Die Hochzeit im Wasser
Märchen von Georg Schwarz
Ich hatte mich mit Mariechen verzankt. Jedermann kennt
Marie, sie ist das beste Mädchen vom Städtchen. Aber ich bin
eigensinnig - und wollte sie nicht bitten, am Sonntag bei Fischer
Märien auf mich zu warten; ich wäre gerne mit ihr Kahn gefahren.
So ging ich am Sonntag allein an den See, nahm einen Kahn
und ruderte los. Als ich schon weit aus dem See draußen schwamm,
ließ ich die Ruder ins Wasser hängen und stützte mein Kinn auf
die Faust.
„Mariechen!" seufzte ich. — Da läuteten die Mittagsglocken
im Städtchen. Der Glockenion verhallte im Wasser und die Wellen
blinketten glitzerig. Müdigkeit überfiel mich und ich legte mich auf
den Bretterboden meines Schiffchens. Die Sonne stach, die Wasser-
zünglein schnalzten und leckten am Kiel, und das Ruder tat manch-
mal einen so ungeheuerlichen Ruck, daß ich darüber erschrak. Ich
preßte mein Ohr fest auf den Boden des Schiffchens — und da
war es mir, als hörte ich die Glocken von unten aus dem Wasser
herauf läuten, sanfter und schöner klingen als in der Luft, fing
an zu träumen und erinnerte mich, einmal gehört zu haben, daß
ein Städtlein wie das unsrige und mit demselben Namen bei
einer Sturmflut im See versunken sei, wo es heute noch heil und
ganz auf dem Grunde stehe, ein paar hundert Klafter tief im
Wasser. — Ich hatte plötzlich den großen Wunsch, die Stadt da
unten zu sehen. — Da hörte ich die Glocken aus dem Wasser
heller und stärker läuten als zuvor, so laut und nah war der Schall,
daß ich meinte, auf dem Kirchplatz in unserem Städtchen zu stehen,
wenn über einem die Glocken zu Mittag anfangen ihr schwermü-
tiges Lied zu singen. Mein Lerz schlug laut, der Glockenschall
wiegte mich ein, und mein Schifflein begann zu schaukeln, zu sinken
und tanzte mit mir hinab in die grünsunkelnde Tiefe. Kleine Sil-
berfische flitzten an mir vorüber und schwänzelten hinab in die
blaue Dämmerung. Mein Auge gewöhnte sich an die Farbe der
blaugrünen Wellen und ich erkannte tief unter mir — die Stadt
im Wasser. Glockenschall dröhnte laut an mein Ohr, und bewegte
Wasser wehten über mein Gesicht. Ein lautes Poltern erschreckte
mich. Ziegelsteine stürzten in meinen Kahn, der eben am spitzen
Dach eines Kirchturms herniederglitt. Zm Niederschweben konnte
ich rasch einen Blick tun durch die Schallöcher des Turmes und
sah die großen, uralten, bemoosten Glocken wie rauhhaarige Säcke
plump und schwer im Wasser hin und herschwingen. Ein heftiger
Stoß geschah. Ich wurde samt meinem Schiff auf ein benachbartes
Lausdach geschleudert, glitt sausend ab und lag plötzlich auf einer
Straße, die mir nicht unbekannt war. Rasch ließ ich mein Boot
im Stich und schwamm und ruderte umher. Die Läufer, die Kirche,
die Straßen und Plätze waren mir bekannt, wenn auch alles ein
wenig verwittert und verwässert aussah. — Lautlos bewegten sich
die Türen der Läufer, alles war still, Blumen standen auf wo-
genden Gesimsen und wehten im Wellenwind. Wohnt denn nie-
mand in dieser Stadt? fragte ich mich. Kaum hatte ich das ge-
dacht, als mich ein seltsamer Anblick erschreckte. Was kam denn
da durch die Straße gerudert. Arme und Beine schwingend, hüpfend
wie ein Wasserfloh — und doch von Menschengestalt? Es war
ein hageres, spindeldürres Männchen, ohne Lut, mit einer Laar-
perücke auf dem Kopf, die ihm zu schaffen machte beim Gegen-
wind der Wellen. Der schwimmende Kerl sah aus wie ein Schul-
meister, hatte Taktstöcklein und Notenbuch unterm Arm. War
mir der Schulmeister mit seinen fliegenden Nockschößen nicht
Beleidigender Empfang
„Ochse!"-„Wildes Schwein!"-„Altes Rotz!" 21
Märchen von Georg Schwarz
Ich hatte mich mit Mariechen verzankt. Jedermann kennt
Marie, sie ist das beste Mädchen vom Städtchen. Aber ich bin
eigensinnig - und wollte sie nicht bitten, am Sonntag bei Fischer
Märien auf mich zu warten; ich wäre gerne mit ihr Kahn gefahren.
So ging ich am Sonntag allein an den See, nahm einen Kahn
und ruderte los. Als ich schon weit aus dem See draußen schwamm,
ließ ich die Ruder ins Wasser hängen und stützte mein Kinn auf
die Faust.
„Mariechen!" seufzte ich. — Da läuteten die Mittagsglocken
im Städtchen. Der Glockenion verhallte im Wasser und die Wellen
blinketten glitzerig. Müdigkeit überfiel mich und ich legte mich auf
den Bretterboden meines Schiffchens. Die Sonne stach, die Wasser-
zünglein schnalzten und leckten am Kiel, und das Ruder tat manch-
mal einen so ungeheuerlichen Ruck, daß ich darüber erschrak. Ich
preßte mein Ohr fest auf den Boden des Schiffchens — und da
war es mir, als hörte ich die Glocken von unten aus dem Wasser
herauf läuten, sanfter und schöner klingen als in der Luft, fing
an zu träumen und erinnerte mich, einmal gehört zu haben, daß
ein Städtlein wie das unsrige und mit demselben Namen bei
einer Sturmflut im See versunken sei, wo es heute noch heil und
ganz auf dem Grunde stehe, ein paar hundert Klafter tief im
Wasser. — Ich hatte plötzlich den großen Wunsch, die Stadt da
unten zu sehen. — Da hörte ich die Glocken aus dem Wasser
heller und stärker läuten als zuvor, so laut und nah war der Schall,
daß ich meinte, auf dem Kirchplatz in unserem Städtchen zu stehen,
wenn über einem die Glocken zu Mittag anfangen ihr schwermü-
tiges Lied zu singen. Mein Lerz schlug laut, der Glockenschall
wiegte mich ein, und mein Schifflein begann zu schaukeln, zu sinken
und tanzte mit mir hinab in die grünsunkelnde Tiefe. Kleine Sil-
berfische flitzten an mir vorüber und schwänzelten hinab in die
blaue Dämmerung. Mein Auge gewöhnte sich an die Farbe der
blaugrünen Wellen und ich erkannte tief unter mir — die Stadt
im Wasser. Glockenschall dröhnte laut an mein Ohr, und bewegte
Wasser wehten über mein Gesicht. Ein lautes Poltern erschreckte
mich. Ziegelsteine stürzten in meinen Kahn, der eben am spitzen
Dach eines Kirchturms herniederglitt. Zm Niederschweben konnte
ich rasch einen Blick tun durch die Schallöcher des Turmes und
sah die großen, uralten, bemoosten Glocken wie rauhhaarige Säcke
plump und schwer im Wasser hin und herschwingen. Ein heftiger
Stoß geschah. Ich wurde samt meinem Schiff auf ein benachbartes
Lausdach geschleudert, glitt sausend ab und lag plötzlich auf einer
Straße, die mir nicht unbekannt war. Rasch ließ ich mein Boot
im Stich und schwamm und ruderte umher. Die Läufer, die Kirche,
die Straßen und Plätze waren mir bekannt, wenn auch alles ein
wenig verwittert und verwässert aussah. — Lautlos bewegten sich
die Türen der Läufer, alles war still, Blumen standen auf wo-
genden Gesimsen und wehten im Wellenwind. Wohnt denn nie-
mand in dieser Stadt? fragte ich mich. Kaum hatte ich das ge-
dacht, als mich ein seltsamer Anblick erschreckte. Was kam denn
da durch die Straße gerudert. Arme und Beine schwingend, hüpfend
wie ein Wasserfloh — und doch von Menschengestalt? Es war
ein hageres, spindeldürres Männchen, ohne Lut, mit einer Laar-
perücke auf dem Kopf, die ihm zu schaffen machte beim Gegen-
wind der Wellen. Der schwimmende Kerl sah aus wie ein Schul-
meister, hatte Taktstöcklein und Notenbuch unterm Arm. War
mir der Schulmeister mit seinen fliegenden Nockschößen nicht
Beleidigender Empfang
„Ochse!"-„Wildes Schwein!"-„Altes Rotz!" 21
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Beleidigender Empfang
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1932
Entstehungsdatum (normiert)
1927 - 1937
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 177.1932, Nr. 4537, S. 21
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg