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Der Herr, die Zigarette, aber die Dame.

Ein modernes Märchen
Von Albe echt Völkletn

Es war einmal ein Lerr und eine Dame, und die liebten sich
und gingen täglich ins Casö. Dort schlürften sie bei berauschen-
den Tönen einer leidenschaftlichen Musik den duftendsteu Mokka,
rauchten türkische Zigaretten und zerstiebten die leichten Rauch-
wolken, die sich zwischen die beiden lagerten, durch den Lauch
ihrer liebesschwangeren Worte, die zart und weich waren,
Sehnsucht und Traum.

Da Träume, die aus solchen Situationen entstehen, nach
den Aussagen der Dichter und der Kellner die unfehlbare
Eigenschaft besitzen sollen, in Erfüllung zu gehen, so hätte viel-
leicht auch der Traum dieser beiden zur Wirklichkeit werden
können, wenn nicht der allgemein berüchtigte unvorhergesehene
Zwischenfall eingetreten wäre und jenen Strich durch die Rech-
nung gemacht hätte, der eine Dame bekanntlich dazu zwingt,
ihren Kaffee auf einige Zeit allein zu bezahlen.

Es geschah nämlich einst, daß die Dame ihre kaum ange-
zündete Zigarette im Aschenbecher abstreifte, mit dem beinahe
vorwurfsvoll klingenden Bemerken, sie könne heute nicht mehr
rauchen. Und in der Tat — Tränen standen in ihren Augen.
Da eine Frau über nichts so aufgebracht werden kann, als
wenn sie berechtigte, durch die Natur der Dinge hervorge-
rufene Tränen vergießen muß, wurde die Dame also wütend.
Er merkte es an ihren Gebärden und wurde traurig. Glück-
licherweise setzte in diesem Augenblicke die Musik wieder ein,
und er hatte Zeit, sich ein tröstendes und ablenkendes Wort
auszudenken, das er in der Pause zu ihr sagen wollte.

Die Pause kam. Die Dame nahm einen Schluck aus ihrer
Tasse, er nahm eine Zigarette aus seinem Etui. Er wollte sich
stärken, sich wappnen. Da bemerkte er, daß sie ihn feindlich an-
sah. Er begriff aber nichts, der Arme, und zündete umständ-
lich an.

Sie sah ihm zu, und als seine Zigarette brannte, sagte
sie mit spitzer Zunge: „Du meinst wohl, ich sei giftig?"

„Wieso?" Er hätte beinahe die Zigarette fallen lassen.

„Nun ja, sonst hättest du doch diese zuerst aufgeraucht!"

!lnd damit deutete sie auf die Zigarette, die sie vorher im
Aschenbecher abgestreist hatte.

„Aber, mein Kind, wie kannst du nur —!" Es half nichts;
alle Beteuerungen und Versicherungen, wie man sie bei jenen
plötzlichen Anwandlungen hilflosen weiblichen Kleinmuts, die
ältere Schriftsteller auch Launen zu nennen wagten, ins Feld
zu führen pflegt, prallten an dem Panzer ihrer Behauptung
ab, daß ihm die Lygiene höher stehe als die Liebe. Er wies
auf seine Treue hin, auf die Tränen seiner Nächte, nannte sie
sein Ein und Alles und versprach ihr sogar eine märchenhafte
Bonbonniere. Es half nichts. Schließlich verrannte er sich so-
weit, daß er ihr den Sachverhalt logisch zu erklären versuchte:
wen» er die Zigarette wirklich aus hygienischen Gründen nicht
genommen habe — wie viel mehr müßte er dann einen Kuß
von ihr zu vermeiden suchen! Täte er aber das? (Im Vor-
gefühle seines Sieges fing der Arme bei diesen Worten zu
lächeln an!) Also, jetzt müsse sie doch selbst —

„Wir gehen!" Sie stand auf. Aeber diese erhabene Igno-
rierung seines letzten Argumentes wurde er nun tatsächlich
zornig und hätte sie gerne allein gehen lassen — aber er wäre
eben dann der Sitzengebliebene gewesen und außerdem — er
erhob sich also auch.

„Aha!" dachte der Kellner, als er die beiden am nächsten
Abend vermißte, „die haben sich endlich gefunden!" Denn es
ist Sitte, daß Liebende nach erster Erfüllung die lärmenden
Stätten der Menschen meiden, auf Tage, oft auch auf Wochen.

„Ach so!" dachte der Kellner, als er sie am Abend des
zweiten Tages wieder eintreten sah, „die haben nur gestritten!"
Dieser Menschenkenner! Die beiden waren wieder versöhnt.
Zank und Lader waren vergessen, die Träume des Lebens ent-
standen auss neue.

Nun geschah es aber, daß die Augen der Dame auch heute
wieder im Laufe der Stunden zu tränen begannen, und auch
heute legte sie eine soeben angezündete Zigarette mit einer
so hastigen Bewegung in den Aschenbecher, daß einige der
herumsitzenden Gäste sie ganz erstaunt
ansahen. Als hätte er nur auf diesen
Augenblick gewartet, riß der Lerr mit
einer fabelhaften Geschwindigkeit die
Zigarette an sich und führte sie eben
mit einer geradezu dionysischen Be-
geisterung an den Mund, als er in dem
Angesichte der Dame einen wütenden
und verbissenen Zug gewahrte und
ihren Lippen das inhaltschwere Wort
entfahren hörte: „Furchtbar!"
„Aber,mein Kind, was hast du denn ?"
„Es ist einfach entsetzlich mit dir
— siehst du denn nicht, daß die Leute
über uns lachen?"

„Aber, mein Kind, meine Liebste,
wieso denn?"

„Weil du den Zigarettenstummel
zu rauchen beliebst, du — ich will es
gar nicht sagen! Immer und überall
mußt du mich blamieren —" Tränen
standen ihr in den Augen, obwohl sie
kein Rauch umschwebte.

Er wurde bleich. Er war sprach-
los. Er zerknüllte die Zigarette. Er
sagte: „Wir.gehen!"

Genuß „Wo hast du bloß die feine Pelzgarnstur her, Olga?"

„Vorige Woche gekauft, — auf zwölf Monatsraten."

„Du, Olga, da komm' ich mal im Sommer mit, wenn du bezahlen
gehst. Dein Gesicht bei der Augustrate möcht' ich sehn."

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lSchluh Seite 54)
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Genuß"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
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Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Reinhardt, Franz
Entstehungsdatum (normiert)
1927 - 1927
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 170.1929, Nr. 4356, S. 52

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