Teutbert Wattebausch uttb fein Roman
Von Gong
„Morgen fahren wir an der Insel San Paolino vorbei/ sagte
der Kapitän bedeutsam.
„Was ists mit San Paolino?" erkundigten wir uns.
„Da habe ich vor drei Jahren einen hingebracht/ rückte er
heraus. „Es war der Schriftsteller Teutbert Wattebausch — ja, so
hieß er — er wollte dort eine» dreibändigen Roman schreiben. Zuhause
kam er nicht dazu. Er sagte, es sei unmöglich, sich in einer europäi-
schen Großstadt zu konzentrieren. Morgens um 7 wurde er durch
Obstausrufer aus dem Schlummer gerissen, den Vormittag ver-
brachte er mit Werg in den Ohren, um das Geräusch des Teppich-
klopfens nicht zu hören, mit Rasieren, Ankleiden, gesellschaftlichen
Verpflichtungen, Premierenbesuchen, Steuerabrechnungen und An-
stehe» nach Briefmarken verging der Rest seiner Tage. So kam er
auf die Idee, sich mit 1000 Rieß Schreibmaschinenpapier, einer Re-
mington Roiseleß und zwei Gros Bleistiften nach San Paolino zu-
rückzuziehen."
Wir wußten, daß der Kapitän in Rotterdam und Southamp-
ton durch gute Arbeit der Staugesellschaften je einen Tag gewon-
nen hatte, und daß durch Meeresströmung und günstigen Passat
eine Menge Kohlen erspart worden waren. Wir drangen solange in
ihn, bis er nachgab und mit Kurs auf San Paolino weiteriief.
Als wir das idyllische Eiland betreten hatte», war weit und
breit keine Spur von seinem Bewohner zu entdecken. Rach zwe;
Stunden setzten wir uns zum Frühstück nieder. Plötzlich sagte einer:
„Da schmeißt jemand mit Nüssen."
Richtig! In einem hohen Baum über uns hockte ein Wesen mit
einem ellenlangen, rotblonden Vollbart, den es sich, um beim Klet-
tern ungehindert zu sein, in ein Paar die Waden umschließende,
vermoderte Lochgebirgsstutzen gesteckt hatte. Der Kapitän sah mit
seinem Fernglas hinauf. „Kein Zweifel," sagte er, „es ist Wattebausch."
Wir lockten den Schriftsteller mit einer Dose Leines Lalber-
städter Würstchen vom Baum. Ansere Befürchtung bewahrheitete
sich nicht: Wattebausch war nicht meschugge geworden, nur ein wenig
einsilbig. Mit einer Flasche Piesporter brachten wir ihn sogar zum
Erzählen.
„Was ist mit dem dreibändigen Roman?" fragte der Kapitän.
„Als die Rauchfahne Ihres Schiffes damals am Lorizont ver-
schwand," erzählte Wattebausch, „empfand ich ein unbeschreibliches
Gefühl völliger Freiheit. Ich setzte mich sogleich an die Schreib-
maschine, aber dann beschloß ich, erst einmal meine Nerven zur Ruhe
kommen zu lassen. Mein Lirn hatte noch den Takt Europas in sich:
In meinen Ohren wogte noch Teppichklopfen, Trambahnklingeln,
Autohupen und tausend anderes chaotisch durcheinander. Ich war so
gewöhnt an die furchtbaren Pflichten, die uns die Zivilisation aus-
erlegt, daß ich es schmerzlich vermißte, mich nicht rasieren und um-
kleiden zu müssen und was dergleichen Dinge mehr sind. Vierzehn
Tage tat ich nichts als Schlafen, Träumen und Essen. Dann fing ich
an, eine Schildkröte zu beobachten. Vier Monate brauchte ich, bis
ich alle ihre Lebensgewohnheiten ergründet hatte. Als ich jetzt mit
meinem Roman beginnen wollte, merkte ich, daß mir die Fähigkeit,
durch besonders raffiniert gewählte Eigenschaftswörter zu charakteri-
sieren, abhanden gekommen war. Nach einiger Zeit kam ich daraus,
daß mein Schatz von Laupt- und Tätigkeitswörtern gewaltig
Von Gong
„Morgen fahren wir an der Insel San Paolino vorbei/ sagte
der Kapitän bedeutsam.
„Was ists mit San Paolino?" erkundigten wir uns.
„Da habe ich vor drei Jahren einen hingebracht/ rückte er
heraus. „Es war der Schriftsteller Teutbert Wattebausch — ja, so
hieß er — er wollte dort eine» dreibändigen Roman schreiben. Zuhause
kam er nicht dazu. Er sagte, es sei unmöglich, sich in einer europäi-
schen Großstadt zu konzentrieren. Morgens um 7 wurde er durch
Obstausrufer aus dem Schlummer gerissen, den Vormittag ver-
brachte er mit Werg in den Ohren, um das Geräusch des Teppich-
klopfens nicht zu hören, mit Rasieren, Ankleiden, gesellschaftlichen
Verpflichtungen, Premierenbesuchen, Steuerabrechnungen und An-
stehe» nach Briefmarken verging der Rest seiner Tage. So kam er
auf die Idee, sich mit 1000 Rieß Schreibmaschinenpapier, einer Re-
mington Roiseleß und zwei Gros Bleistiften nach San Paolino zu-
rückzuziehen."
Wir wußten, daß der Kapitän in Rotterdam und Southamp-
ton durch gute Arbeit der Staugesellschaften je einen Tag gewon-
nen hatte, und daß durch Meeresströmung und günstigen Passat
eine Menge Kohlen erspart worden waren. Wir drangen solange in
ihn, bis er nachgab und mit Kurs auf San Paolino weiteriief.
Als wir das idyllische Eiland betreten hatte», war weit und
breit keine Spur von seinem Bewohner zu entdecken. Rach zwe;
Stunden setzten wir uns zum Frühstück nieder. Plötzlich sagte einer:
„Da schmeißt jemand mit Nüssen."
Richtig! In einem hohen Baum über uns hockte ein Wesen mit
einem ellenlangen, rotblonden Vollbart, den es sich, um beim Klet-
tern ungehindert zu sein, in ein Paar die Waden umschließende,
vermoderte Lochgebirgsstutzen gesteckt hatte. Der Kapitän sah mit
seinem Fernglas hinauf. „Kein Zweifel," sagte er, „es ist Wattebausch."
Wir lockten den Schriftsteller mit einer Dose Leines Lalber-
städter Würstchen vom Baum. Ansere Befürchtung bewahrheitete
sich nicht: Wattebausch war nicht meschugge geworden, nur ein wenig
einsilbig. Mit einer Flasche Piesporter brachten wir ihn sogar zum
Erzählen.
„Was ist mit dem dreibändigen Roman?" fragte der Kapitän.
„Als die Rauchfahne Ihres Schiffes damals am Lorizont ver-
schwand," erzählte Wattebausch, „empfand ich ein unbeschreibliches
Gefühl völliger Freiheit. Ich setzte mich sogleich an die Schreib-
maschine, aber dann beschloß ich, erst einmal meine Nerven zur Ruhe
kommen zu lassen. Mein Lirn hatte noch den Takt Europas in sich:
In meinen Ohren wogte noch Teppichklopfen, Trambahnklingeln,
Autohupen und tausend anderes chaotisch durcheinander. Ich war so
gewöhnt an die furchtbaren Pflichten, die uns die Zivilisation aus-
erlegt, daß ich es schmerzlich vermißte, mich nicht rasieren und um-
kleiden zu müssen und was dergleichen Dinge mehr sind. Vierzehn
Tage tat ich nichts als Schlafen, Träumen und Essen. Dann fing ich
an, eine Schildkröte zu beobachten. Vier Monate brauchte ich, bis
ich alle ihre Lebensgewohnheiten ergründet hatte. Als ich jetzt mit
meinem Roman beginnen wollte, merkte ich, daß mir die Fähigkeit,
durch besonders raffiniert gewählte Eigenschaftswörter zu charakteri-
sieren, abhanden gekommen war. Nach einiger Zeit kam ich daraus,
daß mein Schatz von Laupt- und Tätigkeitswörtern gewaltig
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Teutbert Wattebausch und sein Roman"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1934
Entstehungsdatum (normiert)
1929 - 1939
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 181.1934, Nr. 4655, S. 254
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg