Zeichnung von H. R. Pfeiffer
„Wenn ich an dich denke, ist immer Sonnenschein."
„Warum sagst du mir so häßliche Sachen?"
„Ich bitte dich: häßliche Sachen?"
„Na ja, — es gießt doch seit vier Stunden."
Die Lochzeik im Wasser
bekannt? — Da tras mich sein stechend schwarzer Blick von der
Seite. Ich erschrak — es war Provisor Tatzenstock, der Quäl-
geist meiner Schulzeit! And er hatte es eilig zur Kirche, wie immer.
Was gab es denn da auf einmal? Die ganze Straße kam
in Bewegung. Von allen Seiten schwammen die Leute herbei,
ruderten mit den Armen und strampften mit den Beinen, stellten
sich rechts und links von der Straße auf und redeten offenbar von
einem großen Ereignis. Sie blickten alle auf ein großes Laus am
Markt, das mir schon aufgefallen war. Das Laus, dieses schöne,
große Laus war mir bekannt. Ich zählte seine Fenster, seine
Stockwerke, schaute, ob der Taubenschlag aus dem Dach zu finden
wäre! Gott! Es war Mariechens Laus am Markt. — Warum
starrten denn die Leute so auf das Laus? Ich wurde ganz un-
ruhig, denn mir ahnte nichts Gutes. Da öffnete sich lautlos die
Tür des Laufes und eine Schar weißgekleideter Mädchen mit
Das Tor der Kirche war ge-
öffnet. Orgelklang schlug in wohl-
klingenden Wellen an mein Ohr
— und der lange Zug der Loch-
zeiter verschwand in der Kirche.
Ich mischte mich unter die nach-
drängenden Zuschauer und kam bei-
nahe als Letzter in das Gottes-
haus. Mit Mühe bahnte ich mir
einen Weg zum Altar. Mariechen
saß im Schmuck ihres Schleiers,
einen Strauß in der Land, vorn
in der ersten Bank. Da ging die
Tür der Sakristei auf und der
Pfarrer schwamm im schwarzen
Chorhemd aus dem Lintergrund
der Kirche hervor, ruderte mit dem
Bibelbuch in der Land und bekam
einen roten Kopf dabei. Als er
seinen Platz am Altar eingenom-
men hatte, begann die Orgel mit Macht zu spielen. Ich blickte
hinauf zur Empore. Provisor Tatzenstock schlug die Orgel mit
großer Kraft, doch nur mit einer Land, mit der andern mußte
er seine wehende Perücke festhalten, denn es ging ein großer
Mellenwind in der Kirche. Das Orgelspiel ging dem Ende zu.
Bei den letzten Takten griff Tatzenstock mit beiden Länden ins
Werk. Da geschah das Anglück! Seine Perücke erhob sich, flog
sanft in die Löhe und schwebte schon hoch über der höchsten
Orgelpfeife, als plötzlich ein Karpfen daherschoß und sie erschnappte.
Der Pfarrer hatte unterdeffen die Bibel aufgeschlagen und zu
lesen begonnen. Eine lange Reihe kleiner LuftbläJchen quoll aus
seinem Munde und stieg wie ein Leiterchen in die Löhe. Braut
und Bräutigam traten vor den Altar. Ich war so empört über
die Trauung, daß ich meinte, ich müßte dem Paul auf der Stelle
eine Ohrfeige geben, den Pfarrer im Chorhemd vom Altar Herunter-
reißen und ihm sein Bibelbuch aus der Land schlagen. Aber da
Blumen im Laar trat hervor. Ich
zappelte am ganzen Leib, wandte
mich an die Leute und fragte, was
denn das alles zu bedeuten hätte.
Ich drängte mich durch die Menge
und ruderte die offene Straße hinab.
Die weißen Mädchen liefen schon
auf den Marktplatz. Ihnen folgte
ein Zug von geschmückten Paaren.
And in ihrer Mitte ging die Braut.
Mariechen. Ich taumelte und
rang nach Luft. Ratschreibers Paul
Mariechens Jugendfreund, war
Bräutigam. Mariechen ging stumm
am Arm ihres Brautführers —
und warf mir einen Blick zu, der
war traurig und hilflos. Ihre
Augen blickten wie Fischaugen,
weich und verschwommen. Ein
großer Jammer kam über meine
Seele. Warum hatte ich mich mit
Mariechen überworsen, mich von
ihr getrennt, sie anderen Menschen
überlaffen? — Sie liebte mich noch,
ihre Augen sagten es mir. Aber
ein anderer war gekommen, hatte
sie begehrt, und sie hatte ja gesagt
mit verzweifeltem Lerzen.
Die Reue, das bittere Gift,
verzehrte mich fast.
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„Wenn ich an dich denke, ist immer Sonnenschein."
„Warum sagst du mir so häßliche Sachen?"
„Ich bitte dich: häßliche Sachen?"
„Na ja, — es gießt doch seit vier Stunden."
Die Lochzeik im Wasser
bekannt? — Da tras mich sein stechend schwarzer Blick von der
Seite. Ich erschrak — es war Provisor Tatzenstock, der Quäl-
geist meiner Schulzeit! And er hatte es eilig zur Kirche, wie immer.
Was gab es denn da auf einmal? Die ganze Straße kam
in Bewegung. Von allen Seiten schwammen die Leute herbei,
ruderten mit den Armen und strampften mit den Beinen, stellten
sich rechts und links von der Straße auf und redeten offenbar von
einem großen Ereignis. Sie blickten alle auf ein großes Laus am
Markt, das mir schon aufgefallen war. Das Laus, dieses schöne,
große Laus war mir bekannt. Ich zählte seine Fenster, seine
Stockwerke, schaute, ob der Taubenschlag aus dem Dach zu finden
wäre! Gott! Es war Mariechens Laus am Markt. — Warum
starrten denn die Leute so auf das Laus? Ich wurde ganz un-
ruhig, denn mir ahnte nichts Gutes. Da öffnete sich lautlos die
Tür des Laufes und eine Schar weißgekleideter Mädchen mit
Das Tor der Kirche war ge-
öffnet. Orgelklang schlug in wohl-
klingenden Wellen an mein Ohr
— und der lange Zug der Loch-
zeiter verschwand in der Kirche.
Ich mischte mich unter die nach-
drängenden Zuschauer und kam bei-
nahe als Letzter in das Gottes-
haus. Mit Mühe bahnte ich mir
einen Weg zum Altar. Mariechen
saß im Schmuck ihres Schleiers,
einen Strauß in der Land, vorn
in der ersten Bank. Da ging die
Tür der Sakristei auf und der
Pfarrer schwamm im schwarzen
Chorhemd aus dem Lintergrund
der Kirche hervor, ruderte mit dem
Bibelbuch in der Land und bekam
einen roten Kopf dabei. Als er
seinen Platz am Altar eingenom-
men hatte, begann die Orgel mit Macht zu spielen. Ich blickte
hinauf zur Empore. Provisor Tatzenstock schlug die Orgel mit
großer Kraft, doch nur mit einer Land, mit der andern mußte
er seine wehende Perücke festhalten, denn es ging ein großer
Mellenwind in der Kirche. Das Orgelspiel ging dem Ende zu.
Bei den letzten Takten griff Tatzenstock mit beiden Länden ins
Werk. Da geschah das Anglück! Seine Perücke erhob sich, flog
sanft in die Löhe und schwebte schon hoch über der höchsten
Orgelpfeife, als plötzlich ein Karpfen daherschoß und sie erschnappte.
Der Pfarrer hatte unterdeffen die Bibel aufgeschlagen und zu
lesen begonnen. Eine lange Reihe kleiner LuftbläJchen quoll aus
seinem Munde und stieg wie ein Leiterchen in die Löhe. Braut
und Bräutigam traten vor den Altar. Ich war so empört über
die Trauung, daß ich meinte, ich müßte dem Paul auf der Stelle
eine Ohrfeige geben, den Pfarrer im Chorhemd vom Altar Herunter-
reißen und ihm sein Bibelbuch aus der Land schlagen. Aber da
Blumen im Laar trat hervor. Ich
zappelte am ganzen Leib, wandte
mich an die Leute und fragte, was
denn das alles zu bedeuten hätte.
Ich drängte mich durch die Menge
und ruderte die offene Straße hinab.
Die weißen Mädchen liefen schon
auf den Marktplatz. Ihnen folgte
ein Zug von geschmückten Paaren.
And in ihrer Mitte ging die Braut.
Mariechen. Ich taumelte und
rang nach Luft. Ratschreibers Paul
Mariechens Jugendfreund, war
Bräutigam. Mariechen ging stumm
am Arm ihres Brautführers —
und warf mir einen Blick zu, der
war traurig und hilflos. Ihre
Augen blickten wie Fischaugen,
weich und verschwommen. Ein
großer Jammer kam über meine
Seele. Warum hatte ich mich mit
Mariechen überworsen, mich von
ihr getrennt, sie anderen Menschen
überlaffen? — Sie liebte mich noch,
ihre Augen sagten es mir. Aber
ein anderer war gekommen, hatte
sie begehrt, und sie hatte ja gesagt
mit verzweifeltem Lerzen.
Die Reue, das bittere Gift,
verzehrte mich fast.
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Wenn ich an dich denke, ist immer Sonnenschein."
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1932
Entstehungsdatum (normiert)
1927 - 1937
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 177.1932, Nr. 4537, S. 22
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg