Zeichnung von I. Geis
Ein praktischer Mensch
Der Bart war ab
Groteske von Ralph Urban
Lerr Stengert saß eines Abends in
der Badewanne und drehte gerade beide
Wasserhähne auf, um sich zum Schluß durch
eine kräftige Brause zu erquicken, als es
klingelte. Da die Dame des Laufes, bei
der er seit zwei Wochen als Untermieter
wohnte, auf einige Tage verreist war und
das Stubenmädchen Urlaub hatte, sprang
er ärgerlich aus der Wanne, schlüpfte rasch
in den Bademantel und eilte zur Tür.
Gleich darauf verklärten sich seine Züge,
denn draußen stand ein Postbote, der eine
telegraphische Geldanweisung für ihn
brachte.
Es geschehen zuweilen »och Zeichen und
Wunder. Mehr aus Gewohnheit als in der
Hoffnung auf Erfolg hatte Herr Stengert
kürzlich eine alte Schuld von einem Be-
kannten zum ixten Mal eingemahnt, und
jetzt war das Geld tatsächlich gekommen.
Mit dem glücklichen Gefühl des Vaters,
der den verlo-
rengeglaubten
Sohn umarmt,
strich er die
hundert Mark
ein und be-
lohnte den
Postboten mit
einem fürstli-
che» Trinkgeld.
Dann eilte er
in sein Zimmer
und machte sich
fesch, denn der
seltene Fall
mußte gefeiert
sein.
Eine halbe
Stunde später
saß er bereits
in einer Wein-
stube vor einer
Kostprobe. Seltsamerweise wollte sich aber
die Feststimmung nicht einstellen, irgend
etwas nagte an seinem Unterbewußtsein
und versetzte ihn in Unruhe. Herr Stengert
versuchte, das unangenehme Gefühl zu er-
säufen, was ihm auch mit der Zeit gelang.
Er befand sich bereits in der ersten wein-
seligen Gemütsverfassung, als sein schwei-
fender Blick plötzlich an dem Wirt haften
blieb, der gerade unter munter plätschern-
dem Quell die Gläser spülte. Im nächsten
Augenblick sträubten sich die Laare des
Zechers, denn die offenen Löhne der Bade-
wanne waren ihm eingefallen. Mit dem
Aufstöhnen eines weidwunden Lirsches
schoß er an dem bestürzten Wirt vorüber
zur Tür hinaus und raste durch die Straßen,
bis er vollkommen erschöpft im Lausflur
landete. Da es für die raschere Aeberwin-
dung der drei Treppen aus eigener Kraft
nicht mehr langte, warf er sich in den Fahr-
stuhl und drückte gegen einen der Knöpfe,
worauf sich der Aufzug knurrend in Be-
wegung setzte. Oben angelangt, stieß er den
Schlüssel ins Schloß der Wohnungstür.
Es spießte sich aber etwas, das Schloß war nicht in Ordnung, eine
Affenschande. In Wut und Verzweiflung benützte Lerr Stengert den
Ring des Schlüsselbundes als Lebel, setzte energisch an — rak —
und der Bart war ab.
Gequält blickte der Mann auf das Anglück, während ihm der
kalte Schweiß auf der Stirn perlte. And über die Badewanne floß
inzwischen das Wasser. Kurz entschlossen trat er zum Anlauf zurück,
machte einige kurze aber wahnsinnig rasche Schritte, schnellte dann
in die Lust und flog krachend mitsamt der Tür in die Wohnung
hinein. Er rappelte sich hoch, tastete sich rechter Land zum Bade-
zimmer und riß die Tür auf. —
In der Badewanne saß eine
Dame, die bei seinem Anblick /
schrecklich zu schreien begann. Lerr .
Stengert griff sich mit beiden
Länden an den Kopf, fand aber
keine Zeit zum irrsinnig werden,
denn ein wilder Mann im Nacht-
gewand tauchte auf, der ihm un-
bedingt an die Kehle wollte. Im
Trieb der Selbsterhaltung versetzte
tForlsetzung Seite 192) Ein kleiner Zwischenfall
sonst wär der schöne Backstein sicher kaputt."
„Iosefine, nu sind wir zehn Jahre verheiratet,
und du hast für alle Möbel Schoner gestrickt, und
»u fängst du auch noch mit Socken und Puls-
wärmern an! Das war doch in unsrer Verlobungs-
zeit nicht so."
„Doch, da habe ich dich bestrickt."
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Ein praktischer Mensch
Der Bart war ab
Groteske von Ralph Urban
Lerr Stengert saß eines Abends in
der Badewanne und drehte gerade beide
Wasserhähne auf, um sich zum Schluß durch
eine kräftige Brause zu erquicken, als es
klingelte. Da die Dame des Laufes, bei
der er seit zwei Wochen als Untermieter
wohnte, auf einige Tage verreist war und
das Stubenmädchen Urlaub hatte, sprang
er ärgerlich aus der Wanne, schlüpfte rasch
in den Bademantel und eilte zur Tür.
Gleich darauf verklärten sich seine Züge,
denn draußen stand ein Postbote, der eine
telegraphische Geldanweisung für ihn
brachte.
Es geschehen zuweilen »och Zeichen und
Wunder. Mehr aus Gewohnheit als in der
Hoffnung auf Erfolg hatte Herr Stengert
kürzlich eine alte Schuld von einem Be-
kannten zum ixten Mal eingemahnt, und
jetzt war das Geld tatsächlich gekommen.
Mit dem glücklichen Gefühl des Vaters,
der den verlo-
rengeglaubten
Sohn umarmt,
strich er die
hundert Mark
ein und be-
lohnte den
Postboten mit
einem fürstli-
che» Trinkgeld.
Dann eilte er
in sein Zimmer
und machte sich
fesch, denn der
seltene Fall
mußte gefeiert
sein.
Eine halbe
Stunde später
saß er bereits
in einer Wein-
stube vor einer
Kostprobe. Seltsamerweise wollte sich aber
die Feststimmung nicht einstellen, irgend
etwas nagte an seinem Unterbewußtsein
und versetzte ihn in Unruhe. Herr Stengert
versuchte, das unangenehme Gefühl zu er-
säufen, was ihm auch mit der Zeit gelang.
Er befand sich bereits in der ersten wein-
seligen Gemütsverfassung, als sein schwei-
fender Blick plötzlich an dem Wirt haften
blieb, der gerade unter munter plätschern-
dem Quell die Gläser spülte. Im nächsten
Augenblick sträubten sich die Laare des
Zechers, denn die offenen Löhne der Bade-
wanne waren ihm eingefallen. Mit dem
Aufstöhnen eines weidwunden Lirsches
schoß er an dem bestürzten Wirt vorüber
zur Tür hinaus und raste durch die Straßen,
bis er vollkommen erschöpft im Lausflur
landete. Da es für die raschere Aeberwin-
dung der drei Treppen aus eigener Kraft
nicht mehr langte, warf er sich in den Fahr-
stuhl und drückte gegen einen der Knöpfe,
worauf sich der Aufzug knurrend in Be-
wegung setzte. Oben angelangt, stieß er den
Schlüssel ins Schloß der Wohnungstür.
Es spießte sich aber etwas, das Schloß war nicht in Ordnung, eine
Affenschande. In Wut und Verzweiflung benützte Lerr Stengert den
Ring des Schlüsselbundes als Lebel, setzte energisch an — rak —
und der Bart war ab.
Gequält blickte der Mann auf das Anglück, während ihm der
kalte Schweiß auf der Stirn perlte. And über die Badewanne floß
inzwischen das Wasser. Kurz entschlossen trat er zum Anlauf zurück,
machte einige kurze aber wahnsinnig rasche Schritte, schnellte dann
in die Lust und flog krachend mitsamt der Tür in die Wohnung
hinein. Er rappelte sich hoch, tastete sich rechter Land zum Bade-
zimmer und riß die Tür auf. —
In der Badewanne saß eine
Dame, die bei seinem Anblick /
schrecklich zu schreien begann. Lerr .
Stengert griff sich mit beiden
Länden an den Kopf, fand aber
keine Zeit zum irrsinnig werden,
denn ein wilder Mann im Nacht-
gewand tauchte auf, der ihm un-
bedingt an die Kehle wollte. Im
Trieb der Selbsterhaltung versetzte
tForlsetzung Seite 192) Ein kleiner Zwischenfall
sonst wär der schöne Backstein sicher kaputt."
„Iosefine, nu sind wir zehn Jahre verheiratet,
und du hast für alle Möbel Schoner gestrickt, und
»u fängst du auch noch mit Socken und Puls-
wärmern an! Das war doch in unsrer Verlobungs-
zeit nicht so."
„Doch, da habe ich dich bestrickt."
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Ein praktischer Mensch" "Der schöne Backstein ..." "Verlobungszeit ..." "Ein kleiner Zwischenfall"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1935
Entstehungsdatum (normiert)
1930 - 1940
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 182.1935, Nr. 4703, S. 190
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg