COUE IN DER WESTENTASCHE
Vor ein paar Wochen suchte ich nach längerer Pause wieder mal
meinen Freund Killinger heim. Zwecks Wiederherstellung der Be-
stehungen und — einer kleinen Anleihe von 50 Emm. Ich traf ihn
noch im Bett, mit einem komischen schwarzen Lederriemen um die
Stirn. „Du hast wohl auch den Radiofimmel?" fragte ich ihn.
„Weil du sogar mit Kopfhörern schläfst." Er lächelte nachsichtig.
„Kopfhörer ist gut! Mein Lieber, das ist kein Kopfhörer - sondern
ein „Konzentrator." Jawohl! Ich war gerade bei der Morgenübung."
Ich begriff nicht sofort.
„Nämlich - verstehst du - ich bin seit einiger Zeit Coueist.
Famose Sache, kann ich dir sagen! Absolut sicher! Seitdem ich nach
der Methode arbeite, geht mir alles glatt. Kein Ärger mehr, keine
Sorgen, kein Mißerfolg! Es geht
mir täglich bester und immer bester!"
Jetzt wurde ich neugierig.
„Und wie macht man das?"
„Ganz einfach! Du mußt zunächst
mal deine Zirbeldrüse anregen..."
„Zirbel . . .?" - „ . . . drüse,
jawohl. Glandula pinealis! Nämlich
— damit sich kein Gehirnsand bildet,
verstehst du? Also: — du legst dich
drei-bis viermal im Tag ganz be-
quem auf die Chaiselongue . . ."
„Sehr angenehm!"
„Blendest durch absolutes Nichts-
denken und Nichtstun dein Ober-
bewußtsein ab . . ."
„Noch angenehmer!"
„Dann schnallst du dir den Kon-
zentrator um den Kopf und sagst das,
was du gern haben oder erreichen
möchtest, ein paarmal hintereinander
laut und klar vor dich hin, zum
Beispiel: „Ich freue mich auf die
Arbeit! Die Arbeitmachtmir Spaß
und wird mir gelingen! Ich sehne
mich nach Arbeit ..." — „Aber ich denk'
ja gar nicht dran! Ich pfeife auf Arbeit!"
„Eben darum! Deine chronische Faul-
heit ist auch eine Art von Krankheit. Und
jede Krankheit, - sagt Coue - überhaupt
jedes Übel kommt bloß von „falschem
Denken" . . ."
„Aha," lenkte ich vorsichtig auf den
eigentlichen Zweck meines Besuches über.
„Auch der - Dalles?" — „Natürlich!"
„Schön! Wenn ich mich jetzt also hier auf die Chaiselongue lege
und abblende und die Zwirbel . . . oder was für 'ne Drüse anrege
und mir vorsage: „Ich kriege jetzt sofort 50 Mark. Mein Freund
Killinger pumpt mir bestimmt 50 Mark! Ich weiß, ich bekomme das
Geld. Ich babe es schon!!" Was dann . . .?"
„Dann — " feixte er höhnisch, „dann ist das pure Einbildung von
dir! Denn dein Freund Killinger pumpt dir kein Zehnerl — fällt
ihm nicht ein! Aber schenken will ich dir was . ."Er kramte aus seinem
Nachtkastl ein zerfetztes Heftchen. „Nimm das mit. Das ist so gut
wie Bargeld! Wenn du die Sache intus hast, kann dir nichts mehr
passieren. Garantiert! So —jetzt muß ich in meiner Kraftdenkübung
fortfahren. Auf Wiedersehen, mein Lieber! Heil und Sieg!"
Ich schlich ziemlich bedeppert aus dem Zimmer. Draußen hörte ich
ihn noch deklamieren: „Es geht mir von Tag zu Tag und in jeder
Hinsicht bester und immer bester . . .!"
Jawohl. Ihm vielleicht. Aber mir nicht! Mir geht es miserabel.
Und immer miserabler. In jeder Hinsicht! Trotzdem ich das Heftchen
von A bis Z auswendig gelernt babe und erakt nach Vorschrift lebe.
Woran das liegt, weiß ich nicht. Ich tue-doch wahrhaftig alles. Ich
liege mindestens drei Stunden täglich auf meiner Chaiselongue.
Manchmal sogar den ganzen Tag!
Ich entspanne mich. Ich krastdenke.
Ich setze meine Zirbeldrüse in ge-
radezu fieberhafte Tätigkeit. Ausge-
schloffen, daß sich auch nur ein Körn-
chen Gehirnsand bei mir bilden
kann! Und trotzdem — — nichts
gelingt mir — rein garnichts. Bloß
beispielsweise: — meine Frau . . .
na, sie ist keine Schönheit. Oder —
ganz offengestanden — sie ist mies.
Ausgesprochen mies. Wenigstens ich
finde das. Aber nun sag ich mir:
vielleicht kommt das auch bloß vom
„falschen Denken!" Und übe jetzt
tagtäglich vor dem Schlafengehen
den Satz: „Meine Sabine ist eine
Schönheit! Sie gefällt mir von Tag
zu Tag bester und bester! Sie ist gar-
nicht so mies! Sie ist nicht im ge-
ringften mies!" Schon drei Wochen
mach ich jetzt die Übung. Tagtäglich.
Aber glauben Sie, daß sie davon
auch nur ein Wimmerl weniger be-
kommt? Im Gegenteil! Ich versteh
das nicht. Vielleicht muß ich doch noch mehr
„abblenden" . . .?
Und so geht 's mir mit allem. Auch be-
ruflich. Jedesmal wenn ich ein Manu-
skript verschicke, schnalle ich mir den Kon-
zentrator um und sage fünf- bis zehnmal
laut vor mich hin: „Meine Novelle ist gut.
Sie ist ganz ausgezeichnet. Die Redak-
tionen werden sich darum reißen. Die No-
velle wird ganz bestimmt angenommen. Sie
ist schon angenommen!" Und schon mit der nächsten Morgenpost
kommt sie prompt wieder zurück. Ich kann mir das einfach nur so er-
klären, daß vielleicht der Redakteur „falsch denkt." Vielleicht müßte
der auch mit dem Konzentrator arbeiten, damit es klappt. Aber dar-
über steht bei Couö nichts näheres. Wie gesagt — irgendwas stimmt
da nicht ganz . . .
Wohingegen bei meinem Freund Killinger —da stimmt alles wie
gestanzt. Der versteht seinen Coue aus dem ff. Denken Sie bloß —
Prüfe dein Gewicht!
Hier sieht man stehen eine Wage.
Wie man sie seh’n kann alle Tage.
Doch wer genauer schaut, erblickt
Drauf einen Spähen voller Sorgen,
Denn er will missen, mas er wiegt.
Wer wird ihm die zehn Pfennig borgen ?
Sch nid i
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Vor ein paar Wochen suchte ich nach längerer Pause wieder mal
meinen Freund Killinger heim. Zwecks Wiederherstellung der Be-
stehungen und — einer kleinen Anleihe von 50 Emm. Ich traf ihn
noch im Bett, mit einem komischen schwarzen Lederriemen um die
Stirn. „Du hast wohl auch den Radiofimmel?" fragte ich ihn.
„Weil du sogar mit Kopfhörern schläfst." Er lächelte nachsichtig.
„Kopfhörer ist gut! Mein Lieber, das ist kein Kopfhörer - sondern
ein „Konzentrator." Jawohl! Ich war gerade bei der Morgenübung."
Ich begriff nicht sofort.
„Nämlich - verstehst du - ich bin seit einiger Zeit Coueist.
Famose Sache, kann ich dir sagen! Absolut sicher! Seitdem ich nach
der Methode arbeite, geht mir alles glatt. Kein Ärger mehr, keine
Sorgen, kein Mißerfolg! Es geht
mir täglich bester und immer bester!"
Jetzt wurde ich neugierig.
„Und wie macht man das?"
„Ganz einfach! Du mußt zunächst
mal deine Zirbeldrüse anregen..."
„Zirbel . . .?" - „ . . . drüse,
jawohl. Glandula pinealis! Nämlich
— damit sich kein Gehirnsand bildet,
verstehst du? Also: — du legst dich
drei-bis viermal im Tag ganz be-
quem auf die Chaiselongue . . ."
„Sehr angenehm!"
„Blendest durch absolutes Nichts-
denken und Nichtstun dein Ober-
bewußtsein ab . . ."
„Noch angenehmer!"
„Dann schnallst du dir den Kon-
zentrator um den Kopf und sagst das,
was du gern haben oder erreichen
möchtest, ein paarmal hintereinander
laut und klar vor dich hin, zum
Beispiel: „Ich freue mich auf die
Arbeit! Die Arbeitmachtmir Spaß
und wird mir gelingen! Ich sehne
mich nach Arbeit ..." — „Aber ich denk'
ja gar nicht dran! Ich pfeife auf Arbeit!"
„Eben darum! Deine chronische Faul-
heit ist auch eine Art von Krankheit. Und
jede Krankheit, - sagt Coue - überhaupt
jedes Übel kommt bloß von „falschem
Denken" . . ."
„Aha," lenkte ich vorsichtig auf den
eigentlichen Zweck meines Besuches über.
„Auch der - Dalles?" — „Natürlich!"
„Schön! Wenn ich mich jetzt also hier auf die Chaiselongue lege
und abblende und die Zwirbel . . . oder was für 'ne Drüse anrege
und mir vorsage: „Ich kriege jetzt sofort 50 Mark. Mein Freund
Killinger pumpt mir bestimmt 50 Mark! Ich weiß, ich bekomme das
Geld. Ich babe es schon!!" Was dann . . .?"
„Dann — " feixte er höhnisch, „dann ist das pure Einbildung von
dir! Denn dein Freund Killinger pumpt dir kein Zehnerl — fällt
ihm nicht ein! Aber schenken will ich dir was . ."Er kramte aus seinem
Nachtkastl ein zerfetztes Heftchen. „Nimm das mit. Das ist so gut
wie Bargeld! Wenn du die Sache intus hast, kann dir nichts mehr
passieren. Garantiert! So —jetzt muß ich in meiner Kraftdenkübung
fortfahren. Auf Wiedersehen, mein Lieber! Heil und Sieg!"
Ich schlich ziemlich bedeppert aus dem Zimmer. Draußen hörte ich
ihn noch deklamieren: „Es geht mir von Tag zu Tag und in jeder
Hinsicht bester und immer bester . . .!"
Jawohl. Ihm vielleicht. Aber mir nicht! Mir geht es miserabel.
Und immer miserabler. In jeder Hinsicht! Trotzdem ich das Heftchen
von A bis Z auswendig gelernt babe und erakt nach Vorschrift lebe.
Woran das liegt, weiß ich nicht. Ich tue-doch wahrhaftig alles. Ich
liege mindestens drei Stunden täglich auf meiner Chaiselongue.
Manchmal sogar den ganzen Tag!
Ich entspanne mich. Ich krastdenke.
Ich setze meine Zirbeldrüse in ge-
radezu fieberhafte Tätigkeit. Ausge-
schloffen, daß sich auch nur ein Körn-
chen Gehirnsand bei mir bilden
kann! Und trotzdem — — nichts
gelingt mir — rein garnichts. Bloß
beispielsweise: — meine Frau . . .
na, sie ist keine Schönheit. Oder —
ganz offengestanden — sie ist mies.
Ausgesprochen mies. Wenigstens ich
finde das. Aber nun sag ich mir:
vielleicht kommt das auch bloß vom
„falschen Denken!" Und übe jetzt
tagtäglich vor dem Schlafengehen
den Satz: „Meine Sabine ist eine
Schönheit! Sie gefällt mir von Tag
zu Tag bester und bester! Sie ist gar-
nicht so mies! Sie ist nicht im ge-
ringften mies!" Schon drei Wochen
mach ich jetzt die Übung. Tagtäglich.
Aber glauben Sie, daß sie davon
auch nur ein Wimmerl weniger be-
kommt? Im Gegenteil! Ich versteh
das nicht. Vielleicht muß ich doch noch mehr
„abblenden" . . .?
Und so geht 's mir mit allem. Auch be-
ruflich. Jedesmal wenn ich ein Manu-
skript verschicke, schnalle ich mir den Kon-
zentrator um und sage fünf- bis zehnmal
laut vor mich hin: „Meine Novelle ist gut.
Sie ist ganz ausgezeichnet. Die Redak-
tionen werden sich darum reißen. Die No-
velle wird ganz bestimmt angenommen. Sie
ist schon angenommen!" Und schon mit der nächsten Morgenpost
kommt sie prompt wieder zurück. Ich kann mir das einfach nur so er-
klären, daß vielleicht der Redakteur „falsch denkt." Vielleicht müßte
der auch mit dem Konzentrator arbeiten, damit es klappt. Aber dar-
über steht bei Couö nichts näheres. Wie gesagt — irgendwas stimmt
da nicht ganz . . .
Wohingegen bei meinem Freund Killinger —da stimmt alles wie
gestanzt. Der versteht seinen Coue aus dem ff. Denken Sie bloß —
Prüfe dein Gewicht!
Hier sieht man stehen eine Wage.
Wie man sie seh’n kann alle Tage.
Doch wer genauer schaut, erblickt
Drauf einen Spähen voller Sorgen,
Denn er will missen, mas er wiegt.
Wer wird ihm die zehn Pfennig borgen ?
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Prüfe dein Gewicht!"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsdatum
um 1928
Entstehungsdatum (normiert)
1923 - 1933
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 169.1928, Nr. 4335, S. 114
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg