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Zeichnung von M. «laus

Rücksicht „Kommt da nicht dein Bürovorstand, Albert?"

.Ach Gott, ja! Bleib' ein bißchen zurück, Paula, als wenn
wir nicht zusammen gehören! Sonst müßte er ja zuerst grüßen."

Das japanische Bäumchen

i

Zimpels haben einen Baum, der älter ist als die beiden frei-
lich noch jungen Eheleute zusammen. Das gibt es natürlich häu-
fig, denn Bäume können sehr alt werden, und manche knorrige
Eiche wird zu finden sein, die älter ist als ihr Besitzer und seine
Familie zusammen und noch die Verwandtschaft dazu genommen.
Mit Zimpels aber ist das ein anderer Fall, denn fie befitzen
keinen Grund und Boden, auf dem ein Baum stehen und den
Jahrhunderten trotzen könnte; sie haben nur eine Metswohnung
von drei Zimmern im zweiten Stock eines Laufes, das durch
einige Kilometer belebter Großstadtftraßen von ländlichen, dem
zwanglosen Gedeihen eines Baumes förderlichen Gegenden ge-
trennt ist.

Aber gerade in dieser Wohnung steht jener Baum, der älter
ist als Albert und Klara Zimpel zusammen, vielleicht sogar be-
deutend älter. Zimpels haben früher, als der Baum noch dem
Onkel Balduin gehörte, gemeint, er wäre wohl an die hundert
Jahre alt, während Onkel Balduin selber von zweihundert nichts
abgehen lassen wollte, nicht mal einen Monat. Er hat ihnen dann,
als er sich einen Alterssttz auf einer kleinen Rordseeinsel ge-
wählt hatte, den Baum geschenkt, weil er vielleicht die Seeluft
nicht vertragen hätte. Seit er ihnen gehört, neigen sich Zimpels
212

auch der Meinung zu, der Baum wäre
wohl doch zweihundert Jahre alt. Denn
das erhöht natürlich seinen Wert beträcht-
lich. Kurzum: es handelt sich um einen
japanischen Zwergbaum, eines jener selt-
samen Krüppelgewächse, welche die Ja-
paner für ihre kuriosen Liliputgärten mit
ausdauernden, durch Generationen fortge-
setzten Bemühungen ziehen, melancholische
Baumgreise, die in ihren jungen Jahren durch
Entbehrungen und allerlei Mißhandlungen
gezwungen wurden, zwerghaft und gedrückt
zu bleiben. Sie bekommen in hundert Jahren
ganz das Aussehen ihrer unter glücklicheren
Amständen gealterten Artgenossen, aber in
grotesker Verkleinerung, und sie scheinen
schwermütig geworden zu sein ob des An-
rechts, das man ihnen angetan hat; sie sind
wie Menschen, die eine miserable Kindheit
nicht vergessen können.

Zimpels lieben ihr japanisches Bäumchen.
An Sonntagnachmittagen sitzen sie gerne vor
ihm, und wenn sie es dann mit nur ein
wenig geöffneten Augenlidern anblicken, wo-
durch die Wertung der Dimensionen unsicher

wird-ja, dann können fie sich einbilden,

da stände auf einem Lügel eine uralte, knor-
rigeEiche, die vielvonmenschlichem Treiben er-
fahren und gesehen: Liebesleute, die heimlich
sich bei ihr trafen, rastende Krieger, die ihre
Rosse im Schatten verschnaufen ließen, rech-
nende Krämer, die mit ihren Warenpacken
vor Regen unter das Blätterdach flüchteten.

Man steht: Zimpels sind liebe, beschauliche
Leute. Sie sind auch sanft und schüchtern, und
deshalb ist es gut für fie, daß sie geborgen
und wohlversorgt find. Albert Zimpel ist
nämlich Magistratssekretär.

II

Reben Zimpels, also gleichfalls im zwei-
ten Stock jenes durch einige Kilometer be-
lebter Großstadtstraßen von ländlichen Be-
zirken getrennten Laufes, wohnen Backes,
Lermann und Alrike Backe. Sie sind ältere Leute, aber beide
nicht von so sanfter Gemütsart wie Zimpels und keineswegs schüch-
tern. Das würde ihnen auch sehr hinderlich auf ihrem Lebens-
wege sein, denn Lermann Backe ist Auktionator, und seine Gattin
Alrike ist gleichfalls erwerbstätig, indem sie Leiraten vermittelt
— gegen Provision, die bekanntlich nach der Mitgift der Dame
berechnet wird. Solche Provisionen sind, wie die Juristen sagen,
nicht einklagbar, und wenn einmal ein durch vermittelte Leirat
glücklich aus Geldnöten geretteter Lerr sich darum drücken will,

was selbstverständlich sehr unanständig ist-ja, dann muß

die Dame, die mit ihrer Vermittlung Mühe gehabt hat und zu
ihrer Auswahlskartothek doch nicht ohne Spesen gekommen ist,
mit eigenen Zwangsmitteln zu ihrer Gebühr zu kommen suchen,
und dabei kann es nicht fein hergehen. Frau Backe hat bisher
nur sehr selten einmal etwas eingebüßt.

Seit sechs Jahren wohnen nun Zimpels und Backes auf dem
gleichen Flur und sind als Nachbarn gut miteinander ausge-
kommen. Backes haben Zimpels mit kleinen Diensten öfter in
Anspruch genommen als diese jene. Zimpels haben manchmal
Pakete abgenommen, wenn Backes nicht zu Lause waren, er beim
Versteigern und sie auf einer Brautschau; Frau Backe hat sich
hin und wieder mit einer Laushaltkleinigkeit aushelfen lassen,

(Fortsetzung Sette 214)
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

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Titel/Objekt
"Rücksicht"
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Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

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Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Claus, Martin
Entstehungsdatum
um 1933
Entstehungsdatum (normiert)
1928 - 1938
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 178.1933, Nr. 4575, S. 212

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