Die Angst vor dem Knall
Ein krachige Geschichte
Fräulein Franzi war so schön . . .
Schöner als ein Rasierspiegel, wenn ihn die Sonne bescheint. Und schöner,
als eine Stechpalme neben dem Mahagonibuffet.
Denn sie schien und stach aus allem gewinnender hervor.
Die Augen promenierender Herren blieben als Briefmarken an ihr
hängen. Schalterbeamte streichelten ihre gebauchten Fingerspitzen. In
Photographiealbums wurde sie zur Rakete, die Familien bis ins vierte
Glied überstrahlte.
Und nur eine» Fehler hatte sie —
Schießen nicht hören . . . Das
war furchtbar...! Sie schrie auf,
daß die Wände wie Schweins-
sulz zitterten.
Wenn hinter ihrem Rücken
ein Teelöffel zu Boden fiel, fuhr
sie zusammen gleich einem über-
spannten Hosenträger. Oder —
wenn in ihrer Nähe der Reifen
eines Fahrrads platzte.. . Eine
Überschwemmung wäre ihr lieber
gewesen . . !
Bevor sie ein Theater betrat,
fragte sie an der Kaffe — ob in
diesem Stück geschossen würde.
Nur der Schuß im Kino war ihr
erträglich,weil sie dabei dieAugen-
deckel herunterließ. Am harm-
losesten aber schien ihr ein Bank-
Krach; da hörte und sah sie über-
haupt nichts — —
die Franzi war, so hübsch möbliert
wohnte sie auch. Wie in lyrischen
Gedichten wehte an ihrem Fen-
sterbrett der immer laue Abend-
wind, die Sonne versank ansichts-
kartengleich in lampenschirmroter
Glut hinter dem Horizont und
das Zimmer war still und traut
gleich dem Ausklang eines Leih-
bibliothekromans . . .
Unten lag schweinfurtergrün
eineWiese hingebreitet, auf derdie
Ziegen der Bahnwärter grasten,
Stallhasen Fangermandel spiel-
ten und Glasscherben, Konservenbüchsen und Zeitungsfetzen ständig be-
heimatet waren.
Da wurde es über diesem friedlichen Grün mit einem male lebendig.
Pfähle sausten ins Erdreich, Zelte breiteten sich aus, Buden machten sich
breit und Fahnenstangen wuchsen ins Blau des Himmels hinein . . .
„Da schauen S' doch, Frau Neigbier, was da Schön's aufbaut wird ..!"
sagte Franzi mit freudig erweitertem Herzen zu ihrer Hausfrau.
„Ja, Fräulein Franzi, dös wird a Schützenfest . . !"
„Um GoodSwill'n, da wird doch net g'schoffen werden?"
„Na, beim Schützenfest wird nur tarockt . . !"
„Frau Neigbier, da wäret i narrisch . . !"
„Ja, mei — wegen Eahna kann ma 's Schützenfest net auf'm Voll-
mond abhalten - — "
„Dös überleb' i net, dö Kracherei . . - - -
von Ernst Hoferichter
Nach acht Tagen war auf der Festwiese feierliche Eröffnung des dies-
iäbrigen Schützenfestes.
Fräulein Franzi batte sich darauf in ihrer Art vorbereitet. Zuerst wurden
die Winterfenster eingehängt, dann die Fugen mit Filz verstopft. Die
Schlüssellöcher verschmierte sie mit Glaserkitt, die Ritzen am Fußboden
bekamen Gipsfüllungen - so daß ihr Zimmer zur Desinfektion von einer
Legion Wanzen standesgemäß in Bereitschaft war.
Dann ging 's über ihre Obren — — zuerst Gummipfropfen, dann
Watte, viel viel Watte und darüber noch anliegende Scheuklappe» eines
pensionierten Fiakergauls.
So hörte sie ihre eigene Stim-
me nur mehr wie ein Geflüster
ans der vierten Dimension. Das
Klappern ihrer Holzpantoffel
wurde zum lautlosest Schreiten
über den Wassern.
Da krachten unten am Schieß-
stand die ersten Kugeln der Feuer-
schützen. Franzi schrie auf und
fuhr wie ein angedrehter Spring-
brunnen in die Höhe-Ihre
Vorbereitungen gegen Schuß und
Krach erwiesen sich trotz allem als
unzulänglich . . . !
Durch all das Bollwerk bin-
durch vernahm sie Schuß für
Schuß und Knall um Knall.
Und wenn einmal eine winzige
Stille entstand, so wartete sie um
so ängstlicher auf den nächsten
Kracher. Von Früb bis Nachts
vibrierte sie wie die Ladenklingel
l» einem kundenreichen Milch-
geschäft.
Immer mebr Schützenvereine
zogenein und immermebrSchüffe
krachten durch btc Luft — bis ans
Trommelfell der Fräulein Franzi.
Sie zog sich die Zipfel des
Kopfkissens über die barrikadier-
ten Ohren, verbrachte Stunden
im luftdicht abgeschlossenen Klei-
derschrank - aber nichts half.
Und es schien auch nichts zu ge-
ben, das hier helfen wollte... Eines Morgens sprach die Hausfrau Neig-
bier mit Frohlocken: „Fräulein Franzi, heut Abend krieg i an Schützen
einquartiert ... Da wird 's bei uns dann a a bisserl lustig und zünftig.. "
„So — an Schützen . . ?" erwiderte niedergeschlagen, wie verhageltes
Korn, Fräulein Franzi.
„Ja - i sag Eahna dös nur, damit S' vorsichtig sind: der Herr will
nämlich am Gang vor Eahnera Tür sich zur Übung a bisserl einschießen .. "
Franzi fühlte sich in diesem Augenblick zu einer Scheibe geworden, auf
der schwarze Ringe kreisten und in deren Mittelpunkt pfeifend und knallend
die Kugeln einschlugen. Und wie ein blecherner Rehbock in einem Schieß-
stand sank sie auf die Kohlenkifte nieder . . .
Am Abend sab sie den Schützen zum ersten mal«. Vor dem Fünfminute n-
brenner deö Stiegenhauses trafen sie zusammen. Sie glaubte — statt der
Glühbirne habe sich eine Bogenlampe entzündet. So leuchtete sein Gesicht
Franzi konnte das Krachen und
Und so hübsch
Die Wilderer. „Allweil gut fiir uns, wenn die Herrn Jäger recht
fleifti hei de’ Schiitsenfest san!“
20
Ein krachige Geschichte
Fräulein Franzi war so schön . . .
Schöner als ein Rasierspiegel, wenn ihn die Sonne bescheint. Und schöner,
als eine Stechpalme neben dem Mahagonibuffet.
Denn sie schien und stach aus allem gewinnender hervor.
Die Augen promenierender Herren blieben als Briefmarken an ihr
hängen. Schalterbeamte streichelten ihre gebauchten Fingerspitzen. In
Photographiealbums wurde sie zur Rakete, die Familien bis ins vierte
Glied überstrahlte.
Und nur eine» Fehler hatte sie —
Schießen nicht hören . . . Das
war furchtbar...! Sie schrie auf,
daß die Wände wie Schweins-
sulz zitterten.
Wenn hinter ihrem Rücken
ein Teelöffel zu Boden fiel, fuhr
sie zusammen gleich einem über-
spannten Hosenträger. Oder —
wenn in ihrer Nähe der Reifen
eines Fahrrads platzte.. . Eine
Überschwemmung wäre ihr lieber
gewesen . . !
Bevor sie ein Theater betrat,
fragte sie an der Kaffe — ob in
diesem Stück geschossen würde.
Nur der Schuß im Kino war ihr
erträglich,weil sie dabei dieAugen-
deckel herunterließ. Am harm-
losesten aber schien ihr ein Bank-
Krach; da hörte und sah sie über-
haupt nichts — —
die Franzi war, so hübsch möbliert
wohnte sie auch. Wie in lyrischen
Gedichten wehte an ihrem Fen-
sterbrett der immer laue Abend-
wind, die Sonne versank ansichts-
kartengleich in lampenschirmroter
Glut hinter dem Horizont und
das Zimmer war still und traut
gleich dem Ausklang eines Leih-
bibliothekromans . . .
Unten lag schweinfurtergrün
eineWiese hingebreitet, auf derdie
Ziegen der Bahnwärter grasten,
Stallhasen Fangermandel spiel-
ten und Glasscherben, Konservenbüchsen und Zeitungsfetzen ständig be-
heimatet waren.
Da wurde es über diesem friedlichen Grün mit einem male lebendig.
Pfähle sausten ins Erdreich, Zelte breiteten sich aus, Buden machten sich
breit und Fahnenstangen wuchsen ins Blau des Himmels hinein . . .
„Da schauen S' doch, Frau Neigbier, was da Schön's aufbaut wird ..!"
sagte Franzi mit freudig erweitertem Herzen zu ihrer Hausfrau.
„Ja, Fräulein Franzi, dös wird a Schützenfest . . !"
„Um GoodSwill'n, da wird doch net g'schoffen werden?"
„Na, beim Schützenfest wird nur tarockt . . !"
„Frau Neigbier, da wäret i narrisch . . !"
„Ja, mei — wegen Eahna kann ma 's Schützenfest net auf'm Voll-
mond abhalten - — "
„Dös überleb' i net, dö Kracherei . . - - -
von Ernst Hoferichter
Nach acht Tagen war auf der Festwiese feierliche Eröffnung des dies-
iäbrigen Schützenfestes.
Fräulein Franzi batte sich darauf in ihrer Art vorbereitet. Zuerst wurden
die Winterfenster eingehängt, dann die Fugen mit Filz verstopft. Die
Schlüssellöcher verschmierte sie mit Glaserkitt, die Ritzen am Fußboden
bekamen Gipsfüllungen - so daß ihr Zimmer zur Desinfektion von einer
Legion Wanzen standesgemäß in Bereitschaft war.
Dann ging 's über ihre Obren — — zuerst Gummipfropfen, dann
Watte, viel viel Watte und darüber noch anliegende Scheuklappe» eines
pensionierten Fiakergauls.
So hörte sie ihre eigene Stim-
me nur mehr wie ein Geflüster
ans der vierten Dimension. Das
Klappern ihrer Holzpantoffel
wurde zum lautlosest Schreiten
über den Wassern.
Da krachten unten am Schieß-
stand die ersten Kugeln der Feuer-
schützen. Franzi schrie auf und
fuhr wie ein angedrehter Spring-
brunnen in die Höhe-Ihre
Vorbereitungen gegen Schuß und
Krach erwiesen sich trotz allem als
unzulänglich . . . !
Durch all das Bollwerk bin-
durch vernahm sie Schuß für
Schuß und Knall um Knall.
Und wenn einmal eine winzige
Stille entstand, so wartete sie um
so ängstlicher auf den nächsten
Kracher. Von Früb bis Nachts
vibrierte sie wie die Ladenklingel
l» einem kundenreichen Milch-
geschäft.
Immer mebr Schützenvereine
zogenein und immermebrSchüffe
krachten durch btc Luft — bis ans
Trommelfell der Fräulein Franzi.
Sie zog sich die Zipfel des
Kopfkissens über die barrikadier-
ten Ohren, verbrachte Stunden
im luftdicht abgeschlossenen Klei-
derschrank - aber nichts half.
Und es schien auch nichts zu ge-
ben, das hier helfen wollte... Eines Morgens sprach die Hausfrau Neig-
bier mit Frohlocken: „Fräulein Franzi, heut Abend krieg i an Schützen
einquartiert ... Da wird 's bei uns dann a a bisserl lustig und zünftig.. "
„So — an Schützen . . ?" erwiderte niedergeschlagen, wie verhageltes
Korn, Fräulein Franzi.
„Ja - i sag Eahna dös nur, damit S' vorsichtig sind: der Herr will
nämlich am Gang vor Eahnera Tür sich zur Übung a bisserl einschießen .. "
Franzi fühlte sich in diesem Augenblick zu einer Scheibe geworden, auf
der schwarze Ringe kreisten und in deren Mittelpunkt pfeifend und knallend
die Kugeln einschlugen. Und wie ein blecherner Rehbock in einem Schieß-
stand sank sie auf die Kohlenkifte nieder . . .
Am Abend sab sie den Schützen zum ersten mal«. Vor dem Fünfminute n-
brenner deö Stiegenhauses trafen sie zusammen. Sie glaubte — statt der
Glühbirne habe sich eine Bogenlampe entzündet. So leuchtete sein Gesicht
Franzi konnte das Krachen und
Und so hübsch
Die Wilderer. „Allweil gut fiir uns, wenn die Herrn Jäger recht
fleifti hei de’ Schiitsenfest san!“
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Der Wilderer"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1927
Entstehungsdatum (normiert)
1922 - 1932
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 167.1927, Nr. 4275, S. 20
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg