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Wenn inan gut unterrichtet sei» will, liest man
am besten mehrere Zeitungen.

Ein Zusammentreffen V°» 9«« R°d,ns°n

Der Zug ist schwach besetzt. Allein in einem Abteil sitzt
ein Lerr, von dem Mitreisende, wenn er welche hätte, an-
nehmen würden, daß er wohl in dem schönen Alter so um die
Mitte der Dreißig sei. Im Fall ihres Vorhandenseins würden
solche Mitreisenden ferner vielleicht finden, daß er ein ganz
stattlicher Mann sei, dessen nicht unangenehme Gesichtszüge
auf einigen Verstand und eine muntere Geniütsart
schließen ließen. Sie würden aber wahrscheinlich nicht
meinen, daß dieser Mann sich langweile, da er sie längst
in ein anregendes Gespräch verwickelt haben würde.

Zur Zeit aber, eben weil Mitreisende fehlen, langweilt
er sich tatsächlich; er ist an Unterhaltung in der Eisen-
bahn gewöhnt. Dieser zu seinem Leidwesen augenblick-
lich allein reisende Lerr heißt Lollprägel.

Aber da — der Zug hält, und Lollprägel bekommt
endlich einen Reisegefährten. Dieser Mann mag ein
halb Dutzend Jahre älter sein; er ist nicht so stattlich
und sieht auch nicht munter aus, sondern verbissen und
grämlich. Er hat sehr viel Gepäck mit. Eigentlich hätte
er das meiste aufgeben sollen; er mißbraucht die Liebens-
würdigkeit der Vahnbeamten, es zu übersehen, wenn
ein Reisender ungebührlich viel mehr als den allein
über seinem Sitzplatz ihm zustehenden Raum vom Ge-
päcknetz in Anspruch nimmt. In diesem Fall kommt es
freilich nicht darauf an. Lollprägel hat nur einen kleinen
Koffer, und so können die jetzt hinzukommenden — es sind
fünf ziemlich große gut untergebracht werden. Zwei davon

tragen Schildchen: Julius Stanzer; auf den drei andern steht: Frau Emilie
Stanzer. Als Ziel für alle ist ei» Badeort angegeben.

Lollprägel ist aufgestanden. Erst sieht er auf den Bahnsteig hinaus,
und dann, als die Verfrachtung hinter seinem Rücken beendet ist, dreht er
sich neugierig um. Stanzer fertigt gerade im Gang den Gepäckträger ab,
und so kann Lollprägel noch neugieriger sein und die Schildchen an den
Koffern lesen. Er glaubt daraus feststellcn zu können, daß dies Gepäck einem
Ehepaare gehöre, daß die Dame wohl bereits voraus in das Bad gefahren
sei, daß nun der Gatte Nachkomme, und daß er dabei seiner Frau noch
einige Sachen mitbringen müsse. Diese Feststellung scheint Lollprägel ziem-
lich sicher. Aber er wird ja wohl »och Näheres hören, denn er ist ent-
schlossen, mit dem Reisegefährten eine Unterhaltung zu beginnen, und von
diesem Entschluß würde Lollprägel nur dann abstehen, wenn der andere
taubstumm sein sollte. Aber nein, das ist er nicht, denn er beantwortet den
Abschiedsgruß des Gepäckträgers. Mit einer häßlich knarrenden Stimme
antwortet er.

Stanzer nimmt den andern Fensterplatz, Lollprägel gegenüber, und
dieser sieht ihn sich erst einmal an. Aber aus dem Ansehen wird ein
Schauen, aus dem Schauen ein eindringliches Mustern und hieraus schließlich
ein Erkennen. Lollprägel streckt den rechten Arm vor, als will er Stanzer
auf die Brust tippen, und ruft: „Ah, Sie sind es! Ja, Sie sind es wirklich!

260

Die haarsträubende Geschichte.

Ich habe Ihr Gesicht nicht vergessen. Und der große Leberfleck auf der
rechten Backe macht Sie ja unter Lunderttausenden erkennbar."

Stanzer scheint die Erwähnung des Leberflecks nicht zu gefallen; sein
Gesicht wird noch grämlicher. Er schüttelt den Kopf. „Ich wüßte wirklich
nicht-" knarrt er.

„Ah — auch die Stimme ist es! Die hat mir ja noch immer
in den Ohren geklungen!" Lollprägel scheint erschüttert von diesem
Zusammentreffen; er schließt die Augen, als müsse er nach Fassung

ringen-tatsächlich aber will er nur schnell einige Aeber-

legungen anstellen. Eine davon veranlaßt ihn, ein Paar Reise-
Handschuhe, dünne graue Stoffhandschuhe, herauszuholen und
anzuziehen. Er tut das scheinbar ganz in Gedanken, als wüßte
er gar nicht, was er da mache. Aber er weiß es sehr wohl; er
schaut voraus und nimmt an, daß es gut sein würde, die rechte
Land vor Stanzer verhüllt zu halten. Dabei ruft er: „Aber
sowas! Daß Sie mir tatsächlich noch einmal in den Weg laufen
müssen!"

Stanzer ärgert dieser Ausdruck, der ja auch eher angebracht
ist, wenn Kriminalbeamte, Gerichtsvollzieher und solche Leute
unvermutete Begegnungen haben. „Was heißt: in den Weg
laufen? Ich kenne Sie nicht! Kennen Sie mich denn?"

„Rein. Wer Sie sind, weiß ich nicht. Ihr werter Name ist
mir unbekannt," erklärt Lollprägel, wobei er aber etwas schwindelt,
denn der Name steht ja wohl doch schon mit mehr als fünfzig-
prozentiger Sicherheit für ihn fest. „Aber wir sind einander schon
einmal begegnet. Sie haben mir etwas verkauft."

<Forlsetzu„g auf Seile 263)
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Wenn man gut unterrichtet sein will, liest man am besten mehrere Zeitungen" "Die haarsträubende Geschichte" "Ja, er ist sehr hübsch, aber ich möchte doch erst meine Pelzmütze absetzen"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Frank, Hugo
Bauer, Max
Entstehungsdatum
um 1937
Entstehungsdatum (normiert)
1932 - 1942
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 187.1937, Nr. 4812, S. 260

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CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
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