DER FREI FLU G
VON HEINZ S T R A T Z
Frau Zickedraht hat eine Abneigung gegen Preisausschreiben.
Und mit Recht: die schönen praktischen Sache» — einen Staub-
sauger, ein Dutzend Buntstifte oder gar einen richtigen Diriwagen
— gewinnen regelmäßig andere Leute, während man selbst nie zu
etwas kommt. Also hält sie, wenn Gefahr droht, den Bücherschrank
mit Meyers Konversationslerikon und Andrees Handatlas stets sorg-
fältig verschlossen; — doch Herr Zickedraht bleibt unverbesserlich.
Die kinderleichten Aufgaben, — es wäre ja eine Schande, sie nicht
zu lösen!
Als die Nachricht ms Haus flatterte, Herrn Zickedraht sei ein
Freiflug zugefallen, war Frau Dorchen einer Ohnmacht nahe. Mit
Tränen in den Augen beschwor sie die den Gatten, das Danaerge-
schenk zurückzuweisen. Vielleicht würde Herr Müller an seiner
Stelle — - ?
Nein, Herr Müller hatte an diesem Tage leider schon etwas an-
deres vor. Und Herr Zickedraht bebauptete kühn, es sei längst sein
sehnlichster Wunsch gewesen, fliegen zu dürfen; schließlich war man
doch «in moderner Mensch — und kam nun gar umsonst zu einer
Luftreise. Dieser Heroismus zwang Frau Dorchen Bewunderung ab:
auch schmeichelte ihr nicht wenig, daß ihr Balduin nun der Stolz
der Familie geworden war. Alle beneideten ihn. Eine kunstbefliffene
Nichte malte ihn sogar in Ol, lebensgroß und in Pilotentracht vor
einem Flugzeug, das zwar nicht ohne weiteres als solches zu erkennen
war. Was den Onkel jedoch nicht hinderte, aufrichtig gerührt zu fein,
als er das Bild mit der Unterschrift „Ikaros" zum nächsten Ge-
burtstag überreicht bekam. Aber ich will nicht vorgreisen, das geschah
natürlich erst viel später. Zunächst standen die Vorbereitungen zu der
Luftreise im Mittelpunkt des Interesses.
Die ganze Familie eilte mit Ratschlägen herbei. Die Ausrüstung
verursachte einiges Kopfzerbrechen. Tante Auguste hielt einen Tropen-
helm für zweckmäßig, angesichts der Annäherung an die Sonne; da
schon hier unten 30 Grad im Schatten gezählt wurden. —Man
belehrte die Wahnsinnige, daß im Hochgebirge die Temperaturen be-
deutend niedriger seien als in der Ebene, was Tante Auguste zwar
nicht begriff, aber auch nicht zu bestreiten wagte. Amalie war für eine
pelzgefütterte Lederjoppe und einen Fußsack, welcher Vorschlag all-
gemeine Billigung fand. Natürlich gehörte noch eine
Mütze mit Ohrenklappen dazu. Man erinnerte sich,
Flieger stete in solcher Ausrüstung im Kino gesehen
zu haben . . .
„Vergiß nur die fällige Rate an die Lebensver-
sicherung nicht!" mahnte der Schwager Bernhard,
mit einem besorgten Blick auf die Schwester. Sicher
war sicher. Man wußte ja, Reichtümer hatte der
gut« Balduin nicht gesammelt.
An die Hauptsache dachte jedoch niemand. Frau
Dorchen staunte, als ihr Gatte den merkwürdigen
Gegenstand nachhause brachte und ihr vorführte:
„Ein selbsttätiger Fallschirm ,Schwebe sanft/
gesetzlich geschützt und absolut sicher. Er entfaltet sich
beim leisesten Hauch!"
Trotzdem hatte Frau Zickedraht eine schlaflose
Nacht. Die Viertelstunde, die ihr Balduin hoch in
den Lüften, den tückischen Elementen preisgegeben,
verbringen sollte, — sie mußt« furchtbar werden!
Der nächste Morgen fand die ganz« Familie aus
dem Flugplatz versammelt. Natürlich kam es zu ver-
schiedenen Zwischenfällen. Nachdem Herr Zickedraht
sich ins Gästebuch eingetragen und die Wage be-
stiegen hatte, mußte er an der Kabinentreppe in voller
Ausrüstung dem Kreuzfeuer der Photographen stand-
halten. Niemand der zärtlichen Verwandten hatte
seinen Apparat daheim gelassen, der denkwürdige
Augenblick sollte für das Familienalbum verewigt
werden. Leider wollte der Flugdienstleiter nicht ge-
statten, daß von einer Tragfläche aus ein« Gruppen-
aufnahme gemacht würde. Aus Rache versuchte
Hänschen an dem Propeller zu drehen, doch glück-
licherweise kam seine Mutter noch rechtzeitig hinzu
und verhütete eine Katastrophe. Dann machte man
ssäi gemeinsam auf, um die Kabine zu besichtigen. Hier
Voran! „In der Mode werden jetzt die weiblichen Formen wieder stärker beront.
— Iottseidank! Denn bin ick ooch mal Hau-de Nuvau-de!"
VON HEINZ S T R A T Z
Frau Zickedraht hat eine Abneigung gegen Preisausschreiben.
Und mit Recht: die schönen praktischen Sache» — einen Staub-
sauger, ein Dutzend Buntstifte oder gar einen richtigen Diriwagen
— gewinnen regelmäßig andere Leute, während man selbst nie zu
etwas kommt. Also hält sie, wenn Gefahr droht, den Bücherschrank
mit Meyers Konversationslerikon und Andrees Handatlas stets sorg-
fältig verschlossen; — doch Herr Zickedraht bleibt unverbesserlich.
Die kinderleichten Aufgaben, — es wäre ja eine Schande, sie nicht
zu lösen!
Als die Nachricht ms Haus flatterte, Herrn Zickedraht sei ein
Freiflug zugefallen, war Frau Dorchen einer Ohnmacht nahe. Mit
Tränen in den Augen beschwor sie die den Gatten, das Danaerge-
schenk zurückzuweisen. Vielleicht würde Herr Müller an seiner
Stelle — - ?
Nein, Herr Müller hatte an diesem Tage leider schon etwas an-
deres vor. Und Herr Zickedraht bebauptete kühn, es sei längst sein
sehnlichster Wunsch gewesen, fliegen zu dürfen; schließlich war man
doch «in moderner Mensch — und kam nun gar umsonst zu einer
Luftreise. Dieser Heroismus zwang Frau Dorchen Bewunderung ab:
auch schmeichelte ihr nicht wenig, daß ihr Balduin nun der Stolz
der Familie geworden war. Alle beneideten ihn. Eine kunstbefliffene
Nichte malte ihn sogar in Ol, lebensgroß und in Pilotentracht vor
einem Flugzeug, das zwar nicht ohne weiteres als solches zu erkennen
war. Was den Onkel jedoch nicht hinderte, aufrichtig gerührt zu fein,
als er das Bild mit der Unterschrift „Ikaros" zum nächsten Ge-
burtstag überreicht bekam. Aber ich will nicht vorgreisen, das geschah
natürlich erst viel später. Zunächst standen die Vorbereitungen zu der
Luftreise im Mittelpunkt des Interesses.
Die ganze Familie eilte mit Ratschlägen herbei. Die Ausrüstung
verursachte einiges Kopfzerbrechen. Tante Auguste hielt einen Tropen-
helm für zweckmäßig, angesichts der Annäherung an die Sonne; da
schon hier unten 30 Grad im Schatten gezählt wurden. —Man
belehrte die Wahnsinnige, daß im Hochgebirge die Temperaturen be-
deutend niedriger seien als in der Ebene, was Tante Auguste zwar
nicht begriff, aber auch nicht zu bestreiten wagte. Amalie war für eine
pelzgefütterte Lederjoppe und einen Fußsack, welcher Vorschlag all-
gemeine Billigung fand. Natürlich gehörte noch eine
Mütze mit Ohrenklappen dazu. Man erinnerte sich,
Flieger stete in solcher Ausrüstung im Kino gesehen
zu haben . . .
„Vergiß nur die fällige Rate an die Lebensver-
sicherung nicht!" mahnte der Schwager Bernhard,
mit einem besorgten Blick auf die Schwester. Sicher
war sicher. Man wußte ja, Reichtümer hatte der
gut« Balduin nicht gesammelt.
An die Hauptsache dachte jedoch niemand. Frau
Dorchen staunte, als ihr Gatte den merkwürdigen
Gegenstand nachhause brachte und ihr vorführte:
„Ein selbsttätiger Fallschirm ,Schwebe sanft/
gesetzlich geschützt und absolut sicher. Er entfaltet sich
beim leisesten Hauch!"
Trotzdem hatte Frau Zickedraht eine schlaflose
Nacht. Die Viertelstunde, die ihr Balduin hoch in
den Lüften, den tückischen Elementen preisgegeben,
verbringen sollte, — sie mußt« furchtbar werden!
Der nächste Morgen fand die ganz« Familie aus
dem Flugplatz versammelt. Natürlich kam es zu ver-
schiedenen Zwischenfällen. Nachdem Herr Zickedraht
sich ins Gästebuch eingetragen und die Wage be-
stiegen hatte, mußte er an der Kabinentreppe in voller
Ausrüstung dem Kreuzfeuer der Photographen stand-
halten. Niemand der zärtlichen Verwandten hatte
seinen Apparat daheim gelassen, der denkwürdige
Augenblick sollte für das Familienalbum verewigt
werden. Leider wollte der Flugdienstleiter nicht ge-
statten, daß von einer Tragfläche aus ein« Gruppen-
aufnahme gemacht würde. Aus Rache versuchte
Hänschen an dem Propeller zu drehen, doch glück-
licherweise kam seine Mutter noch rechtzeitig hinzu
und verhütete eine Katastrophe. Dann machte man
ssäi gemeinsam auf, um die Kabine zu besichtigen. Hier
Voran! „In der Mode werden jetzt die weiblichen Formen wieder stärker beront.
— Iottseidank! Denn bin ick ooch mal Hau-de Nuvau-de!"
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Voran!"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1928
Entstehungsdatum (normiert)
1923 - 1933
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 169.1928, Nr. 4348, S. 270
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg