Die schöne Witwe
Von Peter Robinson
„Zum Marschall Vorwärts" hieß der Gasthof, wie viele in
jener Gegend, denn sie sind dort stolz darauf, daß der alte Blücher
ihr Landsmann gewesen ist. Frisch glänzte das Schild des Laufes,
auf dem man den Marschall mit geschwungenem Pallasch dahin-
stürmen sah durch dicke Wolken von Pulverdampf, die einige
fliehende Feinde bis auf einen Teil der Linterseite verhüllten.
Und wie das Schild war auch das ganze Laus neu hergerichtet;
es war alles so gut imstande, als wäre Reparieren und Lackieren
noch so wohlfeil wie einst.
Klaus Pieper, der alte Fischer, hatte sich bei der Rückfahrt
aus der Stadt über den Bodden aus dem kleinem Dampfer zu
mir gesellt. And nun saßen wir in der Glasveranda des Gast-
hofs, die auf das Wasser hinaussah und für die sommerlichen
Badegäste da war, und Klaus Pieper nahm gern die darge-
botene Erfrischung an: Schinken und Mettwurst, einen Schnaps,
aber ein Doppelglas, und eine Flasche Rostocker Bier. Aber
vorsorglich stellte die junge Wirtin noch drei weitere Flaschen
auf den Tisch, zur gefälligen Bedienung.
„Immer hinter's Geschäft her!" brummte Klaus Pieper und
sah ihr etwas verdrossen und doch auch bewundernd nach, als
sie wieder in die große Gaststube zurückging. And einiger Be-
wunderung war, wenigstens an diesem Orte, die junge Witwe
Lulda Pagels wohl wert, mit ihren aschblonden Dauerwellen —
sonst sah man noch keinen Bubikopf im ganzen Flecken — der
leichten Auflage von Schminke auf den runden Wangen, der
schwarzen Seidenbluse als koketter Trauergewandung und ihrem
leicht tänzelnden Gange, wie er auf Brettern mit Rampenlicht
und einem verstimmten Klavier davor zu Lause ist. Pagels
ja, das war ein ortsüblicher Name. Aber Lulda —
nein, so taufte man dort nicht. Es war klar: sie
war nicht' in dem Tal geboren. Aber wußte man
vielleicht, woher sie kam?
„Aus Rostock," sagte Klaus Pieper, und es
lag wieder halb Verdruß, halb Bewunderung in
seinem Ton. „Aber eigentlich stammt sie ja wohl
aus Lamburg. In Rostock hat sie gesungen, in
irgend einem Lokal — was weiß ich! Da hat
sie der Pagels 'rausgeholt. Nach Rostock ist er
gefahren, als er auf einmal wieder eine Frau
ins Laus haben wollte. Das war gleich, wie
ihm der Doktor wieder das Aufstehn erlaubt
hat — damals, als er's auf der Brust gehabt
hatte. Er hat's aber bloß getan, weil er so'ne
Wut gehabt hat auf seinen Bruder und Angst,
daß der mal alles kriegen könnte, den Gasthof
und das ganze Geld. Denn sonst war kein Ver-
wandter da, und die beiden Brüder konnten sich
nicht ansehn. Na, also darum fuhr Pagels nach
Rostock, und da fand er denn ja auch, was er
wollte. Er brachte die Lulda mit, und am Tag
nach der Lochzeit fuhren sie in die Stadt zum
Notar, und jetzt hat sie ja auch richtig alles, und
der Bruder hat das Nachkieken, grad so, wie
Pagels es gewollt hat.
Drei Monate hat's der Pagels noch gemacht,
bis er sich wieder legte und dann auch nicht mehr
ausstand. Aber gut ist er mit der Lulda aus-
gekommen, und sie ist nett zu ihm gewesen, —
das muß man schon sagen. Alles, was recht ist!
Na, sie hat ja auch gewußt, daß es nicht lang'
dauern würde. Laben Sie die goldne Kette ge-
sehn, die sie umhat? And die feine Brosche?
And die schönen Ringe? Lat ihr alles noch der
Pagels geschenkt. And was war der doch sonst
für ein Geizhammel! Damals hätten Sie den Gasthof sehn
sollen — wie'n Schweinekoben. Nichts hat er machen lassen vom
Krieg an, der Pagels, gar rein nichts. Wenn's mal ordentlich
regnete, stand das Wasser zollhoch aus dem Dachboden. Aber
das Dach neu decken lassen — fiel ihm gar nicht ein! And so
war's überall im ganzen Laus.
Na, dann starb nu der Pagels. Die ersten vier Wochen
blieb alles still, und die Lulda rührte nichts an im Laus. Aber
dann ging's los. And was hat sie nicht aus dem Laus gemacht!
Sehen Sie sich doch den ollen Blücher an — eine Pracht ist das
jetzt. And keinen Pfennig hat das der Lulda gekostet. Nee,
nich einen Pfennig hat das Luder dafür ausgegeben.
So etwa einen Monat, nachdem Pagels begraben war,
fing's wieder an, abends im „Marschall Vorwärts" ein bißchen
lauter herzugehn. Die Gaststube war immer hübsch voll. Na,
das ist ja zu verstehn wo so eine forsche junge Witwe im
Laus ist und ihr alles gehört, da findet sich mancher ein, der
sonst bloß mal am Sonntag hier 'reinsehen würde. Die Lulda
stand hinter dem Schanktisch und sagte jedem freundlich guten
Tag und guten Weg. Aber weiter war auch nichts aus ihr
'rauszukriegen, so sehr sich manch einer auch Mühe gab.
Am meisten der lange Linrichs, der Zimmermeister. Der
kam immer schon ganz früh am Nachmittag, wenn sonst noch kein
Mensch da war, und blieb bis zuletzt. And Wein bestellte er!
Latte man das schon erlebt! Wein-wo es doch ein Grog
auch getan hätte! And dann saß er da und trank seinen Wein
und sah immer nach der Lulda hin. And dabei hatte er doch
schon so halbwegs eine Braut drüben im Pommerschen.
„Sie müssen sich abhärten. Lassen Sie jeden Morgen die Badewanne ganz
mit kaltem Wasser voll und steigen Sie auf eine Minute hinein."
„Auf 'ne Minute bloß und dafür die Wanne voll? Aber Lerr Doktor: was
für 'ne Menge Wasser macht das im Monat aus!"
„Nun wenn schon - — das bezahlt doch Ihr Lauswirt."
„Der bin ich ja selber, Lerr Doktor."
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Von Peter Robinson
„Zum Marschall Vorwärts" hieß der Gasthof, wie viele in
jener Gegend, denn sie sind dort stolz darauf, daß der alte Blücher
ihr Landsmann gewesen ist. Frisch glänzte das Schild des Laufes,
auf dem man den Marschall mit geschwungenem Pallasch dahin-
stürmen sah durch dicke Wolken von Pulverdampf, die einige
fliehende Feinde bis auf einen Teil der Linterseite verhüllten.
Und wie das Schild war auch das ganze Laus neu hergerichtet;
es war alles so gut imstande, als wäre Reparieren und Lackieren
noch so wohlfeil wie einst.
Klaus Pieper, der alte Fischer, hatte sich bei der Rückfahrt
aus der Stadt über den Bodden aus dem kleinem Dampfer zu
mir gesellt. And nun saßen wir in der Glasveranda des Gast-
hofs, die auf das Wasser hinaussah und für die sommerlichen
Badegäste da war, und Klaus Pieper nahm gern die darge-
botene Erfrischung an: Schinken und Mettwurst, einen Schnaps,
aber ein Doppelglas, und eine Flasche Rostocker Bier. Aber
vorsorglich stellte die junge Wirtin noch drei weitere Flaschen
auf den Tisch, zur gefälligen Bedienung.
„Immer hinter's Geschäft her!" brummte Klaus Pieper und
sah ihr etwas verdrossen und doch auch bewundernd nach, als
sie wieder in die große Gaststube zurückging. And einiger Be-
wunderung war, wenigstens an diesem Orte, die junge Witwe
Lulda Pagels wohl wert, mit ihren aschblonden Dauerwellen —
sonst sah man noch keinen Bubikopf im ganzen Flecken — der
leichten Auflage von Schminke auf den runden Wangen, der
schwarzen Seidenbluse als koketter Trauergewandung und ihrem
leicht tänzelnden Gange, wie er auf Brettern mit Rampenlicht
und einem verstimmten Klavier davor zu Lause ist. Pagels
ja, das war ein ortsüblicher Name. Aber Lulda —
nein, so taufte man dort nicht. Es war klar: sie
war nicht' in dem Tal geboren. Aber wußte man
vielleicht, woher sie kam?
„Aus Rostock," sagte Klaus Pieper, und es
lag wieder halb Verdruß, halb Bewunderung in
seinem Ton. „Aber eigentlich stammt sie ja wohl
aus Lamburg. In Rostock hat sie gesungen, in
irgend einem Lokal — was weiß ich! Da hat
sie der Pagels 'rausgeholt. Nach Rostock ist er
gefahren, als er auf einmal wieder eine Frau
ins Laus haben wollte. Das war gleich, wie
ihm der Doktor wieder das Aufstehn erlaubt
hat — damals, als er's auf der Brust gehabt
hatte. Er hat's aber bloß getan, weil er so'ne
Wut gehabt hat auf seinen Bruder und Angst,
daß der mal alles kriegen könnte, den Gasthof
und das ganze Geld. Denn sonst war kein Ver-
wandter da, und die beiden Brüder konnten sich
nicht ansehn. Na, also darum fuhr Pagels nach
Rostock, und da fand er denn ja auch, was er
wollte. Er brachte die Lulda mit, und am Tag
nach der Lochzeit fuhren sie in die Stadt zum
Notar, und jetzt hat sie ja auch richtig alles, und
der Bruder hat das Nachkieken, grad so, wie
Pagels es gewollt hat.
Drei Monate hat's der Pagels noch gemacht,
bis er sich wieder legte und dann auch nicht mehr
ausstand. Aber gut ist er mit der Lulda aus-
gekommen, und sie ist nett zu ihm gewesen, —
das muß man schon sagen. Alles, was recht ist!
Na, sie hat ja auch gewußt, daß es nicht lang'
dauern würde. Laben Sie die goldne Kette ge-
sehn, die sie umhat? And die feine Brosche?
And die schönen Ringe? Lat ihr alles noch der
Pagels geschenkt. And was war der doch sonst
für ein Geizhammel! Damals hätten Sie den Gasthof sehn
sollen — wie'n Schweinekoben. Nichts hat er machen lassen vom
Krieg an, der Pagels, gar rein nichts. Wenn's mal ordentlich
regnete, stand das Wasser zollhoch aus dem Dachboden. Aber
das Dach neu decken lassen — fiel ihm gar nicht ein! And so
war's überall im ganzen Laus.
Na, dann starb nu der Pagels. Die ersten vier Wochen
blieb alles still, und die Lulda rührte nichts an im Laus. Aber
dann ging's los. And was hat sie nicht aus dem Laus gemacht!
Sehen Sie sich doch den ollen Blücher an — eine Pracht ist das
jetzt. And keinen Pfennig hat das der Lulda gekostet. Nee,
nich einen Pfennig hat das Luder dafür ausgegeben.
So etwa einen Monat, nachdem Pagels begraben war,
fing's wieder an, abends im „Marschall Vorwärts" ein bißchen
lauter herzugehn. Die Gaststube war immer hübsch voll. Na,
das ist ja zu verstehn wo so eine forsche junge Witwe im
Laus ist und ihr alles gehört, da findet sich mancher ein, der
sonst bloß mal am Sonntag hier 'reinsehen würde. Die Lulda
stand hinter dem Schanktisch und sagte jedem freundlich guten
Tag und guten Weg. Aber weiter war auch nichts aus ihr
'rauszukriegen, so sehr sich manch einer auch Mühe gab.
Am meisten der lange Linrichs, der Zimmermeister. Der
kam immer schon ganz früh am Nachmittag, wenn sonst noch kein
Mensch da war, und blieb bis zuletzt. And Wein bestellte er!
Latte man das schon erlebt! Wein-wo es doch ein Grog
auch getan hätte! And dann saß er da und trank seinen Wein
und sah immer nach der Lulda hin. And dabei hatte er doch
schon so halbwegs eine Braut drüben im Pommerschen.
„Sie müssen sich abhärten. Lassen Sie jeden Morgen die Badewanne ganz
mit kaltem Wasser voll und steigen Sie auf eine Minute hinein."
„Auf 'ne Minute bloß und dafür die Wanne voll? Aber Lerr Doktor: was
für 'ne Menge Wasser macht das im Monat aus!"
„Nun wenn schon - — das bezahlt doch Ihr Lauswirt."
„Der bin ich ja selber, Lerr Doktor."
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Sie müssen sich abhärten ..."
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1930
Entstehungsdatum (normiert)
1920 - 1940
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 173.1930, Nr. 4446, S. 245
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg