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Zeichnung von M. Claus

Zu weit gehend

„Sie ick Hab' doch hier keene Leihbibliothek! Jetzt kieken Se schon 'ne halbe Stunde in
det selbe Buch!" — „Aber Sie haben doch die Bücher zum Ansehn hingestellt." — „Sie
Hain aber schon zweemal jelacht bei 't Lesen. Wenn Se noch eenmal lachen, müssen Se zahlen."

Die harte Pflicht Von Ltcronymus Jobs

Anneliese Knopf, einziges Kind. Äerzblättchen. Sonnenstrahl
und Lebenszweck der Notarswitwe Elfriede Knopf, heiratet, und
mit Recht sagen Nachbarn und Freunde der Familie: „O du
liebe Zeit, wie wird doch die Frau Knopf die Trennung ertragen!"
And zwar heiratet die Anneliese den Rechtsanwalt Dr. Plurian,
einziges Kind. Augapfel. Daseinsfreude und Mutterstolz der
Arztenswitwe Kunigunde Plurian. und auch hier sprechen die
Leute: „Frau Plurian und von ihrem Sohn getrennt unmög-
lich." And allgemach deuten auch die beiderseitigen Mütter ihren
verlobten Kindern die Anerträglichkeit der bevorstehenden Tren-
nung an. Wie nun aber schon einmal Kinder sind, und verlobte
zumal, sie geben beiderseits nichts auf den mütterlichen Trennungs-
schmerz. sondern schwelgen in blankem Gegenwartsglück und hol-
den Zukunftsträumen.

Die Mütter wurden daher deutlicher und traten zuletzt mit
ganz bestimmt formulierten Anträgen hervor: um sich langsam

in die Trennung von ihre» Kindern zu
finden, schiene es ihnen außerordent-
lich empfehlenswert, die Hochzeitsreise
gemeinsam, selbviert, in der Weise zu
machen, daß die Neuvermählten wohl
tagsüberihren besonderen Liebhabereien
sollten nachgehen können, daß jedoch der
Abend jung und alt regelmäßig wieder
zu vereinen habe.

Doktor Plurians Antlitz nahm ob
dieser empfehlenswerten Neuerung ei-
nen recht besinnlichen Ausdruck an; auch
schluckte er. als müßte er vor seiner
Entgegnung erst einmal von einer un-
vorhergesehenen. plötzlich aufgetretenen
Aebelkeit sich etwas erholen, mehrmals
sehr nachdrücklich. And auch Anneliese
versetzte der mütterliche Antrag nicht
in lautes Frohlocken. Sie blickte im Ge-
genteil hilfesuchend, als wär' ihr soeben
von ungefähr ein Dachziegel auf den
Kopf gefallen, ihren Bräutigam an.
und der verstand die stumme Sprache.

„Schön," sagte er zu den beiden
Müttern, davon die eine an Lungen-
asthma. die andre an doppelseitiger Mi-
gräne litt, „und wirklich lieb und dan-
kenswert von euch, dieses Zartgefühl.
Indes bedenkt: Anneliese und ich besteigen
gleich in den ersten Tagen unsrer Reise
den Großglockner, fast viertausend Meter
hoch, von dreitausend ab nur noch Eis
und Schnee und nichts als Gletscher-
spalten und wieder Gletscherspalten und
dazu die Luft so schneidend kalt und so
dünn, daß manche, znmal ältere Leute,
nur mit Äilfe künstlicher Sauerstoffzu-
fuhr die Partie überdauern."

„Je dünner die Luft und je frischer
die Temperatur." sprach die Mutter
mit der doppelseitigen Migräne, „um
so wohler fühle ich mich. Am liebsten
brächte ich überhaupt meinen Lebens-
abend in einer Gletscherspalte zu."

„And auf mich," versetzte die Mut-
ter mit dem Bronchialasthma höchst ge-
reizt, „braucht man natürlich keine Rück-
sicht zu nehmen."

And so heftig, ja leidenschaftlich
gestaltete sich in den folgenden Minuten der Zusammenprall von
Asthma und Migräne, daß Anneliese ihrem Verlobten schon
wieder einen ihrer hilflosen und dennoch so unwiderstehlichen
Blicke zuwarf. Sie war ungemein erstaunt, hier zum erstenmal
von der hochzeitlichen Besteigung des Großglockners zu hören,
hatte sie doch bislang mit ihrem Bräutigam wie umgekehrt der
Bräutigam mit ihr einzig und allein von einer Italienreise
geschwärmt.

„Du wartest eben dann ganz einfach, liebe Mama." fuhr
Doktor Plurian, gleichsam einlenkend und an seine asthmatische
Schwiegermutter gewendet, fort, „am Fuße des Großglockners,
bis wir wieder herunterkommen. Am besten wohl in einer ge-
räumigen Tropfsteinhöhle. Die Muße. Ruhe und absolute Stille
werden deinen Nerven guttun. Freilich, wo wir herunter-
kommen. läßt sich im vorhinein auch nicht annähernd sagen; denn
die Richtung des Abstiegs hängt davon ab, ob oben Föhnwind
herrscht oder nicht."
Bildbeschreibung

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"Zu weit gehend"
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Aufbewahrungsort/Standort (GND)
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Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

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Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Claus, Martin
Entstehungsdatum
um 1931
Entstehungsdatum (normiert)
1926 - 1936
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift
Antiquariat
Buch

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Künstler/Urheber (GND)
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Digitales Bild
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In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
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Fliegende Blätter, 175.1931, Nr. 4501, S. 294

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