<2lm $CCftfd) Von Peter Robinson
Sie saßen und tranken am Teetisch — bei Frau Geheim-
rat Schnabel. Man kam auf die schon oft umstrittene Frage:
soll man auch unverheirateten Damen, wenn sie über die Ju-
gend hinaus sind, das Prädikat „Frau" zubilligen? And be-
sonders auch jenen, die selb-
ständige Berufsstellungen
einnehmen, Aerztinnen, Stu-
dienrätinnen usw.?
In der Majorität war
man dafür, Frau Geheimrat
Schnabel und Frau Konsul
Poltermann sogar sehr ener-
gisch. Die schlichte Frau
Meier — ihr Gatte ist Groß-
kaufmann — aber wider-
sprach. „Es muß doch schließ-
lich ein Unterschied da sein.
Ich bin Frau Meier. Mein
Mann hat eine unverheira-
tete Schwester. Soll die auch
Frau Meier sein?"
Frau Geheimrat Sckna-
bel lächelte herablassend.
„Das ist doch ein Ausnahme-
sall, meine Beste — ein bei
»ns in Deutschland sehr sel-
tener Ausnahmesall. Sehen
Sie: mein Mann hat auch ei-
ne unverheiratete Schwester.
Ich würde es nicht bean-
standen, daß sie sich Frau
Schnabel nennen läßt. Denn
ich bin eben Frau Geheim-
rat Schnabel."
Der Globus
„Sehen Sie, Auguste, dies ist Brasilien.
Lier wohnt meine Tante!"
„Ach, ist das nicht gefährlich — so am
Abhang?"
Natürlich stimmt das schon lange nicht mehr: der Tee leidet
heutzutage gar nicht durch den Transport auf Schiffen; dazu
wird er jetzt viel zu gut verpackt. Aber Frau Cyprian sprach
doch von dem einzig guten Karawanentee, obgleich auch die
Karawanen für den Teehandcl kaum mehr von Belang sind.
Das wäre nämlich welcher, sagte sie, während sie die Tasse»
füllte. And etwas primitiv sich ausdrückend, versicherte sie
noch einmal: „Ja, Tee muß von Kamelen gebracht worden sein!"
Da kamen, etwas verspätet, noch der Schwager Nelke und
seine Gattin an, die Leute, die sich so viel leisten können und
neulich erst die große Orientreise gemacht haben. And Frau
322
Nelke fragte: „Ah, Klara, du hast wohl noch von dem Tee,
den wir dir mitgebracht haben?"
Der junge Stieglitz hatte seine Gedichte mitgebracht. Aber
vorläufig ließ er sie noch in seinem Aeberzieher. Erst wollte
er sich sehr bitten lassen; be-
stürmen müßte man ihn und
bedrängen-und dann
würde er die Gedichte holen.
Dr. Scharfschneider, der
Chirurg, war auch da. Aber
er hatte kaum ein Schlück-
chen Tee genommen,da wurde
er telephonisch abberusen.
Wohl ihm! Der Mann kann
sich freuen, daß er so ver-
langt wird.
Nachher kam es dann so,
wie der junge Stieglitz sich
das gedacht hatte: man
fragte nach seinen neuen Ge-
dichten, man bat, man be-
stürmte und bedrängte ihn
-und dann ging er in
die Diele, die Manuskripte
aus seinem Aeberzieher zu ho-
len. Äimmel, der Aeberzieher
war nicht da! Aber der des
Dr. Scharfschneider hing
noch da — der hastende Arzt
hatte in seiner Eile den
falschen angezogen.
Nein, daß so etwas pas-
sieren mußte! Die Damen
waren untröstlich, und auch
die Herren zeigten höfliches
Bedauern. Nur der alte Wedekopp erkundigte sich bei dem
Poeten: „Sagen Sie mal — wußte denn der Doktor, daß
Ihre Gedichte in dem Aeberzieher steckten?"
Bei Schellacks hatten sie den Doktor Pfeiffer herange-
schleift, der vor einiger Zeit von seiner Forschungsreise aus
den Arwäldern am oberen Lauf des Amazonenftromes zurück-
gekehrt war. Der Mann mußte doch unterhalten können!
Der hatte doch was zu erzählen, nicht wahr?
Der Doktor Pfeiffer hatte keine Lust, so gewissermaßen
als Extranummer aufzutreten. Aber als man ihm keine Ruhe
(Fortsetzung Seite 32-1)
Sie saßen und tranken am Teetisch — bei Frau Geheim-
rat Schnabel. Man kam auf die schon oft umstrittene Frage:
soll man auch unverheirateten Damen, wenn sie über die Ju-
gend hinaus sind, das Prädikat „Frau" zubilligen? And be-
sonders auch jenen, die selb-
ständige Berufsstellungen
einnehmen, Aerztinnen, Stu-
dienrätinnen usw.?
In der Majorität war
man dafür, Frau Geheimrat
Schnabel und Frau Konsul
Poltermann sogar sehr ener-
gisch. Die schlichte Frau
Meier — ihr Gatte ist Groß-
kaufmann — aber wider-
sprach. „Es muß doch schließ-
lich ein Unterschied da sein.
Ich bin Frau Meier. Mein
Mann hat eine unverheira-
tete Schwester. Soll die auch
Frau Meier sein?"
Frau Geheimrat Sckna-
bel lächelte herablassend.
„Das ist doch ein Ausnahme-
sall, meine Beste — ein bei
»ns in Deutschland sehr sel-
tener Ausnahmesall. Sehen
Sie: mein Mann hat auch ei-
ne unverheiratete Schwester.
Ich würde es nicht bean-
standen, daß sie sich Frau
Schnabel nennen läßt. Denn
ich bin eben Frau Geheim-
rat Schnabel."
Der Globus
„Sehen Sie, Auguste, dies ist Brasilien.
Lier wohnt meine Tante!"
„Ach, ist das nicht gefährlich — so am
Abhang?"
Natürlich stimmt das schon lange nicht mehr: der Tee leidet
heutzutage gar nicht durch den Transport auf Schiffen; dazu
wird er jetzt viel zu gut verpackt. Aber Frau Cyprian sprach
doch von dem einzig guten Karawanentee, obgleich auch die
Karawanen für den Teehandcl kaum mehr von Belang sind.
Das wäre nämlich welcher, sagte sie, während sie die Tasse»
füllte. And etwas primitiv sich ausdrückend, versicherte sie
noch einmal: „Ja, Tee muß von Kamelen gebracht worden sein!"
Da kamen, etwas verspätet, noch der Schwager Nelke und
seine Gattin an, die Leute, die sich so viel leisten können und
neulich erst die große Orientreise gemacht haben. And Frau
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Nelke fragte: „Ah, Klara, du hast wohl noch von dem Tee,
den wir dir mitgebracht haben?"
Der junge Stieglitz hatte seine Gedichte mitgebracht. Aber
vorläufig ließ er sie noch in seinem Aeberzieher. Erst wollte
er sich sehr bitten lassen; be-
stürmen müßte man ihn und
bedrängen-und dann
würde er die Gedichte holen.
Dr. Scharfschneider, der
Chirurg, war auch da. Aber
er hatte kaum ein Schlück-
chen Tee genommen,da wurde
er telephonisch abberusen.
Wohl ihm! Der Mann kann
sich freuen, daß er so ver-
langt wird.
Nachher kam es dann so,
wie der junge Stieglitz sich
das gedacht hatte: man
fragte nach seinen neuen Ge-
dichten, man bat, man be-
stürmte und bedrängte ihn
-und dann ging er in
die Diele, die Manuskripte
aus seinem Aeberzieher zu ho-
len. Äimmel, der Aeberzieher
war nicht da! Aber der des
Dr. Scharfschneider hing
noch da — der hastende Arzt
hatte in seiner Eile den
falschen angezogen.
Nein, daß so etwas pas-
sieren mußte! Die Damen
waren untröstlich, und auch
die Herren zeigten höfliches
Bedauern. Nur der alte Wedekopp erkundigte sich bei dem
Poeten: „Sagen Sie mal — wußte denn der Doktor, daß
Ihre Gedichte in dem Aeberzieher steckten?"
Bei Schellacks hatten sie den Doktor Pfeiffer herange-
schleift, der vor einiger Zeit von seiner Forschungsreise aus
den Arwäldern am oberen Lauf des Amazonenftromes zurück-
gekehrt war. Der Mann mußte doch unterhalten können!
Der hatte doch was zu erzählen, nicht wahr?
Der Doktor Pfeiffer hatte keine Lust, so gewissermaßen
als Extranummer aufzutreten. Aber als man ihm keine Ruhe
(Fortsetzung Seite 32-1)
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Der Globus"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1929
Entstehungsdatum (normiert)
1924 - 1934
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 171.1929, Nr. 4399, S. 322
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg