FREIER LANDAUFENTHALT!
Am Sonntag Cantate tag neben meiner Frühstückstaffe ein Zei-
tungsausschnitt:
Seltene Gelegenheit
Gegen Beaussichtigung von Jungvieh wird rüstigem Ebeyaar
kostenfreier Landaufenthalt in solider, idyllisch ge-
legener Almhütte von Mitte Mai bi« Oktober geboten • . .
Meine Frau strahlte wie ein Christbaum: „Himmlisch! Mal
einen ganzen Sommer so durchfaulenzen! Und obendrein noch ganz
umsonst. Kein Tennismalch, keine Schönheitskonkurrenzen ... Bloß
Himmel und Wiese und die süßen herzigen kleinen Tiere!" Nämlich
das „Jungvieh". Und das mit der Beaufsichtigung will sie auch ganz
allein übernehmen. Kleinigkeit, wo sie sich auf Tiere so gut versteht!
Wo sic doch schon mit 8 Jahre» Tanzmäuse gezüchtet hat. Einen
ganzen Hutkarton voll! Also wie gesagt, bloß keine Sorge, von
wegen Jungvieh. Und überhaupt sei die Sache ja bereits perfekt, denk
mal Mucki ...! Und zum Fünfzehnten müßten wir schon „antreten .
Am fünfzehnten Mai pfefferte uns die „kalte Sophie" faustdicke
Hagelschloffen in den Reisepelz. Die „solide Almbütte" stand zu
Zweidrittel unter Waffer. Aber bei
dem abschüffigen Terrain bestand
immerhin Hoffnung, daß das Was-
ser noch im Laufe des Sommers
ablausen würde. Ein freundlicher
Mann erklärte uns etwas in einer
Fremdsprache, die sich anhörle, als
ob er bei jedem „ch" das Zäpfchen
verschlucken wollte. Dann sagte er
„Grüetsi!", huckte sich ein Bündel
auf und startete talwärts. Das
Jdpll gehörte uns nunmehr ganz
allein . . . Von den süßen herzigen
kleinen Tieren, den Entchen, Stall-
hasen, Eichkatzerln und so, war vor-
läufig noch kein Bein zu sehen. Die
seien gewiß schon in ihrem Körb-
chen, meinte Liffv. Und am Morgen
würden sic schon zum Vorschein kom-
men.
Und wahrhaftig, sie kamen zum
Vorschein. Sogar sehr! Bloß -
daß sie sich bei näherer Betrachtung
zu einer stattlichen Hornviebkerde
aurwuchsen, die unter gellenden
„Hüüeeh's" einer springvergnügten
Bauernmagd den Berg herange-
dampft kam! Ich schätzte in der ers-
ten Verwirrung beiläufig vierzig
Stück gemischtes Rindvieh. Dazu
als Dreingabe noch sieben bis drei-
tsbn Ziegen und ein recht respektab-
les Stierkalb. Die Tierchen braus-
len plantschend über d.e Almw.ese,
daß der Dreck haushoch um uns auf.
spritzte und wir zunächst hinterm
Heustadl Deckung suchten. Herauf
sagte auch die muntere Sennerin „Grüetsi" und verkrümelte sich
wieder talwärts . . . Von Stund an begann unser Kamps mit dem
Rindvieh. Man stelle sich vor: an fünfzig Stück beinahe ausgewach-
sene Zweihufer - genannt Jungvieh! - belagern unsere Hütte.
Tag und Nackt. Unmöglich, zwei Schritte vor's Haus zu tun, ohne
daß eine der gehörnten Bestien mit gierig gerecktem Hals und rol-
lenden Augen auf dich loskommt! Unmöglich, auch nur ein Fenster
zu öffnen. Schon glotzt ein Tierschädel drohend ins Zimmer . . .!
Wir wagten uns nicht mehr vor die Tür. Nachts schloffen wir kein
Auge vor Gebrüll und Gestampfe und dem ewigen Glockengcbim-
mel. Und jedesmal, wenn eine Kuh sich an der Hauswand fchrub-
berte, daß sich drinnen di« Balken bogen, verfiel Liffy in Schrei-
krämpfe. Sie hätte mal eine Geschichte gelesen, wo ein Mensch von
einer wilden Kuhherde ausgesreffen worden sei, jawohl und . . .
Einmal gab es einen furchtbaren Krach. Dann trockenes Rauschen
und ein dumpfes Durcheinander von Glocken. Die Biester hatten
den Heustadl eingedrückt und sich selber das Heu geholt, das wir aus
Versehen vergeffen hatte», ihnen zu geben. Seitdem lebten wir
Hitze von dreißig Grad im Schatten fahren Sie die Kinder aus der Land-
nicht in, Schatten!"
„Unerhört! Bei einer
straße!?" - „Ich fahr ja
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Am Sonntag Cantate tag neben meiner Frühstückstaffe ein Zei-
tungsausschnitt:
Seltene Gelegenheit
Gegen Beaussichtigung von Jungvieh wird rüstigem Ebeyaar
kostenfreier Landaufenthalt in solider, idyllisch ge-
legener Almhütte von Mitte Mai bi« Oktober geboten • . .
Meine Frau strahlte wie ein Christbaum: „Himmlisch! Mal
einen ganzen Sommer so durchfaulenzen! Und obendrein noch ganz
umsonst. Kein Tennismalch, keine Schönheitskonkurrenzen ... Bloß
Himmel und Wiese und die süßen herzigen kleinen Tiere!" Nämlich
das „Jungvieh". Und das mit der Beaufsichtigung will sie auch ganz
allein übernehmen. Kleinigkeit, wo sie sich auf Tiere so gut versteht!
Wo sic doch schon mit 8 Jahre» Tanzmäuse gezüchtet hat. Einen
ganzen Hutkarton voll! Also wie gesagt, bloß keine Sorge, von
wegen Jungvieh. Und überhaupt sei die Sache ja bereits perfekt, denk
mal Mucki ...! Und zum Fünfzehnten müßten wir schon „antreten .
Am fünfzehnten Mai pfefferte uns die „kalte Sophie" faustdicke
Hagelschloffen in den Reisepelz. Die „solide Almbütte" stand zu
Zweidrittel unter Waffer. Aber bei
dem abschüffigen Terrain bestand
immerhin Hoffnung, daß das Was-
ser noch im Laufe des Sommers
ablausen würde. Ein freundlicher
Mann erklärte uns etwas in einer
Fremdsprache, die sich anhörle, als
ob er bei jedem „ch" das Zäpfchen
verschlucken wollte. Dann sagte er
„Grüetsi!", huckte sich ein Bündel
auf und startete talwärts. Das
Jdpll gehörte uns nunmehr ganz
allein . . . Von den süßen herzigen
kleinen Tieren, den Entchen, Stall-
hasen, Eichkatzerln und so, war vor-
läufig noch kein Bein zu sehen. Die
seien gewiß schon in ihrem Körb-
chen, meinte Liffv. Und am Morgen
würden sic schon zum Vorschein kom-
men.
Und wahrhaftig, sie kamen zum
Vorschein. Sogar sehr! Bloß -
daß sie sich bei näherer Betrachtung
zu einer stattlichen Hornviebkerde
aurwuchsen, die unter gellenden
„Hüüeeh's" einer springvergnügten
Bauernmagd den Berg herange-
dampft kam! Ich schätzte in der ers-
ten Verwirrung beiläufig vierzig
Stück gemischtes Rindvieh. Dazu
als Dreingabe noch sieben bis drei-
tsbn Ziegen und ein recht respektab-
les Stierkalb. Die Tierchen braus-
len plantschend über d.e Almw.ese,
daß der Dreck haushoch um uns auf.
spritzte und wir zunächst hinterm
Heustadl Deckung suchten. Herauf
sagte auch die muntere Sennerin „Grüetsi" und verkrümelte sich
wieder talwärts . . . Von Stund an begann unser Kamps mit dem
Rindvieh. Man stelle sich vor: an fünfzig Stück beinahe ausgewach-
sene Zweihufer - genannt Jungvieh! - belagern unsere Hütte.
Tag und Nackt. Unmöglich, zwei Schritte vor's Haus zu tun, ohne
daß eine der gehörnten Bestien mit gierig gerecktem Hals und rol-
lenden Augen auf dich loskommt! Unmöglich, auch nur ein Fenster
zu öffnen. Schon glotzt ein Tierschädel drohend ins Zimmer . . .!
Wir wagten uns nicht mehr vor die Tür. Nachts schloffen wir kein
Auge vor Gebrüll und Gestampfe und dem ewigen Glockengcbim-
mel. Und jedesmal, wenn eine Kuh sich an der Hauswand fchrub-
berte, daß sich drinnen di« Balken bogen, verfiel Liffy in Schrei-
krämpfe. Sie hätte mal eine Geschichte gelesen, wo ein Mensch von
einer wilden Kuhherde ausgesreffen worden sei, jawohl und . . .
Einmal gab es einen furchtbaren Krach. Dann trockenes Rauschen
und ein dumpfes Durcheinander von Glocken. Die Biester hatten
den Heustadl eingedrückt und sich selber das Heu geholt, das wir aus
Versehen vergeffen hatte», ihnen zu geben. Seitdem lebten wir
Hitze von dreißig Grad im Schatten fahren Sie die Kinder aus der Land-
nicht in, Schatten!"
„Unerhört! Bei einer
straße!?" - „Ich fahr ja
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Unerhört!"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1928
Entstehungsdatum (normiert)
1923 - 1933
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 169.1928, Nr. 4328, S. 31
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg