Ein Llntersuchungsverhör V°n P-t-r R°bins°n
Das war ein Ereignis für die kleine Stadt Biesterhagen: beim
Kaufmann Kuhse — Kolonialwaren, Weine usw. — war eingebrochen
und gestohlen worden. Allerdings — der Einbruch stand nicht ein-
wandfrei fest; darüber konnten Zweifel walten. Kuhses junger Mann,
der sonst allabendlich bei Geschäftsschluß die Ladentür zu verschließen
pflegte, hatte das diesmal nicht getan, weil sein Prinzipal noch in
eben dieser Tür gestanden und sich mit einem Nachbarn unterhalten
hatte. Ob aber Lerr Kuhse, der nach Beendigung dieser etwas aus-
gedehnten Unterhaltung in den Laden zurückgegangen war, dabei
den Schlüssel in der Tür herumgedreht hatte — das wußte er nicht
zu sagen; da er das ja sonst nicht besorgte, hatte er es vielleicht ver-
gessen. War die Tür verschlossen gewesen, dann mußte, da sie keine
Beschädigung aufwies, ein mit der Kunst unrechtmäßiger Behand-
lung von Schlössern vertrautes und bereits entsprechend ausgerüstetes
Subjekt daran gegangen sein. Im andern Fall hatte vielleicht ein
zufällig vorübergekommener, zunächst ganz harmloser Mensch auf die
Klinke gedrückt und dann, als die Tür verlockend aufsprang, seine
Larmlosigkeit verloren, wie das bei Verlockungen manchmal geschieht.
Gestohlen aber war der Betrag von 83 Mark 57 Pfennig, der sich
laut genauer Buchung in der leicht aufzuziehenden, die Ladenkasse
darstellenden Schublade befunden hatte. And außerdem eine große
Flasche mit Kümmelschnaps, die, bereits eingewickelt, neben der Kasse
gestanden hatte; sie war verkauft worden, der Kunde aber, über den
Kaufmann Kuhses junger Mann ein diskretes Stillschweigen wahrte,
hatte sie bei Gelegenheit abholen wollen; wahrscheinlich hatte er
Grund, sie heimlich bei sich zu Lause einzuschmuggeln.
Klar war also: der Einbrecher und Dieb oder nur Dieb hatte
für den ungehörigen Besuch beim Kaufmann Kuhse sich nur wenig
Zeit genommen. Es war mehr ein flüchtiges Gelegenheitsunterneh-
men gewesen, und das war bei der Untersuchung in Betracht zu
ziehen. Diese Untersuchung nun fiel der Octspolizei von Biesterhagen
zu oder eher zur Last, denn sie hatte sonst nur kleinen Verstößen
nachzugehen, wie ungehörigem Lagern von Misthaufen, Unterlassen
der Rinnsteinreinigung usw. Die Ortspolizei wurde dargestellt durch
244
den Stadtpolizisten Prutz als ihren Arm und den Magistrats-
assistenten Kindler als ihren Kopf.
„Lier muß schnell gehandelt werden, Prutz!" sagte der
Magistratsassistent, als der Kaufmann Kuhse die Anzeige —
übrigens mit Rücksicht auf seinen Kredit durchaus gefaßt, ja
gleichmütig — erstattet hatte. „Die Kümmelflasche ist zunächst
die Lauptsache. Sie müssen feststellen, wer in Biesterhagen
diese Nacht oder heute früh besoffen gewesen ist."
„Das werden ja wohl mehr Leute gewesen sein, Lerr Assi-
stent," meinte Prutz. „Die Kümmelflasche war groß, es war
'ne Literflasche-es kommt also darauf an, wer sehr, wer
ganz furchtbar besoffen gewesen ist. Und das werde ich schon
'rauskriegen."
Richtig, der Stadtpolizist Prutz bekam das gleich heraus:
Lühnerschmidt war zur Zeit der unter der Einwohnerschaft von
Biesterhagen am schwersten an akuter alkoholischer Vergiftung
Leidende. Der Mann führte nur den gewöhnlichen Namen
Schmidt; den Anfang einer Reihe kleinerer Eigentumsdelikte
hatte er vor Jahrzehnten mit der Entwendung einiger Lühner
gemacht, und deshalb hatte man ihm zur Unterscheidung von
anderen Schmidts den Namen Lühnerschmidt angehängt, den
er sich aber nur von ihm sympathischen Leuten gefallen ließ.
„Lühnerschmidt is verflucht verdächtig, Lerr Assistent,"
meldete also der Stadtpolizist Prutz. „So einen hat er lange
nicht sitzen gehabt. Ra, und er is doch an Schnaps gewöhnt.
Da wird er wohl die Literflasche erwischt haben. Aber zu finden
is sie nich'. And vom Geld keine Spur! Wie soll man das
'rauskriegen?"
„Ich werde es schon herausbekommen, Prutz," erklärte der
Magistratsassistent Kindler. „Lassen Sie ihn erst ausschlafen,
und dann bringen Sie ihn am Nachmittag her!"-
Der Magistratsassistent Kindler hatte Ehrgeiz, und dies
war die erste Gelegenheit, ihn triumphieren zu lassen und vor Biester-
Hagen als polizeiliches Genie dazustehen. Er hatte unlängst einen
Artikel gelesen über einige Methoden, die von geschickten Unter-
suchungsrichtern und Kriminalisten bei Verhören angewendet werden;
er glaubte, wertvolle Belehrung daraus geschöpft zu haben und
(Fortsetzung Sette 247)
Frühlingseinzug
„-Da kommt ja unsere Mieze, die Langvermißtel! Wo
kann sie nur diese Tage gesteckt haben?? . . ."
Das war ein Ereignis für die kleine Stadt Biesterhagen: beim
Kaufmann Kuhse — Kolonialwaren, Weine usw. — war eingebrochen
und gestohlen worden. Allerdings — der Einbruch stand nicht ein-
wandfrei fest; darüber konnten Zweifel walten. Kuhses junger Mann,
der sonst allabendlich bei Geschäftsschluß die Ladentür zu verschließen
pflegte, hatte das diesmal nicht getan, weil sein Prinzipal noch in
eben dieser Tür gestanden und sich mit einem Nachbarn unterhalten
hatte. Ob aber Lerr Kuhse, der nach Beendigung dieser etwas aus-
gedehnten Unterhaltung in den Laden zurückgegangen war, dabei
den Schlüssel in der Tür herumgedreht hatte — das wußte er nicht
zu sagen; da er das ja sonst nicht besorgte, hatte er es vielleicht ver-
gessen. War die Tür verschlossen gewesen, dann mußte, da sie keine
Beschädigung aufwies, ein mit der Kunst unrechtmäßiger Behand-
lung von Schlössern vertrautes und bereits entsprechend ausgerüstetes
Subjekt daran gegangen sein. Im andern Fall hatte vielleicht ein
zufällig vorübergekommener, zunächst ganz harmloser Mensch auf die
Klinke gedrückt und dann, als die Tür verlockend aufsprang, seine
Larmlosigkeit verloren, wie das bei Verlockungen manchmal geschieht.
Gestohlen aber war der Betrag von 83 Mark 57 Pfennig, der sich
laut genauer Buchung in der leicht aufzuziehenden, die Ladenkasse
darstellenden Schublade befunden hatte. And außerdem eine große
Flasche mit Kümmelschnaps, die, bereits eingewickelt, neben der Kasse
gestanden hatte; sie war verkauft worden, der Kunde aber, über den
Kaufmann Kuhses junger Mann ein diskretes Stillschweigen wahrte,
hatte sie bei Gelegenheit abholen wollen; wahrscheinlich hatte er
Grund, sie heimlich bei sich zu Lause einzuschmuggeln.
Klar war also: der Einbrecher und Dieb oder nur Dieb hatte
für den ungehörigen Besuch beim Kaufmann Kuhse sich nur wenig
Zeit genommen. Es war mehr ein flüchtiges Gelegenheitsunterneh-
men gewesen, und das war bei der Untersuchung in Betracht zu
ziehen. Diese Untersuchung nun fiel der Octspolizei von Biesterhagen
zu oder eher zur Last, denn sie hatte sonst nur kleinen Verstößen
nachzugehen, wie ungehörigem Lagern von Misthaufen, Unterlassen
der Rinnsteinreinigung usw. Die Ortspolizei wurde dargestellt durch
244
den Stadtpolizisten Prutz als ihren Arm und den Magistrats-
assistenten Kindler als ihren Kopf.
„Lier muß schnell gehandelt werden, Prutz!" sagte der
Magistratsassistent, als der Kaufmann Kuhse die Anzeige —
übrigens mit Rücksicht auf seinen Kredit durchaus gefaßt, ja
gleichmütig — erstattet hatte. „Die Kümmelflasche ist zunächst
die Lauptsache. Sie müssen feststellen, wer in Biesterhagen
diese Nacht oder heute früh besoffen gewesen ist."
„Das werden ja wohl mehr Leute gewesen sein, Lerr Assi-
stent," meinte Prutz. „Die Kümmelflasche war groß, es war
'ne Literflasche-es kommt also darauf an, wer sehr, wer
ganz furchtbar besoffen gewesen ist. Und das werde ich schon
'rauskriegen."
Richtig, der Stadtpolizist Prutz bekam das gleich heraus:
Lühnerschmidt war zur Zeit der unter der Einwohnerschaft von
Biesterhagen am schwersten an akuter alkoholischer Vergiftung
Leidende. Der Mann führte nur den gewöhnlichen Namen
Schmidt; den Anfang einer Reihe kleinerer Eigentumsdelikte
hatte er vor Jahrzehnten mit der Entwendung einiger Lühner
gemacht, und deshalb hatte man ihm zur Unterscheidung von
anderen Schmidts den Namen Lühnerschmidt angehängt, den
er sich aber nur von ihm sympathischen Leuten gefallen ließ.
„Lühnerschmidt is verflucht verdächtig, Lerr Assistent,"
meldete also der Stadtpolizist Prutz. „So einen hat er lange
nicht sitzen gehabt. Ra, und er is doch an Schnaps gewöhnt.
Da wird er wohl die Literflasche erwischt haben. Aber zu finden
is sie nich'. And vom Geld keine Spur! Wie soll man das
'rauskriegen?"
„Ich werde es schon herausbekommen, Prutz," erklärte der
Magistratsassistent Kindler. „Lassen Sie ihn erst ausschlafen,
und dann bringen Sie ihn am Nachmittag her!"-
Der Magistratsassistent Kindler hatte Ehrgeiz, und dies
war die erste Gelegenheit, ihn triumphieren zu lassen und vor Biester-
Hagen als polizeiliches Genie dazustehen. Er hatte unlängst einen
Artikel gelesen über einige Methoden, die von geschickten Unter-
suchungsrichtern und Kriminalisten bei Verhören angewendet werden;
er glaubte, wertvolle Belehrung daraus geschöpft zu haben und
(Fortsetzung Sette 247)
Frühlingseinzug
„-Da kommt ja unsere Mieze, die Langvermißtel! Wo
kann sie nur diese Tage gesteckt haben?? . . ."
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Ach bitte, sehen Sie doch mal nach, wieviel ich wiege!" "Frühlingseinzug"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum (normiert)
1937 - 1937
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 188.1938, Nr. 4838, S. 244
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg