es wie du willst, aber schaffe mir die Hunde zur Stelle!"
Ich ging — — Um es kurz zu machen: Ich kehrte wirklich mit zwei
jungen Hundesöhnen zum Mittag heim.
„Puh!" sagte ich, „Hunde gibt 's genug; das Schicksal hat auch
andere heimgesucht. Aber zum Teil sind sie schon zu alt, zum Teil über-
haupt noch nicht da."
„Eö fehlen also noch sechs!"
„Ich werde am Nachmittag auf die Nachbardörfer gehn. Aber vorerst
bin ich hundemüde!"
„Da steht dein Frühstück," sagte meine Frau kühl, „vielleicht wird
dir danach bester! Und dann geh' nur gleich!" — —
Erst am dritten Tag hatte ich meine Vollzahl Hündlein beisammen.
War ich zuerst noch etwas wählerisch gewesen und hatte auf Elternschaft
und körperliche Vorzüge Wert gelegt, so merkt« ich bald, daß ich dabei
nicht zum Ziele kommen würde und richtete mich also nach dem Grund-
satz: „Hund ist Hund," — und nahm, was ich kriegen konnte.
Es hat mich um einige merkwürdige Erfahrungen bereichert.
Zunächst bekamen alle Besteller ihr Hündchen. Minna trug es jedem
eigenhändig in's Haus, und da ich ihr Schweigen mit einem Extra-
taler honorierte, so war zunächst meine Ehre nach jeder Richtung hin
gerettet. Ach, gäb' es doch eine Versicherung gegen moralische Unglücks-
fälle oder wenigstens gegen Leichtsinn, — was wäre mir alles erspart
geblieben! Aber so -. Es gibt eben doch ein unerbittlich ausgleichendes
Schicksal, unerbittlich gegen alle kleinen Lügen. Von großen rede ich nicht.
Also schon vierzehn Tage später begannen die mit Hunden Be-
schenkten leise ihre Verwunderung zu äußern, daß die Sprößlinge so
wenig Ähnlichkeit mit Bella, der Schäfer-
Hündin entwickelten.
Zum Glück traten wir bald unzere Som-
merreise an.
Als wir nach sechs Wochen zurückkehrten,
begrüßte uns über der Tür nicht nur ein
rotgrünes „Herzlich Willkommen" seitens
Minnas, sondern es wurde uns auch noch
eins in anderer Art zu Teil.
Am Nachmittage erhob sich vor unserer
Gartentür ein Geräusch, das ich bühnen-
technisch als „Volksgemurmel" bezeichnen
will, obzwar die üblichen Rufe wie: „Rache!
— An die Laterne mit ihm!" noch nicht
zu vernehmen waren. Dagegen kläffte es
bald auf so mannigfache Weise, wie man
es nur im Tierasyl gewohnt ist und es
blieb mir also nichts weiter übrig, als
mich in persona nach vorne zu begeben.
Da sah ich an der Leine ihrer Herren acht Hunde in so vielerlei
Ausmaßen und Formen, daß man auf die doppelte, drei und vierfache
Zahl von Raffen zu schließen genötigt war: Ein Terrier, eine Halb-
Dogge, ein Dreiviertel-Mopö, ein struppiger Pintscher, ein Wesen
zwischen Dackel und Windhund, und hier ein vielversprechender Zieh-
hund. Oh, es war sehr unterhaltsam!
Nachdem sich meine Ueberraschung einigermaßen gelegt, zitierte der
Wortführer meiner Gäste: „Erkläret uns, Graf Oerindur, diesen acht-
fachen Zwiespalt der Natur!"
„Meine Herren," sagte ich ernst, „ich bin ein gutmütiger Mensch,
ein - unglaublich - gutmütiger Mensch; bloß mit Zitaten dürfen
Sie mir nicht kommen. Da gehe ich hoch, da werde ich direkt — —.
Übrigens: Kann ich etwas für die Jrrtümer der Natur? Bin ich ver-
antwortlich für die sieben Weltwunder? Hat nicht Goethe schon gesagt,
es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, von denen euere Schulweis-
heit sich nichts träumen läßt? — Nun bitte, da haben Sie so einen
Goethe-Fall vor sich!!
Eine Berufung auf Goethe ist in jeder Situation zu empfehlen;
sie war auch hier nicht ohne Wirkung, und meine bebende Entrüstung
tat das übrige. Immerhin hätte sich die Hundeschau vielleicht in die
Länge gezogen, wenn nicht urplötzlich Bella, die meiner Frau entwischt
war, auf den Plan getreten wäre. Ein wütendes Gejaule, nach links
und rechts ein paar Biffe, laute Schreie, angstvolles Gekläff, und —
die Straße war leer.
Mit Mühe pfiff ich Bella zurück, schloß das Gartentor und konnte
doch ein Lächeln nicht unterdrücken. Aufgeregt kam meine Frau heraus-
gestürzt. „Bella ist mir ausgerückt."
„Ja," sagte ich, „weil sie die beste Lösung von uns allen wußte."
Am nächsten Tage stand im Kreisblatt ein Artikel unter der Über-
schrift: „Das achte Weltwunder," worin von einem Hund erzählt
wurde, der zwischen Himmel und Erde zur Welt gekommen sei und nun
ebensolche Nachkommen liefere, deren Verteilung «in Goethe II über-
nommen hätte. Ich verzichtete auf eine Fortsetzung des Themas und
ließ mir an der Auszeichnung genügen. W.Mu»,r.G°rd-n
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Wenn man junge Hunde verschenkt"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1926
Entstehungsdatum (normiert)
1921 - 1931
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 165.1926, Nr. 4242, S. 248
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg