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Der Schimpftag
Von Peker Robinson
So ziemlich die ganze Sippe der durcheinander verzweigten Oswald Schallmeyer, der Senior der Schallmeyers, hatte sich ange-
Familien Brause und Schallmeyer war an diesem Sonntag Nach- schlossen. „Zusammenhalten ist die Lauptsache in einer großen
mittag bei Klaus Topelius versammelt, der zu den Schallmeyers als Familie. Die kleinen Meinungsverschiedenheiten, die sich manchmal
Neffe und Vetter in Beziehung stand, während er für die Brauses einstellen, dürfen da nicht im Wege sein. Wer sich ärgert, soll das
eigentlich nur ein halber Neffe und halber Vetter war, was ja aber lieber für sich behalten."
meist nicht so genau genommen wird. Seine Mutter war eine geborene Klaus Topelius, der Neffe und Vetter, mischte sich ein. „Wer
Schallmeyer gewesen; der Vater Topelius war aber doch immer als seinen Aerger hineinsrißt, wird dann erst recht böse auf den andern.
ein Fremdling betrachtet worden.
Klaus hatte heute die ganze Gesellschaft
eingeladen — zur Einweihung des hübschen
Landhauses, das er sich vor der Stadt gebaut
hatte. Da dieser Bau das in der Sippe um-
laufende Gerücht zu bestätigen schien, daß er
in letzter Zeit viel Geld verdient habe, waren
die Lerrschasten mit Vergnügen gekommen,
denn solch einen Verwandten besucht man
gern. Man nahm es deshalb auch in Kauf,
daß diese allgemeine Versammlung ein Zu-
sammentreffen auch solcher Familienmitglieder
herbeiführen mußte, die zur Zeit einander
lieber aus dem Wege gingen, weil das wegen
irgend einer Zänkerei ausgegrabene Kriegsbeil
noch nicht wieder eingebuddelt war. Irgendwo
bei einem der Zweige der Brauses und Schall-
meyers wurde immer das Kriegsbeil benötigt.
Nun ja — in großen Familien lassen sich
Zwistigkeiten ja nie ganz vermeiden. Aber
schließlich verträgt man sich wieder, und dann
können andere herankommen, die miteinander
zanken. —
Es hatte eine herrliche Kaffeemahlzeit ge-
geben, und nun hatte man sich in Gruppen auf
der großen Veranda verteilt. Die Gespräche
dieser Gruppen schleppten sich etwas matt
dahin. Lier und dort hätte wohl eine lebhaf-
tere Unterhaltung aus einem angenehmen
Thema erwachsen können, aber das wäre dann
ein unangenehmes Thema für eine andere
Gruppe gewesen, die vielleicht aufgepaßt hätte,
und so brach man es wieder ab. Leute mußten
Auseinandersetzungen vermieden werden. Al-
bert Brause, der Senior der Brauses, hatte
nachdrücklich abgewinkt, als seine Schwester
Adelheid, eine verwitwete Schallmeyer, eine
unvorsichtige Aeußerung getan hatte. „Nur
immer gemütlich!" hatte er mit starkem Run-
zeln seiner üppigen Augenbrauen gesagt. And
114
„Wenn Sie mit jemand reden, Pietzker,
dann müssen Sie ihn nicht immer beim
Rockknopf packen. Da merkt er ja gleich,
daß Sie ihm was abknöpfen wollen."
Eine kleine Lerzenserleichterung ist manchmal doch ganz angebracht.
And wenn es dann auch ein Gewitter gibt —
das reinigt die Luft. Einen sehr vernünftigen
Brauch haben da, wie ich mal gelesen habe,
die Drawida."
„Ach, das sind solche greulichen, blutgierigen
Priester!" sagte die Kusine Käthchen Brause.
„Die kommen doch in solch einer alten Oper
vor, in-ach ja, in ,Rorma", nicht wahr?"
„Nein, das sind Druiden. Ich meine die
Drawida in Indien. Die Leute sind sehr dafür,
daß eine Familie fest zusammenhält, bis in
die fernsten Glieder. And damit keiner einen
Zorn allzu lange in sich aufspeichert, veran-
stalten sie einmal im Jahre einen sogenannten
Schimpftag. Dann kommt die ganze Sippe
zusammen, und alle verstopfen sich die Ohren
mit Pfropfen aus Werg und Wachs, sodaß
sie nichts hören können. And dann schimpfen
sie los. Wer einen Groll auf einen andern
hat, der hunzt ihn fürchterlich herunter; die
gröbsten Beleidigungen und gemeinsten
Schimpfwörter gebraucht er. Eine Stunde
lang geht das so, bis ihnen überhaupt nichts
mehr zu schimpfen einfällt. Dann nehmen
sie die Pfropfen aus den Ohren und umarmen
und küffen einander und haben einander nach
dieser Erleichterung wieder herzlich lieb. Ich
finde, das ist eine sehr nützliche Einrichtung.
Das sollten wir auch mal machen. Wie wär's
denn jetzt gleich? Wir sind ja grade alle bei-
sammen."
Klaus Topelius sah ringsum seine Gäste
freundlich ausfordernd an. Aber seine Tante
Adelheid schrie entsetzt: „Anmöglich > Ich kann
gar nicht schimpfen, das bringe ich einfach
nicht fertig."
Irgend jemand in einer Ecke räusperte
sich heftig. Der alte Oswald Schallmeyer
sah mahnend nach jener Ecke. „Pscht, pschtl
Der Schimpftag
Von Peker Robinson
So ziemlich die ganze Sippe der durcheinander verzweigten Oswald Schallmeyer, der Senior der Schallmeyers, hatte sich ange-
Familien Brause und Schallmeyer war an diesem Sonntag Nach- schlossen. „Zusammenhalten ist die Lauptsache in einer großen
mittag bei Klaus Topelius versammelt, der zu den Schallmeyers als Familie. Die kleinen Meinungsverschiedenheiten, die sich manchmal
Neffe und Vetter in Beziehung stand, während er für die Brauses einstellen, dürfen da nicht im Wege sein. Wer sich ärgert, soll das
eigentlich nur ein halber Neffe und halber Vetter war, was ja aber lieber für sich behalten."
meist nicht so genau genommen wird. Seine Mutter war eine geborene Klaus Topelius, der Neffe und Vetter, mischte sich ein. „Wer
Schallmeyer gewesen; der Vater Topelius war aber doch immer als seinen Aerger hineinsrißt, wird dann erst recht böse auf den andern.
ein Fremdling betrachtet worden.
Klaus hatte heute die ganze Gesellschaft
eingeladen — zur Einweihung des hübschen
Landhauses, das er sich vor der Stadt gebaut
hatte. Da dieser Bau das in der Sippe um-
laufende Gerücht zu bestätigen schien, daß er
in letzter Zeit viel Geld verdient habe, waren
die Lerrschasten mit Vergnügen gekommen,
denn solch einen Verwandten besucht man
gern. Man nahm es deshalb auch in Kauf,
daß diese allgemeine Versammlung ein Zu-
sammentreffen auch solcher Familienmitglieder
herbeiführen mußte, die zur Zeit einander
lieber aus dem Wege gingen, weil das wegen
irgend einer Zänkerei ausgegrabene Kriegsbeil
noch nicht wieder eingebuddelt war. Irgendwo
bei einem der Zweige der Brauses und Schall-
meyers wurde immer das Kriegsbeil benötigt.
Nun ja — in großen Familien lassen sich
Zwistigkeiten ja nie ganz vermeiden. Aber
schließlich verträgt man sich wieder, und dann
können andere herankommen, die miteinander
zanken. —
Es hatte eine herrliche Kaffeemahlzeit ge-
geben, und nun hatte man sich in Gruppen auf
der großen Veranda verteilt. Die Gespräche
dieser Gruppen schleppten sich etwas matt
dahin. Lier und dort hätte wohl eine lebhaf-
tere Unterhaltung aus einem angenehmen
Thema erwachsen können, aber das wäre dann
ein unangenehmes Thema für eine andere
Gruppe gewesen, die vielleicht aufgepaßt hätte,
und so brach man es wieder ab. Leute mußten
Auseinandersetzungen vermieden werden. Al-
bert Brause, der Senior der Brauses, hatte
nachdrücklich abgewinkt, als seine Schwester
Adelheid, eine verwitwete Schallmeyer, eine
unvorsichtige Aeußerung getan hatte. „Nur
immer gemütlich!" hatte er mit starkem Run-
zeln seiner üppigen Augenbrauen gesagt. And
114
„Wenn Sie mit jemand reden, Pietzker,
dann müssen Sie ihn nicht immer beim
Rockknopf packen. Da merkt er ja gleich,
daß Sie ihm was abknöpfen wollen."
Eine kleine Lerzenserleichterung ist manchmal doch ganz angebracht.
And wenn es dann auch ein Gewitter gibt —
das reinigt die Luft. Einen sehr vernünftigen
Brauch haben da, wie ich mal gelesen habe,
die Drawida."
„Ach, das sind solche greulichen, blutgierigen
Priester!" sagte die Kusine Käthchen Brause.
„Die kommen doch in solch einer alten Oper
vor, in-ach ja, in ,Rorma", nicht wahr?"
„Nein, das sind Druiden. Ich meine die
Drawida in Indien. Die Leute sind sehr dafür,
daß eine Familie fest zusammenhält, bis in
die fernsten Glieder. And damit keiner einen
Zorn allzu lange in sich aufspeichert, veran-
stalten sie einmal im Jahre einen sogenannten
Schimpftag. Dann kommt die ganze Sippe
zusammen, und alle verstopfen sich die Ohren
mit Pfropfen aus Werg und Wachs, sodaß
sie nichts hören können. And dann schimpfen
sie los. Wer einen Groll auf einen andern
hat, der hunzt ihn fürchterlich herunter; die
gröbsten Beleidigungen und gemeinsten
Schimpfwörter gebraucht er. Eine Stunde
lang geht das so, bis ihnen überhaupt nichts
mehr zu schimpfen einfällt. Dann nehmen
sie die Pfropfen aus den Ohren und umarmen
und küffen einander und haben einander nach
dieser Erleichterung wieder herzlich lieb. Ich
finde, das ist eine sehr nützliche Einrichtung.
Das sollten wir auch mal machen. Wie wär's
denn jetzt gleich? Wir sind ja grade alle bei-
sammen."
Klaus Topelius sah ringsum seine Gäste
freundlich ausfordernd an. Aber seine Tante
Adelheid schrie entsetzt: „Anmöglich > Ich kann
gar nicht schimpfen, das bringe ich einfach
nicht fertig."
Irgend jemand in einer Ecke räusperte
sich heftig. Der alte Oswald Schallmeyer
sah mahnend nach jener Ecke. „Pscht, pschtl
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Beim Rockknopf packen"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1935
Entstehungsdatum (normiert)
1930 - 1940
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 182.1935, Nr. 4699, S. 114
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg