Das Brückengeld
gut für sie, denn es erleichtert ihnen ihr schweres
Leben.
Ganz zufällig, während sie auf die Brücke sehen,
erwähnt nun einer der Herren aus der Gegend, daß
es fünf Pfennige koste, da hinüber zu gehen, und da-
rüber wundert sich einer der Fremden. Das ist ein
gewisser Kolbe aus Berlin. „Na, dann gehen wir
mal alle 'rauf!" schlägt er vor. „Bewegung ist uns
überhaupt gut."
Die sechs Herren wandern der Brücke zu, be-
treten sie, gehen bis zur Mitte, schauen von dort
aus erst einmal gründlich die Landschaft an, und
kommen dann langsam zu Jakob Igel, voraus jener
Kolbe. Jakob Igel, der auf einer Bank sitzt, steht
auf; das lohnt sich schon für sechs Brückengeldpflicb-
tige. Er freut sich, daß es gleich sechs sind, denn
heute hat er noch wenig eingenommen. „Vitt' schön!"
sagt er und hält Kolbe die Hand hin. „Das Brücken-
geld — fünf Pfennige, Herr!" Und dann, überlegend,
daß dieser vorangehende Herr wohl der Kassenwart
der Gesellschaft sei, setzt er hinzu: „Sechsmal,
Herr!" Die Multiplikation erspart er sich vorläufig.
Kolbe zeigt sich erstaunt und befremdet. „Was
sagen Sie, lieber Mann? Wir sollen jeder fünf
Pfennige bezahlen? Aber das ist doch ganz ausge-
schlossen. Man bezahlt doch nicht, wenn man über
eine Brücke geht. Haben Sie schon mal was von
Venedig gehört? Das ist eine Stadt, die ganz im
Wasser liegt; da sind 378 Brücken. Wenn man da
jedesmal, wenn man über eine Brücke geht, fünf
Pfennige bezahlen sollte — wo käme man da hin?"
Jakob Igel hat die unklare Empfindung, daß
dieser Fall nicht zum Vergleich geeignet sei, aber er
vermag das nicht auszudrücken. Er sagt nur schlicht:
„Das Brückengeld macht halt fünf Pfennige die
Person, Herr."
„Wären also 30 Pfennige. Unerhört! Das müs-
sen wir doch erst mal besprechen." Er geht zu seinen
Genossen, und alle sechs scheinen den Fall ernsthaft
zu erwägen. Dann kommt Kolbe wieder zu Jakob
Igel. „Nee, lieber Mann, das n achen wir also nicht.
Kommt gar nicht für uns in Frage. Guten Tag!"
- Und dann gehen die sechs Herren wieder über
die Brücke zurück nach Strauchtal.
Dagegen kann Jakob Igel nichts machen. Der
Fall, daß Leute die Brücke erst bis zum einen Ende
und dann noch einmal in entgegengesetzter Richtung
benutzen und doch nicht dafür bezahlen — dieser
Fall ist in seinen kärglichen Instruktionen nicht vor-
gesehen. Aber es schmerzt ihn doch sehr, daß er die
30 Pfennige nicht bekommen hat, denn es ist, wie
gesagt, heute ein schlechter Geschäftstag für ihn.
Aber halt — da kommen ja die Herren wieder zu-
rück. Fünf bleiben stehen und schauen in den Fluß;
der sechste, der wahrscheinliche Kassenwart, kommt zu ihm.
„Also, mein lieber Mann, nun reden wir mal vernünftig über
die Sache!" sagt Kolbe. „Dreißig Pfennige — davon kann na-
türlich nicht die Rede sein. Das ist uns zu teuer; solche Forde-
rungen müssen wir von vornherein glatt ablehnen. Aber wir
können ja versuchen, uns zu einigen. Wir bieten Ihnen W Pfen-
nige. Das können Sie annehmen, das ist doch gewiß ein an-
ständiges Angebot."
Jakob Igel schüttelt den Kopf. Nein, das kann er nicht an-
nehmen.
Rheine wandelt
im Maien
Des Nachts der liehe Gott —
Da wohnt auch die schönste der Feien,
Die blonde Liselott.
Sie schankte mir den Humpen
Randvoll zu St. Goar,
Ich ließ mich auch nicht lumpen
Und zahlte ihr in har,
Zwar nicht aus meiner Börse
— Die war noch niemals dick —
Ich machte ihr ein paar Verse
Und setzte sie in Musik:
Schöne, blonde Liselott vom Rheine,
Es hat nicht sollen sein:
Warst du auch nicht die meine,
Niemals vergoß ich dein!
Hast du, als wir Schmollis tranken,
D.in Herz mir auch nicht geschenkt,
In Bayern, in Schwaben, in Franken —
Ich bins, der mit tausend Gedanken,
Der immer an dich denkt!
Nur einmal, als ich sagte,
Daß ich nun wandern muß,
Und als ich nicht drum fragte,
Gabst du mir einen Nuß.
Schöne, blonde Liselott vom Rheine,
Es hat nicht sollen sein:
Warst du auch nicht die meine,
Niemals vergeß ich dein!
Hast du, als wir Schmollis tranken,
Dein Herz mir auch nicht geschenkt,
In Bayern, in Schwaben, in Franken —
Ich bins, der mit tausend Gedanken,
Der immer an dich denkt!
Liselottchen, glaube,
Dein Wein war gut
und alt,
Ich hätt in der Rebenlaube
Mit Nüssen gern bezahlt.
Du mochtest es nicht dulden,
Du zogst ein schief Gesicht,
Sprachst: „Herr Student, mit Gulden
Bezahlt man — oder nicht!“
' sang es selber,Nieine,
Dies Lied, für dich
gemacht,
Fs hat mich fern vom Rheine
Getröstet manche Nacht.
Und zog ich über den Ferner
Nach Süd von der Alpen Joch,
Dann stieg im schwarzen Falerner
Dein süßes Bildnis hoch.
Hab ich Geselln getroffen.
Nach Norden wandernd gar,
Dann bat ich: „Grüßt mit den Strophen
Die Lisel in St. Goar:
Schöne, blonde Liselott vom Rheine,
Es hat nicht sollen sein:
Warst du auch nicht die meine.
Niemals vergeß ich dein!
Hast du, als wir Schmollis tranken,
Dein Herz mir auch nicht geschenkt,
In Bayern, in Schwaben, in Franken —
Ich bins, der mit tausend Gedanken
Und immer an dich denkt!“
Curriander
„Laben Sie sich das auch überlegt, lieber Mann? Man
muß einander im Geschäftslebcn immer entgegenkommend
Nein, Jakob Igel kann nicht entgegenkommen. Kolbe zuckt
bedauernd die Achseln, und die sechs Lerren wandern wieder über
die Brücke zurück nach Strauchtal.
Fünf Minuten später aber sind sie wieder da. „Sie sind ein
harter Kunde, lieber Mann," sagt Kolbe. „Also dann 15 Pfennige.
Aber weiter gehen wir auf keinen Fall. Sie müssen do.'b ein-
sehcn, daß wir entgegengekommen sind, und daß es nun an Ihnen
ist, das auch zu tun."
343
gut für sie, denn es erleichtert ihnen ihr schweres
Leben.
Ganz zufällig, während sie auf die Brücke sehen,
erwähnt nun einer der Herren aus der Gegend, daß
es fünf Pfennige koste, da hinüber zu gehen, und da-
rüber wundert sich einer der Fremden. Das ist ein
gewisser Kolbe aus Berlin. „Na, dann gehen wir
mal alle 'rauf!" schlägt er vor. „Bewegung ist uns
überhaupt gut."
Die sechs Herren wandern der Brücke zu, be-
treten sie, gehen bis zur Mitte, schauen von dort
aus erst einmal gründlich die Landschaft an, und
kommen dann langsam zu Jakob Igel, voraus jener
Kolbe. Jakob Igel, der auf einer Bank sitzt, steht
auf; das lohnt sich schon für sechs Brückengeldpflicb-
tige. Er freut sich, daß es gleich sechs sind, denn
heute hat er noch wenig eingenommen. „Vitt' schön!"
sagt er und hält Kolbe die Hand hin. „Das Brücken-
geld — fünf Pfennige, Herr!" Und dann, überlegend,
daß dieser vorangehende Herr wohl der Kassenwart
der Gesellschaft sei, setzt er hinzu: „Sechsmal,
Herr!" Die Multiplikation erspart er sich vorläufig.
Kolbe zeigt sich erstaunt und befremdet. „Was
sagen Sie, lieber Mann? Wir sollen jeder fünf
Pfennige bezahlen? Aber das ist doch ganz ausge-
schlossen. Man bezahlt doch nicht, wenn man über
eine Brücke geht. Haben Sie schon mal was von
Venedig gehört? Das ist eine Stadt, die ganz im
Wasser liegt; da sind 378 Brücken. Wenn man da
jedesmal, wenn man über eine Brücke geht, fünf
Pfennige bezahlen sollte — wo käme man da hin?"
Jakob Igel hat die unklare Empfindung, daß
dieser Fall nicht zum Vergleich geeignet sei, aber er
vermag das nicht auszudrücken. Er sagt nur schlicht:
„Das Brückengeld macht halt fünf Pfennige die
Person, Herr."
„Wären also 30 Pfennige. Unerhört! Das müs-
sen wir doch erst mal besprechen." Er geht zu seinen
Genossen, und alle sechs scheinen den Fall ernsthaft
zu erwägen. Dann kommt Kolbe wieder zu Jakob
Igel. „Nee, lieber Mann, das n achen wir also nicht.
Kommt gar nicht für uns in Frage. Guten Tag!"
- Und dann gehen die sechs Herren wieder über
die Brücke zurück nach Strauchtal.
Dagegen kann Jakob Igel nichts machen. Der
Fall, daß Leute die Brücke erst bis zum einen Ende
und dann noch einmal in entgegengesetzter Richtung
benutzen und doch nicht dafür bezahlen — dieser
Fall ist in seinen kärglichen Instruktionen nicht vor-
gesehen. Aber es schmerzt ihn doch sehr, daß er die
30 Pfennige nicht bekommen hat, denn es ist, wie
gesagt, heute ein schlechter Geschäftstag für ihn.
Aber halt — da kommen ja die Herren wieder zu-
rück. Fünf bleiben stehen und schauen in den Fluß;
der sechste, der wahrscheinliche Kassenwart, kommt zu ihm.
„Also, mein lieber Mann, nun reden wir mal vernünftig über
die Sache!" sagt Kolbe. „Dreißig Pfennige — davon kann na-
türlich nicht die Rede sein. Das ist uns zu teuer; solche Forde-
rungen müssen wir von vornherein glatt ablehnen. Aber wir
können ja versuchen, uns zu einigen. Wir bieten Ihnen W Pfen-
nige. Das können Sie annehmen, das ist doch gewiß ein an-
ständiges Angebot."
Jakob Igel schüttelt den Kopf. Nein, das kann er nicht an-
nehmen.
Rheine wandelt
im Maien
Des Nachts der liehe Gott —
Da wohnt auch die schönste der Feien,
Die blonde Liselott.
Sie schankte mir den Humpen
Randvoll zu St. Goar,
Ich ließ mich auch nicht lumpen
Und zahlte ihr in har,
Zwar nicht aus meiner Börse
— Die war noch niemals dick —
Ich machte ihr ein paar Verse
Und setzte sie in Musik:
Schöne, blonde Liselott vom Rheine,
Es hat nicht sollen sein:
Warst du auch nicht die meine,
Niemals vergoß ich dein!
Hast du, als wir Schmollis tranken,
D.in Herz mir auch nicht geschenkt,
In Bayern, in Schwaben, in Franken —
Ich bins, der mit tausend Gedanken,
Der immer an dich denkt!
Nur einmal, als ich sagte,
Daß ich nun wandern muß,
Und als ich nicht drum fragte,
Gabst du mir einen Nuß.
Schöne, blonde Liselott vom Rheine,
Es hat nicht sollen sein:
Warst du auch nicht die meine,
Niemals vergeß ich dein!
Hast du, als wir Schmollis tranken,
Dein Herz mir auch nicht geschenkt,
In Bayern, in Schwaben, in Franken —
Ich bins, der mit tausend Gedanken,
Der immer an dich denkt!
Liselottchen, glaube,
Dein Wein war gut
und alt,
Ich hätt in der Rebenlaube
Mit Nüssen gern bezahlt.
Du mochtest es nicht dulden,
Du zogst ein schief Gesicht,
Sprachst: „Herr Student, mit Gulden
Bezahlt man — oder nicht!“
' sang es selber,Nieine,
Dies Lied, für dich
gemacht,
Fs hat mich fern vom Rheine
Getröstet manche Nacht.
Und zog ich über den Ferner
Nach Süd von der Alpen Joch,
Dann stieg im schwarzen Falerner
Dein süßes Bildnis hoch.
Hab ich Geselln getroffen.
Nach Norden wandernd gar,
Dann bat ich: „Grüßt mit den Strophen
Die Lisel in St. Goar:
Schöne, blonde Liselott vom Rheine,
Es hat nicht sollen sein:
Warst du auch nicht die meine.
Niemals vergeß ich dein!
Hast du, als wir Schmollis tranken,
Dein Herz mir auch nicht geschenkt,
In Bayern, in Schwaben, in Franken —
Ich bins, der mit tausend Gedanken
Und immer an dich denkt!“
Curriander
„Laben Sie sich das auch überlegt, lieber Mann? Man
muß einander im Geschäftslebcn immer entgegenkommend
Nein, Jakob Igel kann nicht entgegenkommen. Kolbe zuckt
bedauernd die Achseln, und die sechs Lerren wandern wieder über
die Brücke zurück nach Strauchtal.
Fünf Minuten später aber sind sie wieder da. „Sie sind ein
harter Kunde, lieber Mann," sagt Kolbe. „Also dann 15 Pfennige.
Aber weiter gehen wir auf keinen Fall. Sie müssen do.'b ein-
sehcn, daß wir entgegengekommen sind, und daß es nun an Ihnen
ist, das auch zu tun."
343
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Liselotte von St. Goar"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsdatum
um 1931
Entstehungsdatum (normiert)
1926 - 1936
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 175.1931, Nr. 4504, S. 343
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg