Vermutung „Za, ich gehe ins Sanatorium, mutz jetzt unbedingt tüchtig abnehmen. Die
Geschäftskorrespondenz latz ich mir nachschicken, der Aerger unterstützt die Kur."
„Ah, und die Frau Gemahlin begleitet Sie auch, nicht wahr?"
Lieder des fahrenden Gesellen
Ich habe eine ausgesprochen unkünstlerische Verwandtschaft.
Aber eines besitzen die Leute: Familiensinn.
Es war am Anfang meiner dichterischen Laufbahn. Der Re-
dakteur des Linterfahrer Vormittagsboten hatte sich bereit gefunden,
ein Gedicht von mir zu drucken. Es war eigentlich kein Raum da für
Lyrik, aber mir zuliebe wollte er eine Ausnahme machen. Das Ge-
dicht kam auch wirklich hinein — es stand zwischen einer Notiz über
den Auftrieb von Mastsauen im Flecken Weihergrün und einer
Ehrenerklärung des Schornsteinfegermeisters Kuller gegenüber dem
Rentner Schachtelspecht. Die Bezeichnung „Schleimbeutel" wurde
mit dem Ausdruck des Bedauerns zurückgenommen. Ja, da stand
mein Gedicht. Der Redakteur hatte die Aeberschrift geändert. Statt
Lied des Fahrenden Gesellen hieß es: Lied des harsenden Gesellen.
Die letzten beiden Zeilen waren außerdem umgekehrt gedruckt, wie
bei Rätseln mit Auflösung. In diesem Gedicht lautete eine Strophe:
Ich habe keine Mutter
Als Mutier Grün allein.
Ich esse das Brot nicht mit Butter,
Nein, bloß mit Sonnenschein I
Darauf erhielt ich von meinem Onkel Bogumil einen Brief, in dem
er mich bat, die Familie doch durch weitere Indiskretionen nicht in
den Mund der Leute zu bringen. Er wolle mir wöchentlich ein Pfund
beste Vollfettbutler zur Verfügung stellen und außerdem fürs erste
einen zehnpfündigen Schinken. Das mit dem Sonnenschein wäre
Blödsinn — ich solle die Vitaminfexerei nicht zu weit treiben.
Aber ich konnte meinem Onkel Bogumil nicht helfen. Es war
bereits ein zweites Gedicht von mir angenommen. Darin hieß es:
Den Kopf auf grünen Moosen,
Das Auge im Zenith,
Zerküß ich deine Rosen,
Margrit I"
Die Reaktion meiner Familie war prompt. Meine Kusine Lottch en schickte
mir eine mit echten Daunen gefüllte Schlummerrolle. Sie habe gar nicht
gewußt, daß meine Verhältnisse mir nicht einmal ein Kopfkissen gestat-
teten. Tante Malchen aber ließ mich wissen, daß sie eine Verbindung
mit Lisbeth nicht ungern sehen würde, vorausgesetzt, daß ich die
zweifellos illegitimen Beziehungen zu jener Person, deren Vornamen
ich zu veröffentlichen mich nicht gescheut habe, aufgeben würde.
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Geschäftskorrespondenz latz ich mir nachschicken, der Aerger unterstützt die Kur."
„Ah, und die Frau Gemahlin begleitet Sie auch, nicht wahr?"
Lieder des fahrenden Gesellen
Ich habe eine ausgesprochen unkünstlerische Verwandtschaft.
Aber eines besitzen die Leute: Familiensinn.
Es war am Anfang meiner dichterischen Laufbahn. Der Re-
dakteur des Linterfahrer Vormittagsboten hatte sich bereit gefunden,
ein Gedicht von mir zu drucken. Es war eigentlich kein Raum da für
Lyrik, aber mir zuliebe wollte er eine Ausnahme machen. Das Ge-
dicht kam auch wirklich hinein — es stand zwischen einer Notiz über
den Auftrieb von Mastsauen im Flecken Weihergrün und einer
Ehrenerklärung des Schornsteinfegermeisters Kuller gegenüber dem
Rentner Schachtelspecht. Die Bezeichnung „Schleimbeutel" wurde
mit dem Ausdruck des Bedauerns zurückgenommen. Ja, da stand
mein Gedicht. Der Redakteur hatte die Aeberschrift geändert. Statt
Lied des Fahrenden Gesellen hieß es: Lied des harsenden Gesellen.
Die letzten beiden Zeilen waren außerdem umgekehrt gedruckt, wie
bei Rätseln mit Auflösung. In diesem Gedicht lautete eine Strophe:
Ich habe keine Mutter
Als Mutier Grün allein.
Ich esse das Brot nicht mit Butter,
Nein, bloß mit Sonnenschein I
Darauf erhielt ich von meinem Onkel Bogumil einen Brief, in dem
er mich bat, die Familie doch durch weitere Indiskretionen nicht in
den Mund der Leute zu bringen. Er wolle mir wöchentlich ein Pfund
beste Vollfettbutler zur Verfügung stellen und außerdem fürs erste
einen zehnpfündigen Schinken. Das mit dem Sonnenschein wäre
Blödsinn — ich solle die Vitaminfexerei nicht zu weit treiben.
Aber ich konnte meinem Onkel Bogumil nicht helfen. Es war
bereits ein zweites Gedicht von mir angenommen. Darin hieß es:
Den Kopf auf grünen Moosen,
Das Auge im Zenith,
Zerküß ich deine Rosen,
Margrit I"
Die Reaktion meiner Familie war prompt. Meine Kusine Lottch en schickte
mir eine mit echten Daunen gefüllte Schlummerrolle. Sie habe gar nicht
gewußt, daß meine Verhältnisse mir nicht einmal ein Kopfkissen gestat-
teten. Tante Malchen aber ließ mich wissen, daß sie eine Verbindung
mit Lisbeth nicht ungern sehen würde, vorausgesetzt, daß ich die
zweifellos illegitimen Beziehungen zu jener Person, deren Vornamen
ich zu veröffentlichen mich nicht gescheut habe, aufgeben würde.
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Vermutung"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsdatum
um 1934
Entstehungsdatum (normiert)
1929 - 1939
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 180.1934, Nr. 4628, S. 239
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg