Der witzige Adolar
Von Dr. A. W.
Mein Freund Adolar ist sozusagen Schriftsteller. Ein
leichter Beruf denkt man unwillkürlich. Doch wie überall, so
bewahrheitet sich auch hier das Wort: Keine Rose ohne
Stacheldrabt! Falls nicht alles menschliche Mitgefühl in Ihnen
erstorben ist, widmen Sie Adolar eine stille Träne! Adolar
ist Witzblattredakteur.
Er macht Witze. Das ist der traurigste Beruf, den die
fortgeschrittene Kultur hervorgebracht hak. Trauer und Freude
sind ja irgendwie miteinander verwandt: Bräute lachen unter
Träne», und das soll eine sehr empfehlenswerte Mischung
sein. Adolar hingegen weint unter Gelächter, und das kommt
gleich hinterm Steuerzahle». Adolar vergleicht das Gefühl
poetisch mit jenem Gefühl, das man hätte, wenn man sich
während des Zahnausziehens verloben sollte. Er nennt es im
Gegensatz zum „heulenden Elend" das „lachende Elend."
Neulich besuchte ich Adolar in seiner Werkstatt. Er hatte
gerade seinen 58. Witz gemacht und war am Verschnaufen.
Er drehte an einer Kurbel, die als Transmission eine Couä-
Schnur in Amlauf setzte, dazu murmelte Adolar:
„Ich werde von Tag zu Tag in jeder Äinsicht witziger
und witziger!"
Dann seufzte er und notierte folgenden Dialog:
„Können Sie rückwärts Eisenbahn fahren, Lerr Schuppe?"
„Ich kann es selbstverständlich, Lerr Schinn, aber die
Eisenbahnen fahren fast immer vorwärts!"
Das war Nr. 59. Ich wußte, sechzig mußte er machen.
„Mein Limmel, sind Sie in einen Bienenschwarm geraten,
Äerr Sportlich?" witzelte Adolar weiter.
Er hatte mich noch immer nicht bemerkt. Ich war wirk-
lich neugierig, was Lerr Sportlich zu antworten hätte, aber
Lerr Sportlich schwieg hartnäckig.
„In einen Bienenschwarm geraten — Bienenschwarm —
Bienen — Lümmeln — Wespen — verdammt und zugenäht!"
versuchte Adolar seinen Geist anzuspornen, um eine Pointe
zu finden. Schon machte er Miene, die Transmission erneut
zu frequentieren, da rief ich:
„Grüß Gott, Adolar!"
„Du störst mich!" knurrte Adolar und drehte: „Ich werde
von Tag zu Tag in jeder Linsicht witziger und witziger!"
„Das scheint nicht so, Adolar!" sagte ich sanft. „Sonst
hätte Lerr Sportlich längst eine Antwort gefunden!"
„Ich werde von Tag zu Tag in jeder Linsicht . . Schuft,
weißt du vielleicht eine?"
„Natürlich! Lerr Sportlich sagt: Bienenschwarm? Reden
Sie keine Makulatur! Wir haben doch einen Lockeyklub ge-
gründet!"
Adolar umarmte mich stürmisch.
„Großartig," rief er, „wie kommst du nur da-
Jr:m
Vl. V
iß r
„Fräulein Else — unser Walzer!"
„Den Hab ich doch an Lerrn Meierte vergeben." ,
"2a aber der mußte heim und hat mir das Inkafio übertragen."
rauf?"
„Ich habe mich," erklärte ich überlegen, indem
ich mit der Suggestionsmaschinerie spielte, „ich habe
mich mit der Theorie des Witzes beschäftigt."
„Lm! So?" machte Adolar kleinlaut.
„Ein Witz, ein so schillerndes, unfaßbares, aal-
glattes, undefinierbares Gebilde ist weiter nichts als
die Kreuzung zweier verschiedner Vorstellungsreihen.
An ihrem Schnittpunkt entsteht der Witz."
Adolar horchte gespannt.
„Nehmen wir ein Beispiel! Du hast ein Bild.
Darauf geht ein Mann mit einem Geigenkasten unter
dem Arm. Er hat zwei große vorstehende Schneide-
zähne. Eine Anzahl Straßenjungen laufen ihm nach.
Jetzt dreht er sich um.
„Was wollt ihr, Iungens?"
„Was haben Sie in dem Kasten?"
„Meine Geige."
„Ach so, wir dachten. Sie hätten Ihre Zahn-
bürste drin!" Wo liegt der Witz? Am Schnittpuntt
der beiden Vorstellungsreihen: Zähneputzen — Zahn-
bürste — Bürstenetui und Violinspielen — Geigen-
kasten.
Dieser Schnittpunkt steht in direkter Verbindung
mit dem Aussehen des Mannes, und diese unver-
mutet und überraschend hergestellte Beziehung ent-
blößt ihn Plötzlich menschlich vor uns, weckt unsre
Schadenfreude und läßt uns für einen Augenblick
unsre Aeberlegenheit fühlen. Aber noch viele andre
Saiten erklingen in uns.
Was uns aber noch Stunden später ein Lächeln
abnötigt, ist immer nur die lächerliche Zusammen-
kopplung der Vorstellungen „Geigenkasten" und
„Zahnbürste". An deren Schnittpunkt entsteht das
Lachen."
Adolar wurde der Kragen zu eng.
(Fortsetzung Sette 22)
20
Von Dr. A. W.
Mein Freund Adolar ist sozusagen Schriftsteller. Ein
leichter Beruf denkt man unwillkürlich. Doch wie überall, so
bewahrheitet sich auch hier das Wort: Keine Rose ohne
Stacheldrabt! Falls nicht alles menschliche Mitgefühl in Ihnen
erstorben ist, widmen Sie Adolar eine stille Träne! Adolar
ist Witzblattredakteur.
Er macht Witze. Das ist der traurigste Beruf, den die
fortgeschrittene Kultur hervorgebracht hak. Trauer und Freude
sind ja irgendwie miteinander verwandt: Bräute lachen unter
Träne», und das soll eine sehr empfehlenswerte Mischung
sein. Adolar hingegen weint unter Gelächter, und das kommt
gleich hinterm Steuerzahle». Adolar vergleicht das Gefühl
poetisch mit jenem Gefühl, das man hätte, wenn man sich
während des Zahnausziehens verloben sollte. Er nennt es im
Gegensatz zum „heulenden Elend" das „lachende Elend."
Neulich besuchte ich Adolar in seiner Werkstatt. Er hatte
gerade seinen 58. Witz gemacht und war am Verschnaufen.
Er drehte an einer Kurbel, die als Transmission eine Couä-
Schnur in Amlauf setzte, dazu murmelte Adolar:
„Ich werde von Tag zu Tag in jeder Äinsicht witziger
und witziger!"
Dann seufzte er und notierte folgenden Dialog:
„Können Sie rückwärts Eisenbahn fahren, Lerr Schuppe?"
„Ich kann es selbstverständlich, Lerr Schinn, aber die
Eisenbahnen fahren fast immer vorwärts!"
Das war Nr. 59. Ich wußte, sechzig mußte er machen.
„Mein Limmel, sind Sie in einen Bienenschwarm geraten,
Äerr Sportlich?" witzelte Adolar weiter.
Er hatte mich noch immer nicht bemerkt. Ich war wirk-
lich neugierig, was Lerr Sportlich zu antworten hätte, aber
Lerr Sportlich schwieg hartnäckig.
„In einen Bienenschwarm geraten — Bienenschwarm —
Bienen — Lümmeln — Wespen — verdammt und zugenäht!"
versuchte Adolar seinen Geist anzuspornen, um eine Pointe
zu finden. Schon machte er Miene, die Transmission erneut
zu frequentieren, da rief ich:
„Grüß Gott, Adolar!"
„Du störst mich!" knurrte Adolar und drehte: „Ich werde
von Tag zu Tag in jeder Linsicht witziger und witziger!"
„Das scheint nicht so, Adolar!" sagte ich sanft. „Sonst
hätte Lerr Sportlich längst eine Antwort gefunden!"
„Ich werde von Tag zu Tag in jeder Linsicht . . Schuft,
weißt du vielleicht eine?"
„Natürlich! Lerr Sportlich sagt: Bienenschwarm? Reden
Sie keine Makulatur! Wir haben doch einen Lockeyklub ge-
gründet!"
Adolar umarmte mich stürmisch.
„Großartig," rief er, „wie kommst du nur da-
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Vl. V
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„Fräulein Else — unser Walzer!"
„Den Hab ich doch an Lerrn Meierte vergeben." ,
"2a aber der mußte heim und hat mir das Inkafio übertragen."
rauf?"
„Ich habe mich," erklärte ich überlegen, indem
ich mit der Suggestionsmaschinerie spielte, „ich habe
mich mit der Theorie des Witzes beschäftigt."
„Lm! So?" machte Adolar kleinlaut.
„Ein Witz, ein so schillerndes, unfaßbares, aal-
glattes, undefinierbares Gebilde ist weiter nichts als
die Kreuzung zweier verschiedner Vorstellungsreihen.
An ihrem Schnittpunkt entsteht der Witz."
Adolar horchte gespannt.
„Nehmen wir ein Beispiel! Du hast ein Bild.
Darauf geht ein Mann mit einem Geigenkasten unter
dem Arm. Er hat zwei große vorstehende Schneide-
zähne. Eine Anzahl Straßenjungen laufen ihm nach.
Jetzt dreht er sich um.
„Was wollt ihr, Iungens?"
„Was haben Sie in dem Kasten?"
„Meine Geige."
„Ach so, wir dachten. Sie hätten Ihre Zahn-
bürste drin!" Wo liegt der Witz? Am Schnittpuntt
der beiden Vorstellungsreihen: Zähneputzen — Zahn-
bürste — Bürstenetui und Violinspielen — Geigen-
kasten.
Dieser Schnittpunkt steht in direkter Verbindung
mit dem Aussehen des Mannes, und diese unver-
mutet und überraschend hergestellte Beziehung ent-
blößt ihn Plötzlich menschlich vor uns, weckt unsre
Schadenfreude und läßt uns für einen Augenblick
unsre Aeberlegenheit fühlen. Aber noch viele andre
Saiten erklingen in uns.
Was uns aber noch Stunden später ein Lächeln
abnötigt, ist immer nur die lächerliche Zusammen-
kopplung der Vorstellungen „Geigenkasten" und
„Zahnbürste". An deren Schnittpunkt entsteht das
Lachen."
Adolar wurde der Kragen zu eng.
(Fortsetzung Sette 22)
20
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Fräulein Else - unser Walzer!"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Objektbeschreibung
Bildunterschrift: "Fräulein Else - unser Walzer!" // "Den hab ich doch an Herrn Meierle vergeben." // "Ja - aber der mußte heim und hat mir das Inkasso übertragen."
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1929
Entstehungsdatum (normiert)
1924 - 1934
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 170.1929, Nr. 4354, S. 20
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg