„Mir ist flau im Mage»."
„Deine eigene Schuld, Wilhelm! Du hast gestern abend
zu viel von dem Spickaal gegessen."
„Nee, du bist schuld, Paula: du hast mir nicht '»en zweiten
Bittern erlauben wollen."
geben, und schließlich wäre» wir gemeinsam ausgestiegen. Kann
ich dann anders, als einem guten Bekannten, mit dem ich ge-
trunken und geplaudert habe, sagen: Komm mit, alter Freund,
mein Laus ist dein Laus, wir wollen »och in meiner Stube ein
paar Gläschen miteinander trinken, sollst auch dabei meine Fa-
milie kennenlernen! Wer zeigt nicht gern eine Tochter, wie meine,
die das schönste Mädchen von ganz Wolodka ist? Ei» schönes
Mädchen, ein braves Mädchen, wie meine Katja — ein hübscher,
strammer Bursche wie Sie — nein, nein, mein Lieber, das schlag
dir aus dem Sinn! Kann man von mir verlangen, daß ich meine
Tochter einem Mann zur Frau gebe, der nicht einmal eine eigene
Ahr besitzt?"
„Ä)?ei»e Frau kann kein Bier vertragen."
„Wieso?"
„So oft ich eins trinke, schimpft sie."
Sache der Auffassung
Vater Rollmann betrat eben das Zimmer, als seine Tochter
und ihr Bräutigam sich aufs heftigste zankten. „Nanu, was geht
denn hier vor?" fragte, sehr peinlich berührt, Lerr Rollmann.
„Vor?" fragte seinerseits, und zwar in schärfster Betonung,
der Bräutigam. „Zurück geht hier etwas!"
Junger Mann ohne Uhr
Sieh da, ein Taubstummer, dachte der
junge Mann kopfschüttelnd. Er schob seine
Mütze von dem hübschen, lockigen Laar und
wischte sich den Schweiß von der Stirn.
„Ewig schade, daß ich die Fingersprache
nicht erlernt habe," sagte er leise vor sich
hin, „es wäre doch nett, sich mit ein wenig
Gespräch die Fahrt zu verkürzen. Sonst sind
die Züge immer überfüllt, und gerade heute
muß ich mit einem armen Taubstummen
allein sein!"
Lierauf sah er resigniert aus dem Fen-
ster, auf die verschneite Landschaft, auf
Telegraphenstangen und ziehende Wolken
und gähnte laut.-
Der Zug näherte sich der Endstation.
Der ältere Mann erhob sich von seinem
Sitz.
„Würden Sie so freundlich sein, junger
Freund, und mir helfen, meinen Koffer
aus dem Netz zu heben?" bat er herzlich.
Der junge Mann sprang erstaunt auf.
Dann beeilte er sich bereitwillig, dem
sprechenden Taubstummen behilflich zu sein.
Als der Koffer auf dem Boden stand,
konnte er — neugierig wie die jungen
Menschen schon sind — die Frage nicht
unterdrücken:
„Jetzt, da ich Ihnen geholfen habe, wer-
Sie es mir doch nicht übelnehmen, wenn
ich Sie etwas frage? Warum haben Sie
mir nicht geantwortet, als ich Sie wieder-
holt bat, niir zu sagen, wie spät es sei?"
Der Alte schmunzelte:
„Latte guten Grund, junger Freund!
Sie fragen mich höflich, wie spät cs ist,
und ich sage ebenso höflich, cs ist fünf
Minuten vor vier Ahr. Wir wären so in ein
angeregtes Gespräch gekommen, hätten ein
oder zwei Gläschen Wodka miteinander
getrunken, ein Wort hätte das andere ge-
100
dem seinen seidenen Regenschirm hat er."
Beinahe schottisch
Es war in Berlin.
Auf dem Postamt stand Paul.
Er stand dort schon drei Tage.
Er schrieb und schrieb.
„Was schreiben Sie denn?"
Paul brummte:
„Ich schreibe mir das ganze Berliner
Adreßbuch ab. Da brauche ich mir keins
zu kaufen."
Poretsch ruft beim Zahnarzt an.
„Bitte, Lerr Doktor, ist meine Frau
noch bei Ihnen?" — „Ja."
„Aber warum dauert denn das so furcht-
bar lange?"
„Sie hat einen sehr engen Wurzelkanal,
und ich habe Schwierigkeiten, de» Nerv
herauszubekommen."
„Komisch!"
„Was ist komisch, Lerr Poretsch?"
„Ach, sonst gehen meiner Frau die Nerve»
immer so leicht durch."
Äie neue Perle stellte sich vor.
„Sie waren ja in ihrer letzten Stellung
nur zwei Tage," runzelt die Gnädige die
Brauen.
„Ja, die Dame, bei der ich war, war so
furchtbar kurzsichtig."
„Aber das ist doch kein Grund-!"
„O doch, gnädige Frau, das war der
einzige Grund. Am ersten Tag setzte sie
eine Zitrone in das Vogelbauer. Dabei
kam der Kanarienvogel heraus und flog
in der Wohnung herum. Als er am nächsten
Morgen ihr beim Frühstück auf de» Tisch
flog, hat sie ihn in den Tee ausgequetscht.
Da bin ich gegangen."
„Deine eigene Schuld, Wilhelm! Du hast gestern abend
zu viel von dem Spickaal gegessen."
„Nee, du bist schuld, Paula: du hast mir nicht '»en zweiten
Bittern erlauben wollen."
geben, und schließlich wäre» wir gemeinsam ausgestiegen. Kann
ich dann anders, als einem guten Bekannten, mit dem ich ge-
trunken und geplaudert habe, sagen: Komm mit, alter Freund,
mein Laus ist dein Laus, wir wollen »och in meiner Stube ein
paar Gläschen miteinander trinken, sollst auch dabei meine Fa-
milie kennenlernen! Wer zeigt nicht gern eine Tochter, wie meine,
die das schönste Mädchen von ganz Wolodka ist? Ei» schönes
Mädchen, ein braves Mädchen, wie meine Katja — ein hübscher,
strammer Bursche wie Sie — nein, nein, mein Lieber, das schlag
dir aus dem Sinn! Kann man von mir verlangen, daß ich meine
Tochter einem Mann zur Frau gebe, der nicht einmal eine eigene
Ahr besitzt?"
„Ä)?ei»e Frau kann kein Bier vertragen."
„Wieso?"
„So oft ich eins trinke, schimpft sie."
Sache der Auffassung
Vater Rollmann betrat eben das Zimmer, als seine Tochter
und ihr Bräutigam sich aufs heftigste zankten. „Nanu, was geht
denn hier vor?" fragte, sehr peinlich berührt, Lerr Rollmann.
„Vor?" fragte seinerseits, und zwar in schärfster Betonung,
der Bräutigam. „Zurück geht hier etwas!"
Junger Mann ohne Uhr
Sieh da, ein Taubstummer, dachte der
junge Mann kopfschüttelnd. Er schob seine
Mütze von dem hübschen, lockigen Laar und
wischte sich den Schweiß von der Stirn.
„Ewig schade, daß ich die Fingersprache
nicht erlernt habe," sagte er leise vor sich
hin, „es wäre doch nett, sich mit ein wenig
Gespräch die Fahrt zu verkürzen. Sonst sind
die Züge immer überfüllt, und gerade heute
muß ich mit einem armen Taubstummen
allein sein!"
Lierauf sah er resigniert aus dem Fen-
ster, auf die verschneite Landschaft, auf
Telegraphenstangen und ziehende Wolken
und gähnte laut.-
Der Zug näherte sich der Endstation.
Der ältere Mann erhob sich von seinem
Sitz.
„Würden Sie so freundlich sein, junger
Freund, und mir helfen, meinen Koffer
aus dem Netz zu heben?" bat er herzlich.
Der junge Mann sprang erstaunt auf.
Dann beeilte er sich bereitwillig, dem
sprechenden Taubstummen behilflich zu sein.
Als der Koffer auf dem Boden stand,
konnte er — neugierig wie die jungen
Menschen schon sind — die Frage nicht
unterdrücken:
„Jetzt, da ich Ihnen geholfen habe, wer-
Sie es mir doch nicht übelnehmen, wenn
ich Sie etwas frage? Warum haben Sie
mir nicht geantwortet, als ich Sie wieder-
holt bat, niir zu sagen, wie spät es sei?"
Der Alte schmunzelte:
„Latte guten Grund, junger Freund!
Sie fragen mich höflich, wie spät cs ist,
und ich sage ebenso höflich, cs ist fünf
Minuten vor vier Ahr. Wir wären so in ein
angeregtes Gespräch gekommen, hätten ein
oder zwei Gläschen Wodka miteinander
getrunken, ein Wort hätte das andere ge-
100
dem seinen seidenen Regenschirm hat er."
Beinahe schottisch
Es war in Berlin.
Auf dem Postamt stand Paul.
Er stand dort schon drei Tage.
Er schrieb und schrieb.
„Was schreiben Sie denn?"
Paul brummte:
„Ich schreibe mir das ganze Berliner
Adreßbuch ab. Da brauche ich mir keins
zu kaufen."
Poretsch ruft beim Zahnarzt an.
„Bitte, Lerr Doktor, ist meine Frau
noch bei Ihnen?" — „Ja."
„Aber warum dauert denn das so furcht-
bar lange?"
„Sie hat einen sehr engen Wurzelkanal,
und ich habe Schwierigkeiten, de» Nerv
herauszubekommen."
„Komisch!"
„Was ist komisch, Lerr Poretsch?"
„Ach, sonst gehen meiner Frau die Nerve»
immer so leicht durch."
Äie neue Perle stellte sich vor.
„Sie waren ja in ihrer letzten Stellung
nur zwei Tage," runzelt die Gnädige die
Brauen.
„Ja, die Dame, bei der ich war, war so
furchtbar kurzsichtig."
„Aber das ist doch kein Grund-!"
„O doch, gnädige Frau, das war der
einzige Grund. Am ersten Tag setzte sie
eine Zitrone in das Vogelbauer. Dabei
kam der Kanarienvogel heraus und flog
in der Wohnung herum. Als er am nächsten
Morgen ihr beim Frühstück auf de» Tisch
flog, hat sie ihn in den Tee ausgequetscht.
Da bin ich gegangen."
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Mir ist flau im Magen" "Kleinstadt"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1937
Entstehungsdatum (normiert)
1932 - 1942
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 187.1937, Nr. 4802, S. 100
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg