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Das Mädchen mit den Cyankaliaugen

Der Roman eines Filmstars

I.

Endlich war es der „Oha" Film Ltd. gelungen, für die Titelrolle ihres
Koloffal-Sittendramas „Das Mädchen mit den Cyankaliaugen" eine ge-
eignete Darstellerin zu finden.

Joe Triptyc, Filmagent und vereidigter Sachverständiger in Kinostars
und anderen Modeartikeln, hatte sie mit seinem verblüffenden Instinkt für
Talente in einer Abfalltonne entdeckt, die sie mit ihrer blinden Großmutter
und vier jüngeren Geschwistern bewohnte. Er legte sie drei Tage in gute
Sobalauge. Kaufte ihr bei Woolworth die notwendigsten Kleidungsstücke
- einen reinseidenen Büftenschoner und für zwei Dollar fünfzig ein Per-
lenkollier — und brachte sie im Triumph zu William Kitschmaker, dem
weltberübmten Rcgiffeur der Oha-Gesellschaft.

„Hier, Mr. Kitchmaker, Ihr neuester Schlager: der weibliche Vampyr!
Kind, Teufel, Seraph und Klapperschlange — alles in einem!! Der auf-
gelegte Tup für Ihr Cyankalimädchen. Ei» Augenausschlag von der bringt
mehr ein als die Tutti, die Nutti, die Slagovers, die
Quaffeltwist und alle zusammen! Greifen Sie zu, Wil-
liam Kitchmaker!"

William Kitchmaker griff zu.

Nachdem er den zukünftigen Star durch dreizehn
Filmoperateure und eine Schönheitsjury, bestehend aus
einem Augendiagnostiker und zwei renommierten Beino-
logen, gewiffenhaft auf sämtliche Vor- und Nachzüge
halte prüfen lasten, teilte er ihr den Befund mit.

„Well, meine liebe Miß — wie bitte . . ?"

„Ann Keespaper."

„Macht nichts! Sie heißen ab heute Sennorita An-
gina de los Canallias. Verstanden? Wir engagieren
Sie mit einer Jahresgage von 50000 Dollars. Sie
müssen sich jedoch aus fiimtechnischen Gründen zuvor noch
einigen geringfügigen Korrekturen unterziehen. Ihre
Obren müffen um anderthalb Zentimeter zurückgesetzt
und die Stirn durch Abtrennen der Kopfhaut erhöht
werden. Ihre Beine sind an sich tadellos. Doch haben
Sie, offenbar durch ein Versehen der Natur, zwei linke
Füße, die natürlich ausgewechselt werden müffen. Außer-
dem haben Sie für die Verkörperung des modernen
weiblichen Vampyrtyps zu viel Gewicht. Mehr als aller-
höchstens 47 Kilo kann Ihnen die Gesellschaft nicht
bewilligen. Sie haben sich streng nach Vorschrift zu er-
nähren. Ein halbes Ei, sechs Dörrpflaumen und der
Geruch von gebratenem Rumsteak dürfte genügen. Sie
beiraten den unserer Gesellschaft zu Reklamezwecken
verpflichteten Prinzen Achilles von und zu Pleitenfels,
der kommende Woche von der Kotzkowa frei wird. Nach
dreitätiger glücklicher Ehe verlieben Sie sich
spontan in den früheren Dompteur und der-
zeitigen Raubmörder Jack Killekilly, den un-
sere Company gleichfalls gegen eine einmalige
Ablösung von einer halben Million Dollars
von der Regierung erworben hat. Sie lasten
sich von ihm vorübergehend auf eine unentdeckte
Insel im Stillen Ozean entführen, die von einem uns gleichfalls kontraktlich
verpflichteten Papaloyasstamm bevölkert ist. Sie geraten in die Gewalt
des Häuptlings, werden zur „weißen Negerkönigin" gekrönt und flüchten
auf einem zufällig auf der Insel notlandenden Reklameflugzeug der Oha
Film Ltd. nach Hollywood zurück. Auf diese Weise wird bereits die halbe
Welt von Ihnen sprechen, noch ehe ein Meter von Ihnen gedreht ist.

Apropos — vergessen Sie nicht, daß Sie von Geburt eine vertriebene
Prinzessin von ... na, sagen wir, von Neufundland sind! Hier der Ver-
trag. Allright, Sennorita Angina??"

WilliamKitchmaker reichte ihr mit einer einladenden Verbeugung seinen
goldenen Füllfederhalter. Sennorita Angina de los Canallias war leider
des Schreibens unkundig. Sie malte drei entzückend originelle Kreuzchen.
Und fiel vor Glück in Ohnmachi.

II. ,

Joe Triptyc behielt Recht.

Das „Mädchen mit den Cyankaliaugen" wurde der gewaltigste Erfolg
der Oha Company. Angina de los Canallias hatte in diesem Film die
Aufgabe, ihre wunderbaren, gigantischen, pompesken Nachtschattenaugen
zirka siebenhundertfünfzigmal auf- und niederzuschlagen. Mit jedem einzigen
dieser Auf- und Niederschläge tötete sie einen Filmpartner. Zerstörte sie
ein Familicnglück. Erschlug sie zehn Konkurrentinnen. Eine Träne von ihr
rottete ganze Handelsschulen aus! Ihr Bild sprang
einen von jeder Plakatsäule, jeder Seifenschachtel und
jedem Päckchen Cichorie an. Ihr Name brüllte aus
Revueschlagern, Orchestrions, aus Radio, Propellern
und musikalischen Nachrhaferln. Man rauchte Canal-
liaSzigarren, gurgelte mit Anginagurgelwaffer, fraß
Cyankalitorte. Man ätzte sie sich auf Brust und Ober-
schenkel. Man ging mit ihr schlafen und stand mit ihr
auf. Die reinste Angina-Epidemie!!

Nachdem die Filmdiva den vertragsmäßigen Prinzen
sowie den Raubmörder hinter sich hatte, heiratete sie
auf eigene Faust blitzartig nacheinander den Multimil-
lionär Mynheer van Waatschenboom, den Zeitungs-
köuig Lewis Dementi, einen Kunstpfeifer und den
Schah von Persien. Unzählige Männer begingen
ihretwegen Selbstmord. Darunter auch einige, die nicht
von der Oha-Gesellschaft bezahlt wurden.

Aus aller Herren Länder wurden ihr die höchsten
Auszeichnungen zu Teil. Sie erhielt das Großkreuz für
Kunst und Wiffenschafk. Wurde Ehrenbürgerin der
Stadt Mirpickle in Wisconsin und General h. c. bei
der Heilsarmee. Angina de los Canallias wurde, nächst
der Jungfrau von Orleans und Anna Czillag, ,mc
populärste Frau der Welt . . .

III.

Bis sie sich, zwei Jahre später, in den Schwerge-
wichtsborer Bull Uppercutt verliebte. Das wurde >.hr
zum Verhängnis. Bei einer seiner schüchternen Lieb-
kosungen verlor sie einen Augenzabn. Vergebens be-
mühten sich die namhaftesten Dentisten, der Künstlerin
dieses kostbare Kleinod durch geschickte Nach-
ahmungen zu ersetzen. Das weltberühmte Lächeln
der schönen Angina war und blieb durch diese»
Unfall um mindestens vierzig Prozent entwertet.

Es sprach sich an der Filmbörse wie ein Lauf-
feuer herum. Angina merkte es zuerst daran,
daß ihr Lieblingshündche» kein Stück Brot
mehr von ihr nahm. Und Abends knallten die Lichtreklamen, statt „Angina
de los Canallias," einen »eugeprägten Starnamen an den Nachtbimmel . .

William Kitchmaker bestellte sie in sein Privatbureau Mid teilte ihr den
Befund mit. „Well, meine liebe Miß Keespap . . will sau Miß Canallias,
—' rcuse me! Ich habe ein blendendes Angebot für Sie. Sie spielen dein-
nächst die Titelrolle in unserem urkomischen Excentric-Filmschwank „Vom

Fingerspitzengefühl
„Mara, ich fühle es ganz deutlich, wenn ich dich so in
meinen Armen halte, wie rauh du sein kannst, es sind
Stacheln zwischen dir und mir - das muß anders werden:
Du hist wieder mal schlecht rasiert!!"

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Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Fingerspitzengefühl"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Krain, Willibald
Entstehungsdatum
um 1927
Entstehungsdatum (normiert)
1922 - 1932
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 167.1927, Nr. 4297, S. 284

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