Die Zimmerlinde
Mik etwas gemischten Gefühlen betrachtete ich das Prachtexem-
plar einer Zimmerlinde, die als Geschenk zu meiner Hochzeit auf
der Festtafel prangte. Etwas Reelles, z. B. ein Silberkasten, wäre
mir entschieden lieber gewesen, und
Tante Olga hätte sich meiner Ansicht
nach ruhig ein wenig mehr anftrengen
können. Das dachte ich natürlich nur,
denn meine Frau war von der Linde
begeistert. Ein Trost war es wenig-
stenö für mich, daß das Ungetüm
wegen seiner Dimensionen bei meinen
Schwiegereltern bleiben sollte, wo-
durch mir die Unannehmlichkeit er-
spart blieb, täglich durch den Anblick
der Linde an Tante Olgas Knickrig-
keit erinnert zu werden.
Als wir nach Beendigung unserer
Hochzeitsreise unsere neue Wohnung
betraten, fiel ich aus allen Himmeln.
Mitten auf meinem Schreibtisch stand
das „Prachtexemplar." Meine Frau
lachte schelmisch:
„Ist das nicht eine nette Überraschung für Dich? Ich habe Mama
heimlich gebeten, die Linde doch mitzuschicken. Es sähe auch so un-
freundlich gegen Tante Olga aus und außerdem habe ich Zimmer-
linden so gern."
Leider wurde die Freude meiner Frau über die gelungene „Über-
raschung" etwas gedämpft durch die Tatsache, daß die Linde wesentlich
kleiner und noch dazu auf einer Seite ganz kahl war. Nach dem
Berichte unseres Mädchens war im Möbelwagen eine Kiste auf die
Linde gefallen und hatte sie so verunstaltet. Immerhin nahm der
riesige Topf noch fast die Hälfte meines Schreibtisches in Anspruch.
Hätte die verwünschte Kiste nicht ein klein wenig geschickter fallen
können?
Indessen schwand mein Arger über die ungeschickte Kiste rasch durch
die Freude, die meine Schnauzerlhündin Schnurx über meine Rück-
kehr zeigte. Das gute Tier war kaum zu beruhigen.
Beim Mittageffen suchte ich meine Frau über den Unfall der
Linde zu trösten:
„Ich bin ganz froh, daß die Linde nicht mehr so riesengroß ist, da
kann sie auch auf deinem Nähtisch im
Eßzimmer stehen. Denn auf meinem
Schreibtisch nimmt sie mir zuviel Platz
weg."
„Ganz unmöglich," fuhr meine Frau
empört auf, „die Linde braucht sehr
viel Sonne und dein Zimmer ist das
einzige nach Süden."
Ich schwieg. Ebemänner schweigen
überhaupt oft am besten.
In einer der nächsten Nächte er-
wachte ich um 3 Uhr morgens durch
einen ziemlich unsanften Rippenstoß.
„Sei doch so gut," sagte meine
Frau, „und gieße rasch noch die Linde;
ich habe es heute vergeffen."
Am Morgen schwamm meine
Schreibtischplatte. Ich hatte in meiner
Schlaftrunkenheit das Waffer neben
statt in den Topf gegosten. Mehrere Manuskripte waren total ver-
dorben.
Nach drei Tagen fand meine Frau Läuse auf der Linde. Shoking!
Einige energische Abspritzungen mit Nikotinlösung vertrieben zwar
schnell die ungebetenen Gäste, aber 14 Tage lang konnte ich vor
Gestank nicht an meinem Schreibtische sitzen. Ich kochte innerlich,
hatte eine krankhafte Aversion gegen alles Grüne und träumte nur
noch von wucherndenZimmerlinden, die die ganze Wohnung anfüllten.
Als ich eines Abends heimkam, standen auf meinem Schreibtische
zebn weitere Töpfe mit kleinen Linden. Meine Frau hatte die geni-
ale Idee gehabt, zehn Lindenblätter als Stecklinge einzupflanzen.
Meine Träume hatten sich fürchterlich erfüllt, mein Schreibtisch glicb
einem Blumenstand auf dem Viktualienmarkt. — Wae ich dachte,
will ich aus Höf-
lichkeit lieber ver-
schweigen. Zum
Glück nahm der
Himmel sechs
Stecklinge zu sich
in ein besieres
Jenseits.
Meine Frau war
untröstlich. Am
Sonntag Nach-
mittag waren wir
beiBekanntenein- /,
geladen. Da auch
unsereKathi Aus-
gang hatte, mußte
Schnurr die Wohnung hüten. Des schönen Wetters wegen ließ
meine Frau das Erkerfenster weit offen.
Als ich nach unserer Heimkehr abends mein Zimmer betrat, war
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Mik etwas gemischten Gefühlen betrachtete ich das Prachtexem-
plar einer Zimmerlinde, die als Geschenk zu meiner Hochzeit auf
der Festtafel prangte. Etwas Reelles, z. B. ein Silberkasten, wäre
mir entschieden lieber gewesen, und
Tante Olga hätte sich meiner Ansicht
nach ruhig ein wenig mehr anftrengen
können. Das dachte ich natürlich nur,
denn meine Frau war von der Linde
begeistert. Ein Trost war es wenig-
stenö für mich, daß das Ungetüm
wegen seiner Dimensionen bei meinen
Schwiegereltern bleiben sollte, wo-
durch mir die Unannehmlichkeit er-
spart blieb, täglich durch den Anblick
der Linde an Tante Olgas Knickrig-
keit erinnert zu werden.
Als wir nach Beendigung unserer
Hochzeitsreise unsere neue Wohnung
betraten, fiel ich aus allen Himmeln.
Mitten auf meinem Schreibtisch stand
das „Prachtexemplar." Meine Frau
lachte schelmisch:
„Ist das nicht eine nette Überraschung für Dich? Ich habe Mama
heimlich gebeten, die Linde doch mitzuschicken. Es sähe auch so un-
freundlich gegen Tante Olga aus und außerdem habe ich Zimmer-
linden so gern."
Leider wurde die Freude meiner Frau über die gelungene „Über-
raschung" etwas gedämpft durch die Tatsache, daß die Linde wesentlich
kleiner und noch dazu auf einer Seite ganz kahl war. Nach dem
Berichte unseres Mädchens war im Möbelwagen eine Kiste auf die
Linde gefallen und hatte sie so verunstaltet. Immerhin nahm der
riesige Topf noch fast die Hälfte meines Schreibtisches in Anspruch.
Hätte die verwünschte Kiste nicht ein klein wenig geschickter fallen
können?
Indessen schwand mein Arger über die ungeschickte Kiste rasch durch
die Freude, die meine Schnauzerlhündin Schnurx über meine Rück-
kehr zeigte. Das gute Tier war kaum zu beruhigen.
Beim Mittageffen suchte ich meine Frau über den Unfall der
Linde zu trösten:
„Ich bin ganz froh, daß die Linde nicht mehr so riesengroß ist, da
kann sie auch auf deinem Nähtisch im
Eßzimmer stehen. Denn auf meinem
Schreibtisch nimmt sie mir zuviel Platz
weg."
„Ganz unmöglich," fuhr meine Frau
empört auf, „die Linde braucht sehr
viel Sonne und dein Zimmer ist das
einzige nach Süden."
Ich schwieg. Ebemänner schweigen
überhaupt oft am besten.
In einer der nächsten Nächte er-
wachte ich um 3 Uhr morgens durch
einen ziemlich unsanften Rippenstoß.
„Sei doch so gut," sagte meine
Frau, „und gieße rasch noch die Linde;
ich habe es heute vergeffen."
Am Morgen schwamm meine
Schreibtischplatte. Ich hatte in meiner
Schlaftrunkenheit das Waffer neben
statt in den Topf gegosten. Mehrere Manuskripte waren total ver-
dorben.
Nach drei Tagen fand meine Frau Läuse auf der Linde. Shoking!
Einige energische Abspritzungen mit Nikotinlösung vertrieben zwar
schnell die ungebetenen Gäste, aber 14 Tage lang konnte ich vor
Gestank nicht an meinem Schreibtische sitzen. Ich kochte innerlich,
hatte eine krankhafte Aversion gegen alles Grüne und träumte nur
noch von wucherndenZimmerlinden, die die ganze Wohnung anfüllten.
Als ich eines Abends heimkam, standen auf meinem Schreibtische
zebn weitere Töpfe mit kleinen Linden. Meine Frau hatte die geni-
ale Idee gehabt, zehn Lindenblätter als Stecklinge einzupflanzen.
Meine Träume hatten sich fürchterlich erfüllt, mein Schreibtisch glicb
einem Blumenstand auf dem Viktualienmarkt. — Wae ich dachte,
will ich aus Höf-
lichkeit lieber ver-
schweigen. Zum
Glück nahm der
Himmel sechs
Stecklinge zu sich
in ein besieres
Jenseits.
Meine Frau war
untröstlich. Am
Sonntag Nach-
mittag waren wir
beiBekanntenein- /,
geladen. Da auch
unsereKathi Aus-
gang hatte, mußte
Schnurr die Wohnung hüten. Des schönen Wetters wegen ließ
meine Frau das Erkerfenster weit offen.
Als ich nach unserer Heimkehr abends mein Zimmer betrat, war
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Die Zimmerlinde"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1926
Entstehungsdatum (normiert)
1921 - 1931
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 165.1926, Nr. 4243, S. 260
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg