Sieg der Mundart
Woldemar Köppke kam von einer mehrtägigen Hochtour ins Tal herab
und freute sich auf ein normales Bett. Das einzige Wirtshaus in dem
kleinen Dorf war aber schon vollbesetzt und das dazugehörige Nebenhaus
(Zuhäusl nennt man es dortlands) — ja, damit
war es so eine Sache. Die Einheimischen wuß-
ten es alle. Warum aber auch noch Fremden die
unheimliche Geschichte auf die Nase binden? Der
Wirt wich darum aus, als Woldemar Köppke
auf das Zuhäusl hinwies. Die Geschichte war
nämlich die, daß es in dem Zuhäusl umging; nicht
immer zwar, aber doch zur rechten Zeit.
Der Großvater und die Großmutter des jetzi-
Wirts „reigierten" darin seit ihrem Tod. Der
Großvater, wie die Dörfler behaupteten, wegen
seiner allzu anfechtbaren Viehhandelschaften und
die Großmutter infolge ihrer lebenslangen Milch-
pantscherei. Schließlich, da er sich vor Woldemar
Köppkes Drängen nicht mehr .anders zu helfen
wußte, sagte es ihm der Wirt, ja, quartierte den
Touristen, der erklärte, „so 'n Ieist käme ihm
jerade recht," im Obergeschoß des ZuhäuSlse in.
Alsbald entschlief Woldemar Köppke. Er
glaubte noch nicht lange geschlafen zu haben, als
er es die knarrende Stiege herauf und an
seiner Zimmertür vorüberkommen hörte; in schwe-
ren Stiefeln und schlürfenden Pantoffeln, wie
es schien. Dann ging eine Tür auf und er hörte
aus dem Raum neben seiner Stube die gleichen
Geräusche. Sodann wieder Tür zu und das Ge-
trappe und Geschlürft wieder treppab und hinun-
ter anscheinend bis in den Keller. Herr Köppke,
der sogleich Licht gemacht hatte und horchend im
Bette aufsaß, fuhr jetzt sehr beeilt in die Hose,
und als nach einer Weile der nächtliche Umzug
wieder die Stiege beraufkam, da streckte er den
Kopf zur Türe heraus und rief: „Nanu — ?"
Todesstille. „Iutso,"meinteWoldemarKöppke
und nahm seinen Kovs wieder in die Stube
herein. Und nun wartete er, ob der Rumor sich
erneuere, tat, da alles still blieb, die Hose wieder
von sich, legte sich wieder nieder, löschte das Licht
aus und schlief abermals ein.
Aber nicht lange nnd der Spektakel ging von
vorne an, ärger als zuvor, also, daß Woldemar
Köppke wiederum erwachte, fluchend aus dem Bett
sprang, im Nu das Kerzenlicht wieder ansteckte
und damit zur Tür hinausleuchtete. Alles war
wieder still. „Verehrte Iroßmutter," sagte da
Herr Köppke, „nu klappen Sie man jefälligst
Ihr Iespensterooge zu! Ich kann nämlich Ihret-
wejen nich von zehn zu zehn Minuten in die Hose
hinein- und wieder herausfahren und sehe mich
deshalb zu meinem jroßen Bedauern jenötigt,
Ihnen als Hemdenmatz jejenüberzutreten. Ent-
schuldijen Sie jütigst! Sie aber, oller, ehrlicher Iroßpapa, nehmen Sie
bitte, Vernunft an und jondeln Sie doch nich in eener Tour die Treppe
rauf und runter! Oder wenn Sie schon unter allen Umständen sich dazu
verpflichtet fühlen, dann ziehen Sie wenigstens Ihre Stiewel aus und
machen Sie Ihre Schofe möglichst jeräuschlos! Ich bin hier Iast und
appelliere jerade als solcher an Ihre ehemalige Hotelierehre. Vier Nächte
nich aus den Kleidern jekommen und tagsüber von Jipfel zu Jipfel — Sie
erinnern sich vielleicht noch, was daö heißt, und daß da eener keenen nächt-
lichen Klaumauk jebrauchen kann. Und darum
jetzt Iott befohlen und anjenehme Irabesruhe
allseits!" — Und damit zog sich Woldemar Köppke
in sein Schlafgemach zurück und legte sich wieder
ins Bett. Auf der Stiege draußen aber sprach der
Großvater mit hauchender Geisterstimme: „Katbl,
da geh' ma für heut! Da kömma ma liaber a
andersmal wieder! Dös iS a Preiß!"
Lustige Weltchronik
Ein bekannter Dichter und Dramatiker kam
gelegentlich einer Amerikareise durch eine kleine
Stadt, Georgetown, und sah, daß zufällig auf
dem Theaterzettel ein Stück von ihm stand. Er
ging näher, um sich die Besetzung anzusehen —
aber wie erstaunte er, als er fett gedruckt auf
dem Zettel den Reklameruf fand: „Der Verfasser
wird sich am Schluß der Vorstellung persönlich
zeigen!" Er ging abends ins Theater und wahr-
hastig - als der Vorhang zum letztenmale siel,
trat sein leibhaftiges Ebenbild vor den Vorhang.
Als der Dichter das erste Gruseln abgeschüttelt
hatte, ging er ins Direktionsbüro und erkundigte
sich nach seinem Doppelgänger. Man rief und
alsbald kam ein Mann hereingestürzt, der dem
Dichterzu Füßen siel und ihn beschwor, ihn nur nicht
zu verraten: Er stelle jeden gewünschten Dichter
dar und die braven Georgtowner seien glücklich,
wenn sie einmal einen Mann aus der großen Welk
zu sehen bekämen." Früher bin ich Friseur gewe-
sen, aber damit konnte ich meine Frau und zehn
Kinder nicht ernähren, jetzt geht es leidlich, gott-
lob, bitte verraten Sie mich aber nicht!" stammelte
der Darsteller aller Dichter. „Und kein George-
towner merkt etwas?" fragte wohlwollend der
Dramatiker. „Bei meiner Ehre, Herr Doktor!"
rief der ehemalige Friseur, „ich habe schon Goetbe
dargcstellt und niemand hat was gemerkt!"
Ein unternehmungslustiger Mann in London,
der gerade nicht wußte, in was für neue Pläne
er sein Geld stecken sollte, kam auf den Gedanken,
eine „Gesellschaft für Weltrundfunk" zu gründen,
die alle Länder des Britischen Reiches rund um
den Erdball mit Radio-Veranstaltungen versor-
gen sollte. Etliche Hilfskräfte waren bald gefun-
den, die technische Seite der Sache machte auch
keine großen Schwierigkeiten, das umfangreiche
Programm wurde nach bewährten Mustern auf-
gestellt, und nu» ging's los mit dem Funken -
immer lustig frisch weg! Aber wie staunte man,
als nach den ersten drei Tagen das Büro gehäuft
voll von Beschwerdetelegrammen und Eil-Drohbriefen lag! - Was war ge-
schehen? Man hatte vergeffen, die Zeitunterschiede an den verschiedenen Stellen
des Globus mit in Rechnung zu stellen, und so kam es, daß abendliche Tanz-
musik die Farmer in Sidney beim Frühstück überfiel und die Kanadier nachts
aus dem Bett geschreckt wurden, um Vorträge zu hören.
Im Zeichen des Abbaues
„ Warum hat mohl der Stationsbeamte
der Bahn nach Hinter st einenberg von der
Bahnoermaltung ein Fahrrad erhalten ?“
„Um zu sparen, versieht er nun auf alten
Stationen den Bahndienst, indem er
jemeilen dem Zug auf dem Fahrrad
oorausfährt
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Woldemar Köppke kam von einer mehrtägigen Hochtour ins Tal herab
und freute sich auf ein normales Bett. Das einzige Wirtshaus in dem
kleinen Dorf war aber schon vollbesetzt und das dazugehörige Nebenhaus
(Zuhäusl nennt man es dortlands) — ja, damit
war es so eine Sache. Die Einheimischen wuß-
ten es alle. Warum aber auch noch Fremden die
unheimliche Geschichte auf die Nase binden? Der
Wirt wich darum aus, als Woldemar Köppke
auf das Zuhäusl hinwies. Die Geschichte war
nämlich die, daß es in dem Zuhäusl umging; nicht
immer zwar, aber doch zur rechten Zeit.
Der Großvater und die Großmutter des jetzi-
Wirts „reigierten" darin seit ihrem Tod. Der
Großvater, wie die Dörfler behaupteten, wegen
seiner allzu anfechtbaren Viehhandelschaften und
die Großmutter infolge ihrer lebenslangen Milch-
pantscherei. Schließlich, da er sich vor Woldemar
Köppkes Drängen nicht mehr .anders zu helfen
wußte, sagte es ihm der Wirt, ja, quartierte den
Touristen, der erklärte, „so 'n Ieist käme ihm
jerade recht," im Obergeschoß des ZuhäuSlse in.
Alsbald entschlief Woldemar Köppke. Er
glaubte noch nicht lange geschlafen zu haben, als
er es die knarrende Stiege herauf und an
seiner Zimmertür vorüberkommen hörte; in schwe-
ren Stiefeln und schlürfenden Pantoffeln, wie
es schien. Dann ging eine Tür auf und er hörte
aus dem Raum neben seiner Stube die gleichen
Geräusche. Sodann wieder Tür zu und das Ge-
trappe und Geschlürft wieder treppab und hinun-
ter anscheinend bis in den Keller. Herr Köppke,
der sogleich Licht gemacht hatte und horchend im
Bette aufsaß, fuhr jetzt sehr beeilt in die Hose,
und als nach einer Weile der nächtliche Umzug
wieder die Stiege beraufkam, da streckte er den
Kopf zur Türe heraus und rief: „Nanu — ?"
Todesstille. „Iutso,"meinteWoldemarKöppke
und nahm seinen Kovs wieder in die Stube
herein. Und nun wartete er, ob der Rumor sich
erneuere, tat, da alles still blieb, die Hose wieder
von sich, legte sich wieder nieder, löschte das Licht
aus und schlief abermals ein.
Aber nicht lange nnd der Spektakel ging von
vorne an, ärger als zuvor, also, daß Woldemar
Köppke wiederum erwachte, fluchend aus dem Bett
sprang, im Nu das Kerzenlicht wieder ansteckte
und damit zur Tür hinausleuchtete. Alles war
wieder still. „Verehrte Iroßmutter," sagte da
Herr Köppke, „nu klappen Sie man jefälligst
Ihr Iespensterooge zu! Ich kann nämlich Ihret-
wejen nich von zehn zu zehn Minuten in die Hose
hinein- und wieder herausfahren und sehe mich
deshalb zu meinem jroßen Bedauern jenötigt,
Ihnen als Hemdenmatz jejenüberzutreten. Ent-
schuldijen Sie jütigst! Sie aber, oller, ehrlicher Iroßpapa, nehmen Sie
bitte, Vernunft an und jondeln Sie doch nich in eener Tour die Treppe
rauf und runter! Oder wenn Sie schon unter allen Umständen sich dazu
verpflichtet fühlen, dann ziehen Sie wenigstens Ihre Stiewel aus und
machen Sie Ihre Schofe möglichst jeräuschlos! Ich bin hier Iast und
appelliere jerade als solcher an Ihre ehemalige Hotelierehre. Vier Nächte
nich aus den Kleidern jekommen und tagsüber von Jipfel zu Jipfel — Sie
erinnern sich vielleicht noch, was daö heißt, und daß da eener keenen nächt-
lichen Klaumauk jebrauchen kann. Und darum
jetzt Iott befohlen und anjenehme Irabesruhe
allseits!" — Und damit zog sich Woldemar Köppke
in sein Schlafgemach zurück und legte sich wieder
ins Bett. Auf der Stiege draußen aber sprach der
Großvater mit hauchender Geisterstimme: „Katbl,
da geh' ma für heut! Da kömma ma liaber a
andersmal wieder! Dös iS a Preiß!"
Lustige Weltchronik
Ein bekannter Dichter und Dramatiker kam
gelegentlich einer Amerikareise durch eine kleine
Stadt, Georgetown, und sah, daß zufällig auf
dem Theaterzettel ein Stück von ihm stand. Er
ging näher, um sich die Besetzung anzusehen —
aber wie erstaunte er, als er fett gedruckt auf
dem Zettel den Reklameruf fand: „Der Verfasser
wird sich am Schluß der Vorstellung persönlich
zeigen!" Er ging abends ins Theater und wahr-
hastig - als der Vorhang zum letztenmale siel,
trat sein leibhaftiges Ebenbild vor den Vorhang.
Als der Dichter das erste Gruseln abgeschüttelt
hatte, ging er ins Direktionsbüro und erkundigte
sich nach seinem Doppelgänger. Man rief und
alsbald kam ein Mann hereingestürzt, der dem
Dichterzu Füßen siel und ihn beschwor, ihn nur nicht
zu verraten: Er stelle jeden gewünschten Dichter
dar und die braven Georgtowner seien glücklich,
wenn sie einmal einen Mann aus der großen Welk
zu sehen bekämen." Früher bin ich Friseur gewe-
sen, aber damit konnte ich meine Frau und zehn
Kinder nicht ernähren, jetzt geht es leidlich, gott-
lob, bitte verraten Sie mich aber nicht!" stammelte
der Darsteller aller Dichter. „Und kein George-
towner merkt etwas?" fragte wohlwollend der
Dramatiker. „Bei meiner Ehre, Herr Doktor!"
rief der ehemalige Friseur, „ich habe schon Goetbe
dargcstellt und niemand hat was gemerkt!"
Ein unternehmungslustiger Mann in London,
der gerade nicht wußte, in was für neue Pläne
er sein Geld stecken sollte, kam auf den Gedanken,
eine „Gesellschaft für Weltrundfunk" zu gründen,
die alle Länder des Britischen Reiches rund um
den Erdball mit Radio-Veranstaltungen versor-
gen sollte. Etliche Hilfskräfte waren bald gefun-
den, die technische Seite der Sache machte auch
keine großen Schwierigkeiten, das umfangreiche
Programm wurde nach bewährten Mustern auf-
gestellt, und nu» ging's los mit dem Funken -
immer lustig frisch weg! Aber wie staunte man,
als nach den ersten drei Tagen das Büro gehäuft
voll von Beschwerdetelegrammen und Eil-Drohbriefen lag! - Was war ge-
schehen? Man hatte vergeffen, die Zeitunterschiede an den verschiedenen Stellen
des Globus mit in Rechnung zu stellen, und so kam es, daß abendliche Tanz-
musik die Farmer in Sidney beim Frühstück überfiel und die Kanadier nachts
aus dem Bett geschreckt wurden, um Vorträge zu hören.
Im Zeichen des Abbaues
„ Warum hat mohl der Stationsbeamte
der Bahn nach Hinter st einenberg von der
Bahnoermaltung ein Fahrrad erhalten ?“
„Um zu sparen, versieht er nun auf alten
Stationen den Bahndienst, indem er
jemeilen dem Zug auf dem Fahrrad
oorausfährt
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Im Zeichen des Abbaues"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsdatum
um 1927
Entstehungsdatum (normiert)
1922 - 1932
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 167.1927, Nr. 4279, S. 68
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg