A , / fh
„Wie schaut denn
Ilse heute aus?"
„Ja, die hat Pech
gehabt. Wie sie auf
der linken Seite
braun war und sich
grade rumdrehen
wollte, ging die
Sonne weg."
Der lustigste Tag und der
verwirrendste Augenblick
Von Lteronymus Jobs
Anser Ordinarius in Obersekunda,
der spindeldürre Professor Silmoser,
kam zur Vergilstunde herein, stellte
eine beträchtliche Pappschachtel auf
das Katheder und schweifte so-
gleich weit vom stundenplangemäßen
Thema ab. Dabei leuchtete sein
Antlitz.
„Ich habe Ihnen da," sagte er,
während er die Verschnürung der
Schachtel löste, „etwas mitgebracht,
was Ihnen gewiß Freude bereiten
und, wie ich hoffe, lebenslang in
Erinnerung bleiben wird. Es ist mir
nämlich unlängst gelungen, bei den
Wasserleitungsarbeiten in Ridler-
moos" — Professor Silmoser war
dafür bekannt, daß er mit Glück und
Geschick allen keramischen Exhumie-
rungsmöglichkeiten nachspürte —
„ein in seltener Vollständigkeit er-
haltenes antikes Gefäß vor der
Zerstörung durch den Spaten zu
retten."
„Was wird er da wieder für
einen Dreh daherbringen," flüsterte
mein Banknachbar, der allzeit skep-
tische Fritz Berger. Doch auch wir
übrigen waren lediglich an der tempo-
rären Ausschaltung des Dichters
Vergil und keineswegs an der Vor-
führung einer antiken Vollständigkeit
interessiert.
„And zwar," fuhr Professor Sil-
moser fort, stieg, hingerissen von der
Sache, in seiner Lebhaftigkeit vom
Katheder herab und überließ die
Pappschachtel vorläufig sich selbst,
„und zwar handelt es sich zweifellos
um ein Erzeugnis altitalischer, ge-
nauer gesagt, etruskischer Töpferkunst
und damit gleichzeitig um einen voll-
gültigen Beweis dafür, daß der schon
in sehr früher Zeit von Etrurien
über die Alpen nach dem Norden
ziehende Landelsweg auch durch
unsere Gegend geführt hat."
„Meinetwegen," flüsterte Fritz Berger mir zu, „hätt' er unge-
niert anderswohin führen können."
„Das Gefäß," sprach Professor Silmoser als tiefgründiger
Forscher weiter, „ist ein schlichter Gebrauchsgegenstand und die weib-
liche Figur darauf die etruskische Schicksalsgötti» Nortia."
„Schmarrn!" brummte Fritz Berger. „Woher weiß er denn das?"
Professor Silmoser aber fuhr fort: „And wenn dieses unter-
gegangene Volk sogar noch die einfachsten Lausgeräte mit mytho-
logischen Darstellungen geschmückt hat, so können wir uns vorstellen,
welcher Aeußerungen ein solcher Kunstsinn auf dem Gebiete des zum
Finstern und Dämonischen hinneigenden etruskischen Kultes fähig
gewesen ist. And so will ich Ihnen nunmehr den Gegenstand selber
vorführen. Damit ihn aber Sie alle gleich gut und aus nächster
Nähe sehen können, wollen Sie um das Katheder herum sich auf-
stellen!"
Das geschah, und Professor Silmoser nahm den Deckel von der
Schachtel ab und die Lolzwolle heraus, darin das wertvolle Objekt
fürsorglich gebettet war. Doch wie? Was? Ist's möglich? And starr
bohrten sich des Professors Augen in den Grund der Schachtel und
zitternd fuhren seine Lände hinein. And was sie jetzt heraushoben
und sogar eine Weile unbeweglich, wie gebannt, emporhielten, das
war kein Erzeugnis altitalischer Töpferkunst, noch weniger ein voll-
gültiger Beweis für den etruskischen Landelsweg nach dem Norden,
war allerdings ein schlichter Gebrauchsgegenstand, wenn auch ohne
allen und jeden figürlichen Schmuck, hatte jedoch gar nichts Dämo-
nisches an sich, nein durchaus nicht, sondern war, wenn schon als
Produkt der deutschen Porzellanindustrie höchst schätzenswert, so doch,
um es kurz zu sagen, nicht mehr und nicht weniger als Professor
Silmosers Nachttopf.
Des Professors Befehl mißverstehend, der dahin gelautet hatte,
ihm den in seinem Schlafzimmer aufbewahrten etruskischen Topf in
jene Schachtel zu verpacken, hatte die treue Laushälterin Christine
den historischen Tops mit dem unhistorischen verwechselt und so uns
Vandalen zwar zum lustigsten Tag unserer langen Mittelschuljahre,
ihrem Dienstherrn aber zum verwirrendste» Augenblick in seinem
ganzen Berufsleben verholfen.
415
„Wie schaut denn
Ilse heute aus?"
„Ja, die hat Pech
gehabt. Wie sie auf
der linken Seite
braun war und sich
grade rumdrehen
wollte, ging die
Sonne weg."
Der lustigste Tag und der
verwirrendste Augenblick
Von Lteronymus Jobs
Anser Ordinarius in Obersekunda,
der spindeldürre Professor Silmoser,
kam zur Vergilstunde herein, stellte
eine beträchtliche Pappschachtel auf
das Katheder und schweifte so-
gleich weit vom stundenplangemäßen
Thema ab. Dabei leuchtete sein
Antlitz.
„Ich habe Ihnen da," sagte er,
während er die Verschnürung der
Schachtel löste, „etwas mitgebracht,
was Ihnen gewiß Freude bereiten
und, wie ich hoffe, lebenslang in
Erinnerung bleiben wird. Es ist mir
nämlich unlängst gelungen, bei den
Wasserleitungsarbeiten in Ridler-
moos" — Professor Silmoser war
dafür bekannt, daß er mit Glück und
Geschick allen keramischen Exhumie-
rungsmöglichkeiten nachspürte —
„ein in seltener Vollständigkeit er-
haltenes antikes Gefäß vor der
Zerstörung durch den Spaten zu
retten."
„Was wird er da wieder für
einen Dreh daherbringen," flüsterte
mein Banknachbar, der allzeit skep-
tische Fritz Berger. Doch auch wir
übrigen waren lediglich an der tempo-
rären Ausschaltung des Dichters
Vergil und keineswegs an der Vor-
führung einer antiken Vollständigkeit
interessiert.
„And zwar," fuhr Professor Sil-
moser fort, stieg, hingerissen von der
Sache, in seiner Lebhaftigkeit vom
Katheder herab und überließ die
Pappschachtel vorläufig sich selbst,
„und zwar handelt es sich zweifellos
um ein Erzeugnis altitalischer, ge-
nauer gesagt, etruskischer Töpferkunst
und damit gleichzeitig um einen voll-
gültigen Beweis dafür, daß der schon
in sehr früher Zeit von Etrurien
über die Alpen nach dem Norden
ziehende Landelsweg auch durch
unsere Gegend geführt hat."
„Meinetwegen," flüsterte Fritz Berger mir zu, „hätt' er unge-
niert anderswohin führen können."
„Das Gefäß," sprach Professor Silmoser als tiefgründiger
Forscher weiter, „ist ein schlichter Gebrauchsgegenstand und die weib-
liche Figur darauf die etruskische Schicksalsgötti» Nortia."
„Schmarrn!" brummte Fritz Berger. „Woher weiß er denn das?"
Professor Silmoser aber fuhr fort: „And wenn dieses unter-
gegangene Volk sogar noch die einfachsten Lausgeräte mit mytho-
logischen Darstellungen geschmückt hat, so können wir uns vorstellen,
welcher Aeußerungen ein solcher Kunstsinn auf dem Gebiete des zum
Finstern und Dämonischen hinneigenden etruskischen Kultes fähig
gewesen ist. And so will ich Ihnen nunmehr den Gegenstand selber
vorführen. Damit ihn aber Sie alle gleich gut und aus nächster
Nähe sehen können, wollen Sie um das Katheder herum sich auf-
stellen!"
Das geschah, und Professor Silmoser nahm den Deckel von der
Schachtel ab und die Lolzwolle heraus, darin das wertvolle Objekt
fürsorglich gebettet war. Doch wie? Was? Ist's möglich? And starr
bohrten sich des Professors Augen in den Grund der Schachtel und
zitternd fuhren seine Lände hinein. And was sie jetzt heraushoben
und sogar eine Weile unbeweglich, wie gebannt, emporhielten, das
war kein Erzeugnis altitalischer Töpferkunst, noch weniger ein voll-
gültiger Beweis für den etruskischen Landelsweg nach dem Norden,
war allerdings ein schlichter Gebrauchsgegenstand, wenn auch ohne
allen und jeden figürlichen Schmuck, hatte jedoch gar nichts Dämo-
nisches an sich, nein durchaus nicht, sondern war, wenn schon als
Produkt der deutschen Porzellanindustrie höchst schätzenswert, so doch,
um es kurz zu sagen, nicht mehr und nicht weniger als Professor
Silmosers Nachttopf.
Des Professors Befehl mißverstehend, der dahin gelautet hatte,
ihm den in seinem Schlafzimmer aufbewahrten etruskischen Topf in
jene Schachtel zu verpacken, hatte die treue Laushälterin Christine
den historischen Tops mit dem unhistorischen verwechselt und so uns
Vandalen zwar zum lustigsten Tag unserer langen Mittelschuljahre,
ihrem Dienstherrn aber zum verwirrendste» Augenblick in seinem
ganzen Berufsleben verholfen.
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Du schöne Sommerzeit...!"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1934
Entstehungsdatum (normiert)
1929 - 1939
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 180.1934, Nr. 4639, S. 415
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg