Die glücklichen Männer
und las und las, bis ihn auf einmal
völliger Aeberdruß packte, und sein
Gemüt sich umdüsterte. Seine An-
gehörigen schickten ihn von einem
Sanatorium ins andere, aber nir-
gends besserte sich sein Zustand. Da
sann der Patient selber auf seine
Leitung. Er sagte sich: „Ich habe
mein Glück bei den Büchern gesucht;
daß ich es nicht gefunden habe, liegt
nur daran, daß ich das richtige Buch
noch nicht gelesen habe. Ich muß
einen wahrhaft glücklichen Menschen
ausfindig machen und mir sein Lieb-
lingsbuch nennen lassen. Das wird
mir dann helfen, denn von dem
Lieblingsbuch eines wirklich glück-
lichen Menschen muß so viel Be-
ruhigung, so viel Freude ausgehen,
daß auch der Traurigste dadurch auf-
gerichtet werden kann." Er suchte also
überall herum und fand schließlich
in Linterpommern einen alten
Schäfer, der zweifellos vollkommen
glücklich war. Es ist aber fast über-
flüssig, noch zu erzähle», daß der
Schäfer nicht lesen konnte und also
überhaupt kein Lieblingsbuch besaß.
Nun der dritte Fall aus dem
vorigen Jahre. Er betraf John Sase-
king, eine» amerikanischen Milliar-
där, einen Mann mit Beteiligungen
an allen großen Industrieunter-
nehmungen der Welt, mit riesigem
Grundbesitz in allen Großstädten,
mit eigener 10000 Tonnen-Iacht,
mit Palästen, Parks und Landgütern
usw. — denn alle Einzelheiten seines
Vermögens lassen sich überhaupt
nicht aufzählen. Auch John Safe-
king verfiel eines Tages in Trüb-
sinn. Urplötzlich kam das, als er ganz
zufällig in ein vornehmes Kaufhaus
hineingegangen war und beim An-
blick der aufgestapelten Lerrlich-
keiten, nach denen so viele andere
Menschen sich vergebens sehnten, er-
kennen mußte, daß er überhaupt nichts
zu wünschen hatte. Denn statt eines
einzigen Artikels konnte er ebenso
gut das ganze Kaufhaus erstehen;
er brauchte nur einen Scheck zu
schreiben.
John Safeking wandte sich zu-
erst an die berühmtesten Nerven-
und Seelenärzte, aber sie konnten
seinen Gemütszustand nicht ändern.
Ja, gerade der Umstand, daß ihm
die außerordentlich hohenRechnungen
dieser Leute nicht das geringste aus-
machten,verstärkte seine Melancholie
noch mehr. Endlich fand sich eine
schlichte Frau aus dem Volke, die
mit Kartenlegen und Pendeln ihr
Brot erwarb, und gab John Safe-
„Schnell vom Treppengeländer herunter,
Fritzchen; die Großmutter kommt I"
„Auf dem Treppengeländer?"
fing ein Mittel zu seiner Leitung
an. Natürlich sollte auch er einen
wirklich glücklichen Mann ausfindig
machen. And dessen Radioapparat
sollte er nehmen und sich dann da-
vor Hinsehen — gerade so, wie der
glückliche Mann das getan hatte, der
dabei erst recht glücklich gewesen war.
John Saseking wandte sich an
das Pinkerton-Institut, das sofort
hundert seiner besten Detektive nach
einem glücklichen Manne ausschickte.
Diesmal fand man aber sogar zwei,
einen Bäckermeister und einen Cow-
boy. Der Bäckermeister hatte eine gut
gehende Bäckerei, die er mit einigen
Gesellen betrieb, eine nette Frau und
drei wohlgeratene Kinder; erwünschte
sich kein anderes Los, er war voll-
kommen glücklich. Der Cowboy lebte
froh in der Einsamkeit der Prärie;
ihn dünkte es das beste, den weiten
Limmel über sich und einen strammen
Gaul unter sich zu haben. Nun aber
kam eine Schwierigkeit: der Cowboy
wußte überhaupt nichts von Radio-
apparaten, und der Bäcker hatte sich
noch keinen angeschafft. Am Tage
hätte er genug in seinem Laden zu
tun, sagte er, und abends ginge er
früh zu Bett, weil er am Morgen
zeitig auf sei» müßte, um zu backen.
John Safeking ließ sofort zwei
der allerbesten Radioapparate eigens
anfertigen. Einen bekam der Bäcker,
den andern der Cowboy, und dann
mußte ein halbes Jahr gewartet
werden. Denn ordentlich Dieisst ge-
tan haben mußten die Apparate
natürlich, ehe John Safeking diesen
oder jenen benutzen konnte. Dann
begaben sich seine drei Sekretäre zu-
erst zu dem Bäckermeister. Als sie
an den Laden kamen, trat gerade
ein junger Mann mit einem Köffer-
chen heraus, der die Tür wütend
zuschmiß. Es war ein Geselle des
Bäckers, der einzige, den er im letz-
ten Monat »och beschäftigt hatte.
Denn was war geschehen? Der
Bäckermeister hatte nur noch vor
seinem Radioapparat gesessen; er
hatte sein Geschäft vernachlässigt,
schlechtes Brot und harte Semmeln
gebacken, und die Kunden hatten sich
verloren. Mit seiner Frau und seinen
Kindern aber hatte er jeden Tag
Zank und Streit gehabt, weil jeder
andere Sender hören wollte, und das
einst so glückliche Familienleben bot
ein Bild trauriger Zerrüttung.
Die drei Sekretäre waren bestürzt.
Aber sie hatten ja noch den Cowboy,
und zu dem machten sie sich eilends
auf den Weg. Sie trafen ihn, wie
er gerade mit seinem Lasso einen
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und las und las, bis ihn auf einmal
völliger Aeberdruß packte, und sein
Gemüt sich umdüsterte. Seine An-
gehörigen schickten ihn von einem
Sanatorium ins andere, aber nir-
gends besserte sich sein Zustand. Da
sann der Patient selber auf seine
Leitung. Er sagte sich: „Ich habe
mein Glück bei den Büchern gesucht;
daß ich es nicht gefunden habe, liegt
nur daran, daß ich das richtige Buch
noch nicht gelesen habe. Ich muß
einen wahrhaft glücklichen Menschen
ausfindig machen und mir sein Lieb-
lingsbuch nennen lassen. Das wird
mir dann helfen, denn von dem
Lieblingsbuch eines wirklich glück-
lichen Menschen muß so viel Be-
ruhigung, so viel Freude ausgehen,
daß auch der Traurigste dadurch auf-
gerichtet werden kann." Er suchte also
überall herum und fand schließlich
in Linterpommern einen alten
Schäfer, der zweifellos vollkommen
glücklich war. Es ist aber fast über-
flüssig, noch zu erzähle», daß der
Schäfer nicht lesen konnte und also
überhaupt kein Lieblingsbuch besaß.
Nun der dritte Fall aus dem
vorigen Jahre. Er betraf John Sase-
king, eine» amerikanischen Milliar-
där, einen Mann mit Beteiligungen
an allen großen Industrieunter-
nehmungen der Welt, mit riesigem
Grundbesitz in allen Großstädten,
mit eigener 10000 Tonnen-Iacht,
mit Palästen, Parks und Landgütern
usw. — denn alle Einzelheiten seines
Vermögens lassen sich überhaupt
nicht aufzählen. Auch John Safe-
king verfiel eines Tages in Trüb-
sinn. Urplötzlich kam das, als er ganz
zufällig in ein vornehmes Kaufhaus
hineingegangen war und beim An-
blick der aufgestapelten Lerrlich-
keiten, nach denen so viele andere
Menschen sich vergebens sehnten, er-
kennen mußte, daß er überhaupt nichts
zu wünschen hatte. Denn statt eines
einzigen Artikels konnte er ebenso
gut das ganze Kaufhaus erstehen;
er brauchte nur einen Scheck zu
schreiben.
John Safeking wandte sich zu-
erst an die berühmtesten Nerven-
und Seelenärzte, aber sie konnten
seinen Gemütszustand nicht ändern.
Ja, gerade der Umstand, daß ihm
die außerordentlich hohenRechnungen
dieser Leute nicht das geringste aus-
machten,verstärkte seine Melancholie
noch mehr. Endlich fand sich eine
schlichte Frau aus dem Volke, die
mit Kartenlegen und Pendeln ihr
Brot erwarb, und gab John Safe-
„Schnell vom Treppengeländer herunter,
Fritzchen; die Großmutter kommt I"
„Auf dem Treppengeländer?"
fing ein Mittel zu seiner Leitung
an. Natürlich sollte auch er einen
wirklich glücklichen Mann ausfindig
machen. And dessen Radioapparat
sollte er nehmen und sich dann da-
vor Hinsehen — gerade so, wie der
glückliche Mann das getan hatte, der
dabei erst recht glücklich gewesen war.
John Saseking wandte sich an
das Pinkerton-Institut, das sofort
hundert seiner besten Detektive nach
einem glücklichen Manne ausschickte.
Diesmal fand man aber sogar zwei,
einen Bäckermeister und einen Cow-
boy. Der Bäckermeister hatte eine gut
gehende Bäckerei, die er mit einigen
Gesellen betrieb, eine nette Frau und
drei wohlgeratene Kinder; erwünschte
sich kein anderes Los, er war voll-
kommen glücklich. Der Cowboy lebte
froh in der Einsamkeit der Prärie;
ihn dünkte es das beste, den weiten
Limmel über sich und einen strammen
Gaul unter sich zu haben. Nun aber
kam eine Schwierigkeit: der Cowboy
wußte überhaupt nichts von Radio-
apparaten, und der Bäcker hatte sich
noch keinen angeschafft. Am Tage
hätte er genug in seinem Laden zu
tun, sagte er, und abends ginge er
früh zu Bett, weil er am Morgen
zeitig auf sei» müßte, um zu backen.
John Safeking ließ sofort zwei
der allerbesten Radioapparate eigens
anfertigen. Einen bekam der Bäcker,
den andern der Cowboy, und dann
mußte ein halbes Jahr gewartet
werden. Denn ordentlich Dieisst ge-
tan haben mußten die Apparate
natürlich, ehe John Safeking diesen
oder jenen benutzen konnte. Dann
begaben sich seine drei Sekretäre zu-
erst zu dem Bäckermeister. Als sie
an den Laden kamen, trat gerade
ein junger Mann mit einem Köffer-
chen heraus, der die Tür wütend
zuschmiß. Es war ein Geselle des
Bäckers, der einzige, den er im letz-
ten Monat »och beschäftigt hatte.
Denn was war geschehen? Der
Bäckermeister hatte nur noch vor
seinem Radioapparat gesessen; er
hatte sein Geschäft vernachlässigt,
schlechtes Brot und harte Semmeln
gebacken, und die Kunden hatten sich
verloren. Mit seiner Frau und seinen
Kindern aber hatte er jeden Tag
Zank und Streit gehabt, weil jeder
andere Sender hören wollte, und das
einst so glückliche Familienleben bot
ein Bild trauriger Zerrüttung.
Die drei Sekretäre waren bestürzt.
Aber sie hatten ja noch den Cowboy,
und zu dem machten sie sich eilends
auf den Weg. Sie trafen ihn, wie
er gerade mit seinem Lasso einen
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Schnell vom Treppengeländer herunter, Fritzchen; die Großmutter kommt!"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1933
Entstehungsdatum (normiert)
1928 - 1938
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 178.1933, Nr. 4583, S. 343
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg