Fliegende Blätter (186.1937 (Nr. 4771-4795) = 93. Jahrg.)

Alles schon da gewesen!

Dampfbad

um sich im Raum zu orientieren. Aber die
eine Minute genügte, um seinen Pelz zu durch-
weichen, in der einen Minute drang der dichte
Dampf ihm zwischen den Kragen, in den An-
zug, unter das Lemd, in die Schuhe, tropfte
vom Lut und von der Krawatte. Lugo Götte
stürzte zur Stelle, wohin er vor zwei Stunden
seine zwei Mark gelegt hatte. And er griff
sie. Die zwei Mark waren vorhanden. Mit
einem Triumphgeheul schwang sie Lugo Götte
in der Land. And stolz wollte er gerade den
Dampfraum verlassen, da —

„Sie sind ja doch der Lugo Götte!" hörte
er eine befriedigte Stimme neben sich, „vor-
hin, als Sie nackt in der Kammer saßen,
kamen Sie mir schon so vor wie der Lugo
Götte, aber genau wußte ich nicht, ob
Sie der Lugo Götte waren. Sie sind doch
Lugo Götte?"

„Ja. Schon. Ich bin es. Aber —"

„Sie werden sich gleich entsinnen," sagte
der Andere vergnügt, „ich bin Ihr Schnei-
der aus Stuttgart, dem Sie noch zwei Anzüge
schuldig sind. Sie waren damals plötzlich ver-
schwunden, aber ich wußte, daß ich Sie eines
Tages Wiedersehen würde. Diesmal, mein
lieber Freund und Kupferstecher, werden Sie
mir nicht wieder entkommen!"

Als Lugo Götte pitschnaß mit seinem
Stuttgarter Schneider, der ihn nicht ausließ,
an der Kasse vorbeischritt, rief der Kassierer:
„Ich sagte Ihnen ja, es gibt noch schlech-
tere Geschäfte auf der Welt —"

Lugo Götte machte eine wegwerfende
Landbewegung:

„Ach, Sie mit Ihren Lühnern!"

„Wenn sich das herumspricht, will sich jeder etwas holen. Einer seinen
Schwamm, einer seinen Kamm, der Dritte seine Lose, und der Vierte
verlangt harmlos nach seiner vergessenen Krawatte. And auf einmal
sitzen sie alle nackt im Dampf und lachen sich ins Fäustchen."

„Die würden Sie doch erkennen!"

Der Kassierer schüttelte den Kopf:

„Erkennen? Nackt sieht jeder anders aus als in Rock und Weste.
Da würden Sie oft staunen, was für einer in die Kabine geht, und
was für einer herauskommt."

Lugo Götte stand der Schweiß auf der Stirn.

„Lerr, ich will doch nur meine zwei Mark holen!"

„Das ist Ihr gutes Recht."

„Na also!"

„Aber mein gutes Recht ist, niemanden ohne Karte hereinzulassen."

„Lerr!" schrie Lugo Götte, „ich werde doch nicht drei Mark aus-
geben, um zwei Mark wiederzubekommen!"

„Warum nicht? Es werden auf der Welt noch schlechtere Geschäfte
gemacht. Ich halte daheim beispielsweise Lühner —"

„Was gehen mich Ihre Lühner an?!"

„Das sollten Sie nicht sagen! Vielleicht haben Sie schon einmal ein
Ei von einer meiner Lennen gegessen!"

„Ich denke nicht daran, drei Mark auszugeben, um meine zwei Mark
wieder zu bekommen!"

„Dann lassen Sie Ihre zwei Mark schwimmen," sagte der Kassierer
ruhig. Doch hätte er dies nicht sagen sollen. Denn Lugo Götte schmerzte
der Verlust dieses Geldes plötzlich so, daß er wie ein Verrückter den
Mann an der Kasse beiseite stieß und vorwärts stürmte.

„Narr! Sie Narr!" schrie er, „zwei Mark schwimmen lassen!" And
schon lief er mit dem Lut auf dem Kopf, in Rock und dickem Pelz
durch die Tür, durchquerte die Brausen, aus denen es voll herniedcr-
regnete, stürzte in die Dampfkammer und fand sich plötzlich in dichten,
unsichtigen, heißen Dampf gehüllt wieder. Er brauchte nur eine Minute,

„Stören Sie die Mücken denn gar nicht?"

„Oh, nein, ich bin es gewöhnt, umschwärmt zu werden."

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