Wärterhaus 383
Das alte Wärterhäuschen 383 hockt am Schienen-
strange, das Dach weit über die Stirn geschoben. Ein
paar Fensterchen blinzeln den Frühling an. So heim-
lich still, so morgensegengleich ist 's hier draußen. Wie
eine riesige, zottlige Märchenmutter steht die Wärter-
bude im buntfarbigen Reigen der Blumen. Und wie
die ausschaun, die Blumen! Da gibt es junge, sanfte
Mädchen mit weihen, flatternden Schleiern und alte
Fräuleins mit koketten, violetten Bändern. Da gibt
es bleiche Bonnen und tückische Klatschbasen, eifrige
Betschwestern und wilde, struppige Gaffenjungen
im Ringelreigen. Und die lauschen alle auf das
Raunen und Wispern und Geistern der alten Mär-
chenmutter. O. die erzählt Geschichten! Unter ihrer
Haube sitzen ja die Schwalben. Die wiffen
so viel. Manche Blumen lächeln, schwat-
zen, kichern und tuscheln. Manche wer-
den rot vor Scham, schütteln treuherzig
ihr rundes Köpfchen, und wieder andere
schaukeln und wippen vor Übermut. Das
Wärterhäuschen erzählt, die Blumen
lauschen, die Sonne lacht und die Frühlingsvögel
singen. - -
Da schreit eine Glocke kurz und hart! Ein ältlicher,
gebräunter Mann mit hellen, gutmütigen Rügen zieht
die Barriere herunter und schaut erwartungsvoll auf
den blitzenden Schienenstrang. Und nun kommt 's
näher. Die Wärterbude duckt sich. Die Blumen schauern
zusammen und umklammern sich eingeschüchtert und
furchtsam. Ratternd, rütternd, kreischend und fauchend
rast ein fürchterliches, eisernes Tier vorüber - der Zug.
Die pausbäckige Georgine schreit frech und froh: ..Rimm
mich mit! Rim - m- m-mi-ch-mi-t!" - -
Der Zug ist vorüber. Der Bahnwärter blickt hinüber
zum Dorf, das sich ganz in Frühlingswonne einge-
sponnen hat. Dann geht er hinein in seine verschlafene
Behausung. Drinnen zündet er sich ein Pfeifchen an,
setzt sich ans Fenster und sinnt hinein, in den Frühlings-
srieden. Sein Herz ist immer dasselbe. Es ist so schön
wie eine derbe, krause Bauerntruhe, in der
schimmernde Kostbarkeiten schlafen. Sein
Haar ist grau.-Es wird Rbend. Mit
schauerlich blitzenden Dämonenaugen ra-
sen die Züge vorüber. Der Mond schmei-
chelt mit sanfter, bleicher Hand die ver-
witterte Wange des Wärterhauses. Die
Blumen lächeln im Schlaf, schrecken auf und träumen
wieder ein. Das Dorf schläft schon lange, damit es die
wonnige Frühe des Frühlingsmorgens nicht versäumt,
fest in die Lenznacht hinein. Max >n9m*i
Ein Vorzug
„Jetzt ist das Mädchen
bei Ihnen, das vor einem
halben Jahr bei uns war?
Die leistet doch gar nichts."
„Aber erzählen kann sie!"
Rechtfertigung
„Ich mein gar, Sie ha-
ben einen Liebsten in der
Küche!"
„Gnädige Frau sagten
doch, ich soll mit Lust und
Liebe kochen."
Beim Revue-Dichter
„Also, lieber Finger-
inski, — schaffen Sie mir
einen neuen Schlager, —
aber einen recht sinnlosen,
— sonst hat er keinen
Sinn!"
Ehret die Frauen
„Naa, i laß nir auf die
Weiber kommen. Wenn
wir die Bubikopf nit hät-
ten, wär i als Friseur bei
eure Glatzkopf schon lang
verhungert."
Mimik
A. : „Was sagst du da-
zu, daß der Schlächter mir
auf mein ehrliches Gesicht
für fünf Mark Fleisch ge-
borgt hat?"
B. (bewundernd): „Du
bistein vorzüglicher Schau-
spieler."
Vielsagend
Bettler: „Ach, bester
Herr, ich habe schon seit
langer Zeit nichts Ordent-
liches mehr gegessen."
Herr: „Da sind Sie
wohl auch verheiratet?"
Das Lebenselirier
„Minchen, du bist mein
Leben."-„Also dein Vi-
taminchen."
Naiv
„Ich kann nicht einschla-
fen! Reichen Sie mir doch
mal den Goethe herüber!"
„Den von Jips, gnä
dige Frau?"
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Das alte Wärterhäuschen 383 hockt am Schienen-
strange, das Dach weit über die Stirn geschoben. Ein
paar Fensterchen blinzeln den Frühling an. So heim-
lich still, so morgensegengleich ist 's hier draußen. Wie
eine riesige, zottlige Märchenmutter steht die Wärter-
bude im buntfarbigen Reigen der Blumen. Und wie
die ausschaun, die Blumen! Da gibt es junge, sanfte
Mädchen mit weihen, flatternden Schleiern und alte
Fräuleins mit koketten, violetten Bändern. Da gibt
es bleiche Bonnen und tückische Klatschbasen, eifrige
Betschwestern und wilde, struppige Gaffenjungen
im Ringelreigen. Und die lauschen alle auf das
Raunen und Wispern und Geistern der alten Mär-
chenmutter. O. die erzählt Geschichten! Unter ihrer
Haube sitzen ja die Schwalben. Die wiffen
so viel. Manche Blumen lächeln, schwat-
zen, kichern und tuscheln. Manche wer-
den rot vor Scham, schütteln treuherzig
ihr rundes Köpfchen, und wieder andere
schaukeln und wippen vor Übermut. Das
Wärterhäuschen erzählt, die Blumen
lauschen, die Sonne lacht und die Frühlingsvögel
singen. - -
Da schreit eine Glocke kurz und hart! Ein ältlicher,
gebräunter Mann mit hellen, gutmütigen Rügen zieht
die Barriere herunter und schaut erwartungsvoll auf
den blitzenden Schienenstrang. Und nun kommt 's
näher. Die Wärterbude duckt sich. Die Blumen schauern
zusammen und umklammern sich eingeschüchtert und
furchtsam. Ratternd, rütternd, kreischend und fauchend
rast ein fürchterliches, eisernes Tier vorüber - der Zug.
Die pausbäckige Georgine schreit frech und froh: ..Rimm
mich mit! Rim - m- m-mi-ch-mi-t!" - -
Der Zug ist vorüber. Der Bahnwärter blickt hinüber
zum Dorf, das sich ganz in Frühlingswonne einge-
sponnen hat. Dann geht er hinein in seine verschlafene
Behausung. Drinnen zündet er sich ein Pfeifchen an,
setzt sich ans Fenster und sinnt hinein, in den Frühlings-
srieden. Sein Herz ist immer dasselbe. Es ist so schön
wie eine derbe, krause Bauerntruhe, in der
schimmernde Kostbarkeiten schlafen. Sein
Haar ist grau.-Es wird Rbend. Mit
schauerlich blitzenden Dämonenaugen ra-
sen die Züge vorüber. Der Mond schmei-
chelt mit sanfter, bleicher Hand die ver-
witterte Wange des Wärterhauses. Die
Blumen lächeln im Schlaf, schrecken auf und träumen
wieder ein. Das Dorf schläft schon lange, damit es die
wonnige Frühe des Frühlingsmorgens nicht versäumt,
fest in die Lenznacht hinein. Max >n9m*i
Ein Vorzug
„Jetzt ist das Mädchen
bei Ihnen, das vor einem
halben Jahr bei uns war?
Die leistet doch gar nichts."
„Aber erzählen kann sie!"
Rechtfertigung
„Ich mein gar, Sie ha-
ben einen Liebsten in der
Küche!"
„Gnädige Frau sagten
doch, ich soll mit Lust und
Liebe kochen."
Beim Revue-Dichter
„Also, lieber Finger-
inski, — schaffen Sie mir
einen neuen Schlager, —
aber einen recht sinnlosen,
— sonst hat er keinen
Sinn!"
Ehret die Frauen
„Naa, i laß nir auf die
Weiber kommen. Wenn
wir die Bubikopf nit hät-
ten, wär i als Friseur bei
eure Glatzkopf schon lang
verhungert."
Mimik
A. : „Was sagst du da-
zu, daß der Schlächter mir
auf mein ehrliches Gesicht
für fünf Mark Fleisch ge-
borgt hat?"
B. (bewundernd): „Du
bistein vorzüglicher Schau-
spieler."
Vielsagend
Bettler: „Ach, bester
Herr, ich habe schon seit
langer Zeit nichts Ordent-
liches mehr gegessen."
Herr: „Da sind Sie
wohl auch verheiratet?"
Das Lebenselirier
„Minchen, du bist mein
Leben."-„Also dein Vi-
taminchen."
Naiv
„Ich kann nicht einschla-
fen! Reichen Sie mir doch
mal den Goethe herüber!"
„Den von Jips, gnä
dige Frau?"
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Wärterhaus 383"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum (normiert)
1927 - 1927
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 167.1927, Nr. 4276, S. 26
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg