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Agathe Globus
Von Peter Robinson
Zweimal in der Woche fand sich in der gemütlichen Weinkneipe
zur „Lahmen Ente" an dem runden Tisch hinten am Ofen ein
kleiner Kreis älterer Lerren zusammen, die bei bekömmlichem sauren
Wein einer mit
sachten Stimmen
geführten Unter-
haltung pflogen.
Lin und wieder
schien dann der
eine oder andere
einen Bericht zu
erstatten,und da-
bei benahm sich
für einen ent-
fernteren,nurauf
seine Augen an-
gewiesenen Be-
obachter der
Kreis in merk-
würdiger Weise.
Denn während
der Erzähler eine
sehr bettübte oder auch zornig wilde Miene zur Schau trug, Kum-
mer und Aerger zeigte, war seinen Zuhörern gar kein Mitgefühl
anzumerken. Rein, sie schienen großes Vergnügen zu empfinden, und
zum Schluß gab es ein mehr oder minder starkes Gelächter, in das
dann manchmal auch der Erzähler einstimmte. Ein einigermaßen
scharfsinniger Beobachter mutzte daraus schließen, daß dort keine
Berichte von wirklichen Begebenheiten vorgetragen wurden, sondern
erfundene Geschichten von allerlei Widerwärtigkeiten, und daß dem-
gemäß diese Geschichten desto mehr Spaß bereiteten, je grausamer
die erdachten Widerwärtigkeiten waren.
Dieser Stammtisch nun hatte sich einen Namen beigelegt, aber
keinen schönen; er nannte sich: Die ausgekochten Junggesellen. Daß
einmal der Vorschlag ergangen war, diesen den Personalumständen
der Lerren durchaus entsprechenden Namen zu ändern in: „Die ein-
gebildeten Ehemänner," ein Vorschlag, der aber nicht durchging,
weil sich ein Streit darüber erhob, ob es nicht richtiger heißen
müßte: „Die Ehemänner in der Einbildung"-- dieser Vorschlag
hing zusammen mit einer besonderen Anterhaltung, auf die der
Stammtisch verfallen war. Das war so gekommen. Eines Abends
hatte der Magistratsrat Scherbe! erzählt, daß ihm unlängst nicht
wohl gewesen wäre; nach Grippe wäre ihm zu Mute gewesen, und
da hätte er sich einen recht strammen Grog gebraut. „And wie
ich nun," erzählte der Magisttatsrat, „nach dem vierten Glase einen
leichten Nebel um mich spüre und mich in meiner Sofaecke zurück-
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lehne, da ist mir doch wahrhaftig so, als ob in der andern Ecke eine
Frau sitzt, meine Ehefrau. Za, meine Lerren, da saß Frau Scherbe!,
und ihr Rufname war Minna, und das Dasein dieser Frau Minna
Scherbel war mir ganz selbstverständlich. Daran war natürlich nicht
der Grog schuld, denn sonst würde ich ja nie wieder welchen trinken,
sondern der Grippezustand, und daß er mich gerade mit dieser Ein-
bildung belästigte-nun ja, meine Lerren, es hat früher einmal
in meinem Leben Tage gegeben, wo ich dem Entschluß, zu heiraten,
sehr nahe war. Also — da sitzt Minna, und sie macht ein böses Ge-
sicht, und wie ich mir nun das fünfte Glas Grog mischen will, da
sagt sie: „Laltl Du hast genug. Albert, du hast mehr als genug,
du hast schon viel zu viell" — „Aber ich will doch die Grippe ab-
schneiden, liebe Minna," wende ich ein. — „Dann nimmst du Aspirin!"
befiehlt sie. — „Das verdirbt mir den Magen," sage ich. — „Aber
Grog verdirbt dir das Gehirn I" schreit sie, denn jetzt wird sie böse.
And dann legt sie los mit ganz gräßlichen Reden: sie wolle keinen
Säufer zum Mann, und wenn sie mir heute noch ein Glas Grog
durchgehen ließe, dann würden es beim nächsten Mal noch mehr
werden, und immer schlimmer und schlimmer würde das werden,
und dann würde ich aus meiner Stellung hinausgeworfen werden,
und schließlich würde ich als grauhaariger Trunkenbold am Stabe
durch die Dör-
fer wanken,
während sie
sich kümmer-
lich mit Zim-
mervermieten
würde ernäh-
ren müssen.
Eine halbe
Stunde pie-
sackt sie mich
so mit ihren
Reden, und
ich ttiege
wirklich kei-
nen Grog
mehrundmuß
zu Bett gehn.
Allerdings,
meineLerren:
am nächsten
Morgen
konnte ich fest-
stellen,daß für „Vater läßt sich vielmals entschuldigen, aber
ein fünftes er kann die Letter nicht länger entbehren l"
Herbstwunsch des Schrebergarteubesitzers
Agathe Globus
Von Peter Robinson
Zweimal in der Woche fand sich in der gemütlichen Weinkneipe
zur „Lahmen Ente" an dem runden Tisch hinten am Ofen ein
kleiner Kreis älterer Lerren zusammen, die bei bekömmlichem sauren
Wein einer mit
sachten Stimmen
geführten Unter-
haltung pflogen.
Lin und wieder
schien dann der
eine oder andere
einen Bericht zu
erstatten,und da-
bei benahm sich
für einen ent-
fernteren,nurauf
seine Augen an-
gewiesenen Be-
obachter der
Kreis in merk-
würdiger Weise.
Denn während
der Erzähler eine
sehr bettübte oder auch zornig wilde Miene zur Schau trug, Kum-
mer und Aerger zeigte, war seinen Zuhörern gar kein Mitgefühl
anzumerken. Rein, sie schienen großes Vergnügen zu empfinden, und
zum Schluß gab es ein mehr oder minder starkes Gelächter, in das
dann manchmal auch der Erzähler einstimmte. Ein einigermaßen
scharfsinniger Beobachter mutzte daraus schließen, daß dort keine
Berichte von wirklichen Begebenheiten vorgetragen wurden, sondern
erfundene Geschichten von allerlei Widerwärtigkeiten, und daß dem-
gemäß diese Geschichten desto mehr Spaß bereiteten, je grausamer
die erdachten Widerwärtigkeiten waren.
Dieser Stammtisch nun hatte sich einen Namen beigelegt, aber
keinen schönen; er nannte sich: Die ausgekochten Junggesellen. Daß
einmal der Vorschlag ergangen war, diesen den Personalumständen
der Lerren durchaus entsprechenden Namen zu ändern in: „Die ein-
gebildeten Ehemänner," ein Vorschlag, der aber nicht durchging,
weil sich ein Streit darüber erhob, ob es nicht richtiger heißen
müßte: „Die Ehemänner in der Einbildung"-- dieser Vorschlag
hing zusammen mit einer besonderen Anterhaltung, auf die der
Stammtisch verfallen war. Das war so gekommen. Eines Abends
hatte der Magistratsrat Scherbe! erzählt, daß ihm unlängst nicht
wohl gewesen wäre; nach Grippe wäre ihm zu Mute gewesen, und
da hätte er sich einen recht strammen Grog gebraut. „And wie
ich nun," erzählte der Magisttatsrat, „nach dem vierten Glase einen
leichten Nebel um mich spüre und mich in meiner Sofaecke zurück-
194
lehne, da ist mir doch wahrhaftig so, als ob in der andern Ecke eine
Frau sitzt, meine Ehefrau. Za, meine Lerren, da saß Frau Scherbe!,
und ihr Rufname war Minna, und das Dasein dieser Frau Minna
Scherbel war mir ganz selbstverständlich. Daran war natürlich nicht
der Grog schuld, denn sonst würde ich ja nie wieder welchen trinken,
sondern der Grippezustand, und daß er mich gerade mit dieser Ein-
bildung belästigte-nun ja, meine Lerren, es hat früher einmal
in meinem Leben Tage gegeben, wo ich dem Entschluß, zu heiraten,
sehr nahe war. Also — da sitzt Minna, und sie macht ein böses Ge-
sicht, und wie ich mir nun das fünfte Glas Grog mischen will, da
sagt sie: „Laltl Du hast genug. Albert, du hast mehr als genug,
du hast schon viel zu viell" — „Aber ich will doch die Grippe ab-
schneiden, liebe Minna," wende ich ein. — „Dann nimmst du Aspirin!"
befiehlt sie. — „Das verdirbt mir den Magen," sage ich. — „Aber
Grog verdirbt dir das Gehirn I" schreit sie, denn jetzt wird sie böse.
And dann legt sie los mit ganz gräßlichen Reden: sie wolle keinen
Säufer zum Mann, und wenn sie mir heute noch ein Glas Grog
durchgehen ließe, dann würden es beim nächsten Mal noch mehr
werden, und immer schlimmer und schlimmer würde das werden,
und dann würde ich aus meiner Stellung hinausgeworfen werden,
und schließlich würde ich als grauhaariger Trunkenbold am Stabe
durch die Dör-
fer wanken,
während sie
sich kümmer-
lich mit Zim-
mervermieten
würde ernäh-
ren müssen.
Eine halbe
Stunde pie-
sackt sie mich
so mit ihren
Reden, und
ich ttiege
wirklich kei-
nen Grog
mehrundmuß
zu Bett gehn.
Allerdings,
meineLerren:
am nächsten
Morgen
konnte ich fest-
stellen,daß für „Vater läßt sich vielmals entschuldigen, aber
ein fünftes er kann die Letter nicht länger entbehren l"
Herbstwunsch des Schrebergarteubesitzers
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Herbstwunsch des Schrebergartenbesitzers" "Vater läßt sich vielmals entschuldigen, aber ..."
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1934
Entstehungsdatum (normiert)
1929 - 1939
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 181.1934, Nr. 4652, S. 194
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg