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Zeichnung von E. Kirchner

Ein empfindlicher Mensch
ein langsamer Mensch, ein Re-
gistrator! Sei willkommen, edler
Freund! Was ist dein Begehr?

Du willst Punsch, nicht wahr?"

Dieser ihm zugeschobene
Wunsch nach Punsch erklärte dem
Registrator, warum ihn Walter
Groll mit ganz unnötigem Feuer,
dabei aber etwas lallender Zunge
begrüßte. In der Tat umfing ihn,
als er dann — der Hausschlüssel
war ihm hinausgereicht worden

— das Zimmer betrat, ein starker
Duft von gewürztem Alkohol.

Groll mußte schon viel Punsch
getrunken haben. Seine Augen
blickten glasig, sein Laar war
zerzaust, seine Wangen glühten;
übrigens trug er einen blutroten
Schlafrock. Er umhalste den Re-
gistrator, schmiß ihn dann in einen
Sessel, nötigte ihm ein Glas
Punsch auf, fuhr sich wild mit
den zehn Fingern durch die Laare,
was er heute schon oft getan
haben nnißte, und begann eine
Rede: „Du willst also eine Brief-
marke, edler Freund und treuer
Registrator! Oder auch treuer
Freund und edler Registrator.

Warum kommst du wegen der
Briefmarke zu mir? Weil du
der Meinung bist, daß doch ein
Schriftsteller immer Briefmarken

haben müsse. O grauenvoller Irrtum! Warum sollte ich Briefmarken
haben? Um Manuskripte wegzuschicken, meinst du. Ach, edler Freund
und treuer Registrator oder treuer Freund und edler Registrator

— — ich werde vielleicht nie wieder ein Manuskript wegschicken
können. Und warum nicht? Weil mir nichts einfällt. Leer gebrannt
ist die Stätte! Seit heute Morgen jage ich nach einer Idee für
einen strammen Roman, aber vergeblich. Kein Gedanke an eine
Idee! Weißt du nicht was, Mensch? Einen Anfang für einen
Roman des Verbrechens und der Leidenschaft — — einen Mord
oder wenigstens eine tüchtige Unterschlagung! Du weißt nichts.
Ja, hast du denn nie von dergleichen phantasiert? Last du nie
eine Unterschlagung begehen mögen oder jemanden totschlagen?
Du bist ein Trottel, Viktor! Trinken

wir noch ein Glas Punsch!"

Der Registrator mußte ein zweites
Glas Punsch nehmen. Es schmeckte ihm,
aber er spürte, daß es ihn schon benebelte;
er war an starke Getränke wenig ge-
wöhnt, und zudem hatte er heute sehr
früh zu Abend gegessen, also schon wieder
einen leeren Magen. „Last du wirklich
keine Briefmarke?" fragte er bekümmert.

„Tatsächlich nicht — aber natürlich
nur zufällig. Da hast du zwei Groschen
für den Automaten, vor der Post steht
ja einer. Aber halt — hier geblieben!

So eilt das nicht. Erst muß die Idee
her!" Der Romandichter nahm auch ein
Glas Punsch, aber er stürzte es in einem
Zuge hinunter. „Achtung! Alle Kraft
zusammengenommen! Du Haft also einen
Brief, der unbedingt fort soll. Warum
sollte ein spannender Roman nicht mit

Wr*:hner.

„Ich möchte einen Tip, auf den ich nicht
verliere» kann."

„Können Eie haben — nicht wetten!"


Auf Umwegen

„Warum brüllst du denn so?"

„Weil ich eine neue Puppe möchte."

„Bekommst du die denn, wenn du so brüllst?"
„Rein — aber wenn ich wieder still bin!"

solch einem Brief anfangen? Ich meine: mit dem nächtlichen Gang
nach dem Briefmarkenautomaten. An wen ist der Brief, Registrator?
Ich weiß schon: natürlich an Metachen! Ein Brief an die Braut in
der Ferne soll in später Nachtstunde der Post anvertraut werden
— — halt, halt, halt!" Walter Groll brüllte das dreifache Lalt
wie ein Schutzmann, der einen Flüchtling festnehmen will, und ähnlich
verhielt es sich auch mit ihm. „Mensch, ich sehe eine Idee vor mir!
Ich muß sie packen. Sei ganz still, sag kein Wort! Ich spüre es:
die Muse küßt mich."

Es ist anzunehmen, daß die Muse auf die Stirn küßt; vor
Walter Grolls Munde wäre sie wohl zurückgeschreckt. Denn auch
das ist ja eins der vielen Rätsel dieser Welt: ein Glas Punsch oder

Grog duftet so unsagbar lieblich; wenn
aber ein Mensch das Glas Punsch oder
Grog getrunken hat, dann duftet sein
Mund keineswegs lieblich. Die Muse
schien wirklich geküßt zu haben. Der
Schriftsteller packte den Registrator an
den Schultern und brüllte ihn begeistert
an: „Der Roman ist geboren, er wird
wachsen und gedeihen. Löre zu, Registra-
tor! Da hast du also einen Brief an
deine geliebte Braut, dein Ein und Alles.
Mit diesem Briefe gehst du in dunkler
Nacht zu dem Markenautomaten. Der
Automat aber gibt keine Marke her, er
ist leer oder kaputt. Wie du nun ent-
täuscht dastehst, kommt ei» Fremder
vorüber, ein Mann in deinem Alter, aber

schöner-marmorblasses Antlitz, edle

Nase usw. Er bemerkt deine Verlegen-
heit und tritt auf dich zu. ,Sie bekommen
wohl keine Marke, mein Lerr?' sagt er.

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Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Ich möchte einen Tip, auf den ich nicht verlieren kann" "Auf Umwegen"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Kirchner, Eugen
Entstehungsdatum
um 1934
Entstehungsdatum (normiert)
1929 - 1939
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 180.1934, Nr. 4635, S. 339

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Erschließung

Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
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