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Ein eingeschriebener Brief

Von Peter Robinson

Wenn wir auch den Geschehnissen möglichst rasch nahe-
kommen wollen, können wir doch auf die Vorgeschichte nicht
verzichten. Wenn nicht Vorgeschichten wären, gäbe es auch viele
Geschehnisse nicht.

Kujatz war also mit seiner lieben Frau zu längerem Auf-
enthalt an die Ostseeküste gefahren, nach Linterpommern, das
sich neuerdings aber lieber Ostpommern nennen läßt, womit
es ganz recht hat. In Nippkau, einem kleinen, aber freundlichen
Srranddorfe, hatten sie im „Gasthof Strandadler" zusagendes
Quartier gefunden, und dann hatte Kujatz seinem Postscheck-
Heft eine Anweisung entnommen, auf 500 Mark ausgefüllt, an
sich selber nach Nippkau adressiert und seinem zuständigen Post-
scheckamt eingeschickt. Seitdem Kujatz einmal auf einer Eisen-
bahnfahrt an zwei ihm fremde Lerren, die untereinander sich
aber wohl nicht fremd waren, einen nicht unerheblichen Betrag
im Glücksspiel verloren hat — seitdem mag er unterwegs
nicht viel Geld bei sich vaben. Er könnte sich ja auch mit soge-
nannter Seelenstärke wappnen und sich selber schwören, solche
Versuchungen nicht mehr an sich herantreten zu lassen oder ihnen
dann wenigstens kräftig zu widerstehen, — aber so ist es zweifel-
los sicherer. Wer nichts hat, dem kann auch nichts abgenommen
werden, — das muß selbst der Dümmste verstehen. Nur Finanz-
ämter wollen das manchmal nicht begreifen.

Nippkau in Linker- oder vielmehr Ostpommern hat kein
Postamt, nur für die Zeit des sommerlichen Badebetriebes
eine Postagentur, die im Nebenamt von dem Krämer August
Mukerow verwaltet wird. Bei diesem Postagenten Mukerow
traf nun nach der entsprechenden Zeit
eine Postanweisung über 500 Mark an
Lerrn Waldemar Kujatz ein, und dieser,
der jeden Vormittag, wie das in den
kleinen Badeorten die Badegäste aus
Langerweile fast alle tun, bei Eintreffen
des Postautos nach der Postagentur
spazierte, erhob dort sein Geld. Zu
diesem Zwecke reichte er dem Agenten
Mukerow seinen Reisepaß. Mukerow
verglich das Lichtbild mit dem ihm noch
fremden Lerrn, fand die Sache in Ord-
nung und sagte: „Bitte sehr, Lerr Ku-
jatz!" und nachher: „Auf Wiedersehen,

Lerr Kujatz!" — womit er die persön-
liche Bekanntschaft anerkannte. Zn den
nächsten Wochen bekam Kujatz dann
Briese, Drucksachen usw., und alles
wurde ihm von dem Postagenten Muke-
row, ohne daß er noch ein einziges Mal
seinen Namen zu nennen brauchte, ohne
weiteres ausgehändigt. „Da Hab' ich
mal wieder was für Sie, Lerr Kujatz."

Dazwischen kaufte das Ehepaar
Kujatz auch hin und wieder allerlei in
Mukerows Kramladen: Badeschuhe,

Fruchtbonbons, Rasierseife, Sicherheits-
nadeln, Opiumtropfen (Mukerow muß
im Sommer auf die verschiedensten
Wünsche der Badegäste vorbereitet sein),
und immer sagte Mukerow dabei: „Guten
Tag, Lerr Kujatz I — Bitte sehr, Lerr
Kujatz! — Macht eins zwanzig, Lerr
Kujatz! — Empfehle mich, Lerr Kujatz!"

Kleinen Bemerkungen über das Wetter,
wie er sie den Badegästen gegenüber für

angebracht hielt, fügte er auch stets die Anrede hinzu: „Das
war wieder mal ein prachtvoller Sonnenuntergang gestern,
Lerr Kujatz!" — „Bißchen windig heute, Lerr Kujatz, aber
der Wind vertreibt den Regen, Lerr Kujatz." — And als dann
Kujatz ein paar eingeschriebene Briefe und auch noch einmal
eine Geldsendung erhielt, verzichtete Mukerow in seiner Eigen-
schaft als Postagent aus Legitimation. Das war ja ganz über-
flüssig; er kannte ja nun den Lerrn Waldemar Kujatz sehr gut. —

Auch die schönsten Tage vergehen, sie fliehen sogar, was
die schlechten nicht tun, die nur widerwillig abziehen; in dieser
Beziehung ist das Böse nicht so leicht zu fliehen geneigt wie
das Gute.

„Za, nun ist es bald aus, Lerminchen," meinte Lerr Kujatz.
„Aber weil wir hier in Linterpommern" — Kujatz war an
Ostpommern noch nicht gewöhnt — „schon so dichte dran sind
— wie wär's denn, wenn wir noch nach Zoppot fahren würden?"

Frau Lermine Kujatz war damit gern einverstanden,
unter der Bedingung freilich, oaß auch der kleinste Schritt über
die Schwelle der Spielbank zu unterbleiben habe. Das ver-
sprach der Gatte ihr und sich selber auch. Aber nun war etwas
zu erledigen. Man kann nicht so ohne weiteres aus Linter-
oder vielmehr Ostpommern nach Zoppot fahren; das geht —
hol's der Teufel! — heutzutage nicht mehr. Nein, dazu braucht
der Mensch einen Paß, und in diesem Paß muß er ein pol-
nisches Visum für die Durchreise durch den Korridor haben.
Lerr und Frau Kujatz hatten Pässe, aber die Visa fehlten
ihnen, und die waren in Nippkau natürlich nicht zu kriegen.

Zeichnung von M. Claus

Gipfel der Dressur -Du hast dein Löwen gar zu viel beigebracht. Jetzt ist er

so sanft, daß er dem Publikum überhaupt nicht mehr
imponiert."

„Za, jetzt werd' ich ihm beibringen, daß er sich wild stellt."

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Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Gipfel der Dressur"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
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Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Claus, Martin
Entstehungsdatum
um 1929
Entstehungsdatum (normiert)
1924 - 1934
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 171.1929, Nr. 4384, S. 85

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