Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Dingeldeys Raster-Salon

Von Peter Scher

Das schwarzseidene Käppchen auf der
Glatze, die linke Land am blaubemalten Por-
zellankops der langen Pfeife, die rechte zum
Schutz gegen die grelle Sonne über die Augen
gelegt — so stand Dingeldey im Vorgärtchen
und sah nach dem Fremdenheim hinüber, aus
dessen Terrasse zwei junge Männer in lebhaf-
tem Gespräch auf- und abginge».

Leute ist es so weit — sagte Dingeldey
bei sich — an einem solchen Tag kann man
etwas unternehmen.

Er ging, leichte graue Wölkchen in an-
mutigem Wirbel nach sich ziehend, bis zum
Eckfenster, betrachtete es lange, trat einen
Schritt zurück, hielt prüfend den Kopf zur
Seite geneigt, nickte und verschwand im Lause.

Gleich darauf erschien in dem erwähnten Fenster
ein Schild mit der schwungvoll gemalten In-
schrift: Dingeldeys Rasier-Salon.

Zur selben Zeit und wie auf Verabredung,
um mit dem eben angelangten Wirt des Frem-
denheims Betrachtungen austauschen zu kön-
nen, traten Dingeldeys sämtliche Verwandten
aus dem Lause. Eine Weile bewunderten
alle das Schild, dann entfernte sich der Wirt,
weil er das Dampfschiff pfeifen hörte, von
dem er Gäste erwartete. Auch die Verwandten
begaben sich wieder ins Laus. Dingeldey
stand nun allein da, sah bald das Eckfenster
an, bald zu den jungen Leuten auf der Terrasse hinüber, paffte leichte
Wölkchen und seufzte tief.

Warum seufzte Dingeldey?

Am es mit schonenden Worten zu sagen: Er ermangelte sehr und
von ganzem Äerzen des Antriebs zu jeglicher Art von Arbeit. Gleich-
wohl hatte er, dem Drängen der Amstände nachgebend, nach langen,
allzu langen Erwägungen den Entschluß gefaßt, die Insel um einen
Rasier-Salon zu bereichern.

Nicht als ob ihn ein innerer Drang gerade zu dieser Art Betäti-
gung getrieben hätte. Weder natürliche Anlage noch sträflicher Ehrgeiz
hatten bei der Wahl dieses Anternehmens mitgesprochen. Nur der Ge-
danke an eine saubere, nicht allzu anstrengende Arbeit, die ihm Zeit
lassen würde, sich dem behäbigen Ausbau seines inneren Menschen zu
widmen, hatte ihn veranlaßt, auf eine Tätigkeit zurückzugreifen, die er
außer vielen anderen vor zwanzig Jahren einmal gelernt hatte.

Die Insel wurde seit einiger Zeit von Fremden ausgesucht; sie war
im Begriff, emporzublühen. Aber wiederum blühte sie nicht zu rasch,
sondern mit einer Gemütsruhe empor, die Dingeldey Gewähr zu bieten
schien, daß er sich allmählich in die Sache hineinleben werde.

In aller Ruhe hatte er den Plan erwogen und vielfach mit seinen
Verwandten durchgesprochen. Ein sinnreich konstruierter Klappstuhl,
eine Anzahl feiner Solinger Messer und allerlei wohlriechendes Seifen-
zeug war auf Abzahlung erworben worden. Leute nun sollte es sich
zeigen, ob Dingeldeys Rechnung stimmte.

Er rauchte und seufzte. Je näher die Möglichkeit heranrückte, daß
ein Kunde erscheinen könnte, umso drückender empfand er die harte
Notwendigkeit, nun wirklich in die Sache hineintreten zu müssen. An-
willkürlich sah er empor, ob nicht ein Gewitter käme, ein Platzregen,
der die immerhin fünf oder sechs anwesenden Fremden aus die natür-
lichste Art verhindere, von der Eröffnung seines Anternehmens Kennt-
nis zu erhalten. Aber nichts dergleichen deutete sich an. Der Limmel
strahlte in wolkenloser Pracht, und überdies fiel Dingeldey ein, daß
ja der Wirt bereits Zeuge der Geschästseröffnung geworden sei. Der
würde den Gästen die Neuigkeit bestimmt nicht verheimlichen. Dingeldey
fühlte, während er vor dem Lause auf und ab schritt, daß sein Lerz
wie von Eisenklammern zusammengepreßt wurde.

Wie — wenn er nun heute noch einen
arglosen Mitmenschen in jenen verzwickten
Stuhl komplimentieren, ihn einseisen, ja, mit
dem Messer behandeln mußte?

Stöhnend fühlte er, wie Schweiß aus seine
Stirn trat. Mit lauerndem Blick musterte
er die Nachbarschaft und vor allem das Frem-
denheim. Gottseidank, die jungen Männer
waren verschwunden. Vielleicht blieb ihm heute
noch das Aeußerste erspart. Von neuer Loff-
nung belebt, aber den Anblick des Schildes
im Eckfenster krampfhaft vermeidend, schlurfte
er ins Laus, um sich bei einem kleinen Früh-
stück von den ungewohnten Morgenstrapazen
zu erholen.

Mit dem Zehnuhrdampfer war ein ele-
gantes Fräulein angekommen. Die beiden
jungen Lerren im Fremdenheim hatten das
hübsche Geschöpf mit dem Wirt ins Laus
treten sehen. Aber sie wagten sich nicht her-
vor, denn ihre unrasierten Gesichter glichen
denen von Wegelagerern. Es war anfangs
der Woche, und erst am Samstag kam der
Wanderbarbier von drüben. Rasierzeug hatten
sie auch nicht bei sich. Das war bisher ja
das Reizvolle an der so sparsam emporblühen-
den Insel gewesen, daß man der Zivilisation
keinen Tribut zu entrichten brauchte. Jetzt
saßen sie nun da und knirschten vor ohnmäch-
tigem Zorn über das plumpe Schicksal, das
sie von dem lockenden Erlebnis fernhielt.

Wie nun der eine der jungen Lerren,
ärgerlich und gedankenlos das am Fenster liegende Fernrohr
ergreifend, die Nachbarschaft absuchte, traute er seinen Augen
nicht, als im Eckfenster drüben auf einmal Dingeldeys Schild in
Erscheinung trat. Aber so ist es im Leben: Ansichtbare Lände

„Sag mal, Lans, hast du schon das neue Porträt vom Onkel
gesehen? Das ist doch vorzüglich getroffen!"

„Lm, jedenfalls das erstemal, daß er sich erkenntlich zeigtel"

96

Ein Plus „Ganz unmöglich, eine
Gewichtszunahme zu erzielen; aber ich
werde mir jetzt einen Vollbart stehen
lassen!"
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Ein Plus" "Das neue Porträt vom Onkel"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Croissant, Eugen
Entstehungsdatum
um 1935
Entstehungsdatum (normiert)
1930 - 1940
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 182.1935, Nr. 4698, S. 99

Beziehungen

Erschließung

Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg
 
Annotationen