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Gingerbubblekuddledaddle!

Mister Daddy war Eintänzer im Dancing
Palace. Besitzer der saloppsten Charlestonehose
und der schicksten Rückentätowierung von ganz
New Port. Heißer Favorit des Lower Broadway
und der Fifth Avenue. Seine Schultern erinner-
ten an den Weltmeister Tunney und seine Taille
ging durch jeden besseren Serviettenring. Be-
ständig war er von einem diskreten Absynthduft
umwittert, der die prohibitionistischen Ladies in
Verzückung versetzte.

Miß Maggi O' Bouillon, einzige Tochter eines
Suppenwürfelmillionärs aus Cincinnati, war
diesem Parfüm verfallen, seit Mister Daddy's
entrückte Mondaugen zum ersten Mal über ihrem
blonden Etonscheitel geschwebt hatten,
während er sie in seinem Arm mit nacht-
wandlerischer Sicherheit durch alle Fähr-
lichkeiten des „Black Bottom" hindurch-
lavierte. Miß Maggi'sLiebehieltsich sogar
während der gewaltigen Hitzewelle. Sie
verschmähte die sanften Lüfte von „Palm
Brach" und verbrachte Abend für Abend,
bei sechzig Grad Celsius im Vollmond,
auf der Dachterrasse des Dancing Palace.

Eines Abends war es so heiß, daß den
Leuten die Goldplomben im Munde weg-
schmolzen. Die Limonaden brodelten in
den Gläsern und die hauchzarten Crepe-
roben der Damen welkten dahin wie Ro-
senblätter in einer warmen Rocktasche.

Mister Daddy tanzte zum siebenunddrei-
ßigsten Male Miß Maggi „ein."

Die Niggerband gröhlte, dampfend
vor Vergnügen, einen mitleidlosen Jazz.

Plötzlich wird Miß Maggi durch eine
auffallende und unerklärliche Unruhe ihres
Partners irritiert. Die hochmütige Maske
seines puderbleichen Gesichts wird in
kurzen Intervallen von Zuckungen aufge-
wühlt. Seine Fingernägel bohren sich in
ihr verschwenderisches Rückendekolletee. Er wirft die Augäpfel wie weiße
Billardbälle wild durcheinander. Sein Rückgrat gerät in wellenartige
Schwingungen. Der ganze Körper zuckt wie galvanisiert. Immer tur-
bulenter wird der Rhythmus. Die Hosenbeine schleudern ekstatisch, wie
in Verzückung geratene Rettungsschläuche . . .

Miß Maggi macht übermenschliche Anstrengungen, im Takt zu
bleiben. Auch sie zuckt, ruckt und schleudert.

„A new dance? Is n't it??“ flüstert sie hingerissen.

,.Yes, it is! I “ stöhnt Mister Daddy.

Die Augen hängen ihm stier aus dem Kopfe. Er schüttelt sich. Stampft
und schlingert. Sackt zusammen. Spiralt sich hoch. Scheuert mit den
Absätzen seiner funkelnden Jimmyschuhe an seinem Wadenbein . . .

Die übrigen Paare haben zu tanzen aufgehört und verfolgen mit
ehrfürchtiger Bewunderung alle Phasen des namenlosen Tanzes. Den
Jazzbanditen bricht vor Begeisterung der Schweiß in Strömen aus.

Mit wilder Hingabe an die gewaltige Sache
gehen sie auf jede Caprice Mister Daddy's ein.
Nie erlebte Rhytmen schäumen auf. Die un-
wahrscheinlichsten Dissonanzen werden geboren.
Die Schlagzeuge brüllen fanatisiert. Das
Saxophon heult wie eine abgehetzte Schiffssirene.
Mitgurgelndcn, schnalzenden Lauten,mitZähne-
fletschen und epileptischen Verrenkungen be-
feuern die Nigger das Publikum, bis Paar um
Paar sich in die hypnotischen Rhythmen stürzt.

„Gingerbubblekuddledaddle... Gingerbubb-
lekuddledaddle. . ." gröhlen die Nigger.

„Ginger... bubble... kuddle... daddle.."
stammelt das Publikum hingerissen mit. Alles
tanzt jetzt. Alles fiebert vor Ehrgeiz, die genialen
Intuitionen Mister Daddy's nachzu-
ahmen. Alles ruckt, zuckt, schuppert und
bubbert. Man tritt sich mit kindlichem
Entzücken gegenseitigSchien- undNasen-
beine ein. Man berauscht sich bis pm
Paroxsymus an der kannibalischen Snm-
phonie: „Gingerbubblekuddledaddle!!"

Bis die Schlagzeuge nur noch ein
heiseres Bellen bervorquälen. Und das
Saxophon in einem erschöpftem Jaulen
dabinstirbt . . .

Die Dachterrasse des Dancing Palace
ist mit entgleisten Gliedmaßen, zertrüm-
merten Kniescheiben und anderen mensch-
lichen Fragmenten bedeckt. Einige zwanzig
Personen haben durch Lungenschlag einen
beneidenswerten Tod auf der Walstatt
gesunden. Kein Sieg ohne Opfer! Und
hier ist soeben ein Sieg von unausdenk-
barer Tragweite errungen worden. Ein
Weltsieg! Kulturhistorische Eroberung!
Ein neuer Tanz ist geboren!!
Der „Gingerbubblekuddledaddle"!!!
Three cheers kor America!!!

Bevor sich die Musikinstrumente wieder
erholt haben, drückt Mister Daddy sich
verstohlen aus dem Tohuwabohu und sucht einen entlegenen Ort auf.
Dort, in der köstlichen Einsamkeit seines „BuonRetiro“, zerbricht die
verzweifelte Starrheit seines blaffen Gesichts in einem tieferlösten
Lächeln. Er reißt sich Weste und Hemd herunter. Sucht mit fliegenden
Fingern. Und fördert endlich aus den Tiefen seiner Charlestonhose —
— eine halbzerquetschte Wespe!!

Fast zärtlich versenkt er sich in ihre letzten Zuckungen, bevor er sie
dem gurgelnden Strudel übergibt . . .

„Gingerbubblekuddledaddle...???" C-on.

Die Warnung

„In der hygienischen Ausstellung wurde auch der Magen eines Trin-
kers gezeigt! Ganz übel ist mir bei dem schrecklichen Anblick geworden!"
„Wirst du 'S dir zur Warnung dienen lassen?"

„Selbstverständlich! Nie gehe ich mehr in so eine Ausstellung!"

HERBSTAHNUNG

Noch einmal fliegt ein stilles Leuchten
Durch dieser Landschaft weite Fläche.

Ein müder Acker brennt und loht.

In allen Tiefen liegen Schatten
Wie blaues Glas auf sattem Rot.

- Kurz ist dein Scheinen jetzt, o Sonne!
Gealtert dünkt dein Wesen mir -
Doch wahrer. - Weil in jenen Wäldern,
Die fern den Horizont umschatten.

Die Nacht liegt, die den Winter birgt.

. . . Wie oft ein Lachen deckt ein Weinen,
So scheint mir, liegt ein Leid versteckt
ln diesem Sprühen und Verscheinen.

. . . Ein Leid - das still bald Schnee
bedeckt. Otto Ehrhart

Einkehr

, Warum so niedergedrückt, Lilly ?“
„Ich habe mir heute über meine Ver-
gangenheit mahrsagen lassen.“
„Na — und . . . ?“

„Alles hat gestimmt!“

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Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Einkehr"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Geis, Josef
Entstehungsdatum
um 1927
Entstehungsdatum (normiert)
1922 - 1932
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 167.1927, Nr. 4291, S. 210

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Erschließung

Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
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