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Vertiefter Blick
von Christian Morgenstern
(Aus dessen unveröffentlichtem Nachlaß)
Durch das Essbare hindurch
schauen wir das Unessbare;
durch das Korn, entsproßt der Furch’,
schauen wir des Bäckers Haare.
So ist jedes Stück Natur
durch Gedankenflug zu adeln,
und nur der als Thor zu tadeln,
der dabei verkehrt verfuhr.
Raben schreien in der Nacht
Schon ruhen nachts die Raben,
Ein Paar noch taumelt unterm Himmel
Zum Nest zurück und krächzt.
Es lischt die Farbe des Himmels.
Einsam am Webstuhl hockt die junge Tsching,
Ihr ist, als ob wer durch den grünen Blumenvorhang
Zu ihr flüsterte. (der Natur
Sie hört zu weben auf, ihr fällt der ferne Freund
Ein. Allein im traurig öden, freudlos leeren Zimmer
Bricht sie in Gewimmer aus beim Rabenschrei.
Li Tai Be
Nachdichtung von Albert Ehren stein
Augurisch
von Christian Morgenstern
(Aus dessen unveröffentlichtem Nachlaß)
Es gibt erlösende Momente
und wieder solche, die es nicht sind —
(nenn’ sie verbösende Momente,
wenn nomina dir von Gewicht sind.)
Wie häufig, daß ein Wunsch uns brennt,
es möchte dies und das geschehe!!
Doch das erlösende Moment
bleibt in der Ferne stehn.
Der Vorzugspreis
Aus den Bergen
Also berichtete der Pepi Sturminger neulich im Wiener Rathaus-
keller überfeinen bayerischen Sommeraufenthalt: „Wiaso i so büllig
g’wohnt Hab', wollte wis-
sen? Paßts auf, meine
Herrn, i wüll Enk die
G'schicht derzähl'n:
Alsdern, am Anfang,
da Hab' i fimpf Mark für
's Zimmer blech'n müaß'n,
was gar net so wenig iS,
denn i Hab' do in an ein-
fachen Bauernhaus lo-
schiert. Einmal aber, am
Abend war 'S, i steh' grad
vor'm Haustor, rauk' mei
Zigarrl und difchk'rier'
mit der Bäu'rin ... da
kummt Enk so a preißischer
Salauntiroler daher und
rennt in mi eini, daß i
fast hing'flogen war! Na,
Oes wißt 's ja, i bin a
g'mütlich's Haus, und
wann si der Bimpf urdent-
sich entschul digt hält', nach-
her war i net weiter schiach
(bös) g'wesen. Aber naa —
der Lackel reißt no sein'
Brotladen auf und schreit:
„Nanu . .. könn' Se nich
Obach jeben, Sie Horn-
ochse?" - - Alsdern
des war m'r halt do z'vüll,
i Hab' mi in Positur g'stellt,
und Hab' dem Kerl »Wat-
schen g'rieben, i sag' Enk,
a Watschen . . .
Na, und seitdem hat
m'r mei Hausfrau nur drei
Mark für 's Zimmer berechnet!" - Man muß es nur verstehn, sich
beliebt zu machen! S°,p-„r
Scherzfrage
Wo ist die Welt am schönsten? - tso-'iwßajß «« UJ<! UC
Zur Anstiegsabkürzung für eine Grattur haben wir den ersten
Wagen der Kreuzeck-Seilbahn in der Morgenfrühe benützt. Das
Adolf Zöppritz-Haus ist
seitdem hotelmäßigen Um-
bau bei Bahneröffnung
kaum mehr zu erkennen,
und die Wege in seiner
Nähe sind so unbergmäßig
herausgeputzt, daß die ver-
antwortliche Sektion des
Alpenvereins ihre Ver-
legenheit hinter dem Witz
verbirgt, eine Tafel mit der
Inschrift „Radfahren ver-
boten" quer über die Pro-
menade zu hängen.-Aus
dem Haus tritt ein elegan-
tes junges Paar, und ein
älterer Herr weist ihnen
Ziel und Weg. „Nur
frisch heran an die Berge.
In einer halben Stunde
sind Sie bei der Hochalm
da drüben, und wenn Sie
noch zwanzig Minuten
weiter gehen, können Sie
die schönsten Wandabstürze
sehen." - „Um Gottes-
willen! Fritz," ruft da die
junge Frau entsetzt, „das
kann ich nicht mitansehen!"
Der Abschied
„Ah, Sie haben sich
scheiden laffen? War der
Abschiedvon IhremMann
dramatisch?"
„Dramatisch? Nein,
das kann man nicht sagen.
Als ich ihn verließ, waren meine letzten Worte: Heute zum Mittag
habe ich bei Minna für dich Bratklops bestellt." — „Bratklops?"
„Io, die kann er nämlich nicht vertragen. Er bekommt immer
Bauchkneifen hinterher."
Eheliche Bergfahrt. „A so a Schinderei! Weißt, Alte, du hätt'st an
Klaviertransporteur heiraten soll'n!"
62
Vertiefter Blick
von Christian Morgenstern
(Aus dessen unveröffentlichtem Nachlaß)
Durch das Essbare hindurch
schauen wir das Unessbare;
durch das Korn, entsproßt der Furch’,
schauen wir des Bäckers Haare.
So ist jedes Stück Natur
durch Gedankenflug zu adeln,
und nur der als Thor zu tadeln,
der dabei verkehrt verfuhr.
Raben schreien in der Nacht
Schon ruhen nachts die Raben,
Ein Paar noch taumelt unterm Himmel
Zum Nest zurück und krächzt.
Es lischt die Farbe des Himmels.
Einsam am Webstuhl hockt die junge Tsching,
Ihr ist, als ob wer durch den grünen Blumenvorhang
Zu ihr flüsterte. (der Natur
Sie hört zu weben auf, ihr fällt der ferne Freund
Ein. Allein im traurig öden, freudlos leeren Zimmer
Bricht sie in Gewimmer aus beim Rabenschrei.
Li Tai Be
Nachdichtung von Albert Ehren stein
Augurisch
von Christian Morgenstern
(Aus dessen unveröffentlichtem Nachlaß)
Es gibt erlösende Momente
und wieder solche, die es nicht sind —
(nenn’ sie verbösende Momente,
wenn nomina dir von Gewicht sind.)
Wie häufig, daß ein Wunsch uns brennt,
es möchte dies und das geschehe!!
Doch das erlösende Moment
bleibt in der Ferne stehn.
Der Vorzugspreis
Aus den Bergen
Also berichtete der Pepi Sturminger neulich im Wiener Rathaus-
keller überfeinen bayerischen Sommeraufenthalt: „Wiaso i so büllig
g’wohnt Hab', wollte wis-
sen? Paßts auf, meine
Herrn, i wüll Enk die
G'schicht derzähl'n:
Alsdern, am Anfang,
da Hab' i fimpf Mark für
's Zimmer blech'n müaß'n,
was gar net so wenig iS,
denn i Hab' do in an ein-
fachen Bauernhaus lo-
schiert. Einmal aber, am
Abend war 'S, i steh' grad
vor'm Haustor, rauk' mei
Zigarrl und difchk'rier'
mit der Bäu'rin ... da
kummt Enk so a preißischer
Salauntiroler daher und
rennt in mi eini, daß i
fast hing'flogen war! Na,
Oes wißt 's ja, i bin a
g'mütlich's Haus, und
wann si der Bimpf urdent-
sich entschul digt hält', nach-
her war i net weiter schiach
(bös) g'wesen. Aber naa —
der Lackel reißt no sein'
Brotladen auf und schreit:
„Nanu . .. könn' Se nich
Obach jeben, Sie Horn-
ochse?" - - Alsdern
des war m'r halt do z'vüll,
i Hab' mi in Positur g'stellt,
und Hab' dem Kerl »Wat-
schen g'rieben, i sag' Enk,
a Watschen . . .
Na, und seitdem hat
m'r mei Hausfrau nur drei
Mark für 's Zimmer berechnet!" - Man muß es nur verstehn, sich
beliebt zu machen! S°,p-„r
Scherzfrage
Wo ist die Welt am schönsten? - tso-'iwßajß «« UJ<! UC
Zur Anstiegsabkürzung für eine Grattur haben wir den ersten
Wagen der Kreuzeck-Seilbahn in der Morgenfrühe benützt. Das
Adolf Zöppritz-Haus ist
seitdem hotelmäßigen Um-
bau bei Bahneröffnung
kaum mehr zu erkennen,
und die Wege in seiner
Nähe sind so unbergmäßig
herausgeputzt, daß die ver-
antwortliche Sektion des
Alpenvereins ihre Ver-
legenheit hinter dem Witz
verbirgt, eine Tafel mit der
Inschrift „Radfahren ver-
boten" quer über die Pro-
menade zu hängen.-Aus
dem Haus tritt ein elegan-
tes junges Paar, und ein
älterer Herr weist ihnen
Ziel und Weg. „Nur
frisch heran an die Berge.
In einer halben Stunde
sind Sie bei der Hochalm
da drüben, und wenn Sie
noch zwanzig Minuten
weiter gehen, können Sie
die schönsten Wandabstürze
sehen." - „Um Gottes-
willen! Fritz," ruft da die
junge Frau entsetzt, „das
kann ich nicht mitansehen!"
Der Abschied
„Ah, Sie haben sich
scheiden laffen? War der
Abschiedvon IhremMann
dramatisch?"
„Dramatisch? Nein,
das kann man nicht sagen.
Als ich ihn verließ, waren meine letzten Worte: Heute zum Mittag
habe ich bei Minna für dich Bratklops bestellt." — „Bratklops?"
„Io, die kann er nämlich nicht vertragen. Er bekommt immer
Bauchkneifen hinterher."
Eheliche Bergfahrt. „A so a Schinderei! Weißt, Alte, du hätt'st an
Klaviertransporteur heiraten soll'n!"
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Eheliche Bergfahrt"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1927
Entstehungsdatum (normiert)
1922 - 1932
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 167.1927, Nr. 4279, S. 62
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg