Eine Kurzgeschichte
Von Sskar Larslem
Die Weberbäurin von Voglsam erzählt gerne Geschichten
aus ihrem Leben. Sie hält es damit genau so, wie mit inter-
essanten Neuigkeiten, die ihre Nachbarn oder auch Fremde
betreffe». Sie behält sie nicht etwa selbstsüchtig für sich.
Viele dieser Geschichten kenne ich schon. Die längste ist
die von ihrer Leber, die einmal krank war und wieder gesund
geworden ist. Wenn mich ein Sommergast, mit dem ich zu-
sammenwohne, langweilt, oder wenn ich ihn ärgern will, dann
frage ich in seiner Gegenwart die Weberin:
„Wie war nur damals die Geschichte mit Ihrer Leber?"
Dann geht's los: „Ja, Sie, dös muaß i Eahna vozähl'n. Es
is grad in da Äcuarndt gwen, so vor a Jahr a zehne, da
g'spür' i aufamal an Wchdam in da Seit'n, daß i glei g'moant
Hab, aus is's und gar is's. Simmerl, sag' i zu eahm, Simmerl,
bei mir hat's was! Waar nöt üwi, sagt er; na, na, sag' i.
dös sel nöt, es muaß a Krankat sei, nimma steh kon i schier
wor lauta Wehdam. Na mach, daß d' hoam kimmst, sagt er.
Loam kemma und ins Bett einifall'n, is oans gwen. I Hab'
ma denkt, dahi geht's aa glei."
Wenn die Weberin soweit ist, drücke ich mich meuchlings,
und ich weiß gewiß, ich kann hingehn, wohin ich will, der
Langweiler kommt mir nicht in den Weg. Bis der Doktor
kommt, natürlich nicht kennt, was ihr fehlt, bis sie die warmen
Amschläg' g'macht hat, die schier nicht zum erleiden waren,
vergeht leicht eine Stunde, und ich bin weit vom Schuß.
Letzten Sommer mußte ich aber selber stillhalten, weil sie
mir eine Geschichte erzählte, die ich wirklich noch nicht kannte.
Ausreißen gibt's da nicht, denn wenn man ihr nicht gleich
nach den ersten drei Sätzen die Fortsetzung ihrer Geschichte geben
kann, dann glaubt sie es nicht, daß man sie schon gehört hat
Zeichnung von E. Kirchner
MW
n
„Die Mutter Sopran, der älteste Sohn Tenor, der Vater am Klavier
und sämtliche Lieder Eigenkompositionen des jüngsten Sohnes — was sagen
Sie zu der unerhörten Musikbegabung dieser Familie?"
„Ein Glück, daß die beiderseitigen Großeltern schon altersschwach sind!"
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Von Sskar Larslem
Die Weberbäurin von Voglsam erzählt gerne Geschichten
aus ihrem Leben. Sie hält es damit genau so, wie mit inter-
essanten Neuigkeiten, die ihre Nachbarn oder auch Fremde
betreffe». Sie behält sie nicht etwa selbstsüchtig für sich.
Viele dieser Geschichten kenne ich schon. Die längste ist
die von ihrer Leber, die einmal krank war und wieder gesund
geworden ist. Wenn mich ein Sommergast, mit dem ich zu-
sammenwohne, langweilt, oder wenn ich ihn ärgern will, dann
frage ich in seiner Gegenwart die Weberin:
„Wie war nur damals die Geschichte mit Ihrer Leber?"
Dann geht's los: „Ja, Sie, dös muaß i Eahna vozähl'n. Es
is grad in da Äcuarndt gwen, so vor a Jahr a zehne, da
g'spür' i aufamal an Wchdam in da Seit'n, daß i glei g'moant
Hab, aus is's und gar is's. Simmerl, sag' i zu eahm, Simmerl,
bei mir hat's was! Waar nöt üwi, sagt er; na, na, sag' i.
dös sel nöt, es muaß a Krankat sei, nimma steh kon i schier
wor lauta Wehdam. Na mach, daß d' hoam kimmst, sagt er.
Loam kemma und ins Bett einifall'n, is oans gwen. I Hab'
ma denkt, dahi geht's aa glei."
Wenn die Weberin soweit ist, drücke ich mich meuchlings,
und ich weiß gewiß, ich kann hingehn, wohin ich will, der
Langweiler kommt mir nicht in den Weg. Bis der Doktor
kommt, natürlich nicht kennt, was ihr fehlt, bis sie die warmen
Amschläg' g'macht hat, die schier nicht zum erleiden waren,
vergeht leicht eine Stunde, und ich bin weit vom Schuß.
Letzten Sommer mußte ich aber selber stillhalten, weil sie
mir eine Geschichte erzählte, die ich wirklich noch nicht kannte.
Ausreißen gibt's da nicht, denn wenn man ihr nicht gleich
nach den ersten drei Sätzen die Fortsetzung ihrer Geschichte geben
kann, dann glaubt sie es nicht, daß man sie schon gehört hat
Zeichnung von E. Kirchner
MW
n
„Die Mutter Sopran, der älteste Sohn Tenor, der Vater am Klavier
und sämtliche Lieder Eigenkompositionen des jüngsten Sohnes — was sagen
Sie zu der unerhörten Musikbegabung dieser Familie?"
„Ein Glück, daß die beiderseitigen Großeltern schon altersschwach sind!"
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Die Mutter, Sopran, der älteste Sohn Tenor..."
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1929
Entstehungsdatum (normiert)
1924 - 1934
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 171.1929, Nr. 4385, S. 103
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg