Der Herkunftsort
Professor Siebenholz kommt an den Frühstücks-
tisch. Da liegt die Post; der Briefträger hat sie
schon vor einer halben Stunde abgegeben. Frau
Möller, die Laushälterin, hat sie abgenommen
und dabei einen kleinen Betrag ausgelegt, dessen
Rückerstattung sie jetzt erwartet.
Professor Siebenholz ist unzufrieden. „Sie
hätten den Brief zurückgehen lassen sollen, Frau
Möller. Ich habe Ihnen doch gesagt: ich nehme
unfrankierte Briefe aus Prinzip nicht an."
„Aber Lerr Professor — — der Brief ist ja
aus Darmstadt."
276
„Ich habe ihm unsere knitterfreien Kravatten empfohlen,
und da hat dieser Anmensch sich erst mal überzeugen wollen."
Auf den Charakter kommt es an V°n Ralph ürvan
Wer die Wahl hat, hat die Qual. Lerr Beck wusste nicht mehr
ein und aus. Selbst auf die Gefahr hin, für unmoralisch zu gelten,
konnte er keinen Entschluß fassen. Die Anmoral bestand darin, daß
er in zwei Damen gleichzeitig verknallt war. Der Fachmann lächelt
vielleicht, doch Lerr Beck wunderte sich nur, daß es so was über-
haupt gibt. Aber es gab es tatsächlich. Ilse, blond, mollig, lebhaft
und fröhlich, Marga, groß, schlank, brünett und hoheitsvoll. Es
wäre weiter nicht schlimm gewesen, bei gegenseitiger Ankenntnis ihres
Vorhandenseins und räumlicher Trennung von wenigstens einigen
Kilometern. So aber waren die beiden Mädchen dicke Freundinnen
und wohnten außerdem im gleichen Laus. Das heißt, Freundinnen
waren sie nur bis zum Auftauchen des Lerrn Beck gewesen. Von
diesem Zeitpunkt an verwandelten sie sich in zwei Gendarme, von
denen einer aus den andern aufpaßte. Daher kam es, daß die Be-
kanntschaft vom Anfang an eine rein kleeblättrige war. Zuerst fühlte
sich Lerr Beck geschmeichelt, mit zwei hübschen Damen auszugehen,
die sich darin überboten, ihre Vorzüge schillern zu lassen, und die
ihm insofern bis aufs äußerste entgegenkamen, daß sie beide gehei-
ratet werden wollten. Allmählich jedoch wurde ihm schwül, und außer-
dem kam die Geschichte auf die Dauer teuer, zumal er als Kavalier
die gedrittelte Rechnung nicht zulassen konnte. Also zahlte er schwei-
gend, aber es drängte zur Entscheidung. Aber welche? Ilse? Marga?
Es war ein wunderschöner Sonntag, an dem sie zu dritt wieder
einmal einen Ausflug machten. Zu einem Ausflug gehört ein Berg,
oder wenigstens eine Anhöhe und obendrauf ein Restaurant, wo man
Kaffee trinken kann. So auch in diesem Fall. Leicht erhitzt kamen
sie oben an und fanden einen Tisch mit schöner Fernsicht.
„Schön ist es da!" stellte Lerr Beck fest.
„Entzückend, wirklich lieb," zwitscherte die lebhafte Ilse.
„Märchenhaft!" sagte die hoheitsvolle Marga.
Dann griff zuerst Ilse nach der Puderdose, Marga folgte ihrem
Beispiel, wie alle Frauen, wenn sie irgendwohin kommen: erstens
schauen sie sich um, zweitens bestellen sie Kaffee, und drittens ent-
glänzen sie ihre Rase. Was das Wichtigste ist.
„Tschihah —haatschi—" niesle Marga.
„Wohlsein!" sagte Lerr Beck schlicht. (Fortsetzung Seite 279)
Aufforderung
Der Bader von Frötting findet sich sonntags
nicht bloß wegen des Biergenusses im Wirtshaus
ein, sondern auch, weil er bisweilen als Wund-
arzt verlangt wird.
Letzten Sonntag aber verlief der Abend ruhig,
und schon wollte der Bader heimgehen. Da erhob
sich bei den Burschen ein hitziger Wortwechsel,
und der Bader blieb deshalb, der Dinge har-
rend, an der Tür stehen. Doch es blieb beim
Wortgefecht, und dem Bader wurde das
Warten zu dumm. Er rief darum den Bur-
schen zu: „Daß ihr's wißt: wenn ihr schon
raufen wollts, dann raufts gleich — später steh
i nimmer auf."
„Der Lerr Gemahl scheint neuerdings sehr häuslich zu sein,
Frau Lippke; er geht wohl gar nicht mehr abends aus?"
„Allerdings. Wie kommen Sie darauf?"
„Ihr Laar riecht so nach Zigarrenrauch."
Professor Siebenholz kommt an den Frühstücks-
tisch. Da liegt die Post; der Briefträger hat sie
schon vor einer halben Stunde abgegeben. Frau
Möller, die Laushälterin, hat sie abgenommen
und dabei einen kleinen Betrag ausgelegt, dessen
Rückerstattung sie jetzt erwartet.
Professor Siebenholz ist unzufrieden. „Sie
hätten den Brief zurückgehen lassen sollen, Frau
Möller. Ich habe Ihnen doch gesagt: ich nehme
unfrankierte Briefe aus Prinzip nicht an."
„Aber Lerr Professor — — der Brief ist ja
aus Darmstadt."
276
„Ich habe ihm unsere knitterfreien Kravatten empfohlen,
und da hat dieser Anmensch sich erst mal überzeugen wollen."
Auf den Charakter kommt es an V°n Ralph ürvan
Wer die Wahl hat, hat die Qual. Lerr Beck wusste nicht mehr
ein und aus. Selbst auf die Gefahr hin, für unmoralisch zu gelten,
konnte er keinen Entschluß fassen. Die Anmoral bestand darin, daß
er in zwei Damen gleichzeitig verknallt war. Der Fachmann lächelt
vielleicht, doch Lerr Beck wunderte sich nur, daß es so was über-
haupt gibt. Aber es gab es tatsächlich. Ilse, blond, mollig, lebhaft
und fröhlich, Marga, groß, schlank, brünett und hoheitsvoll. Es
wäre weiter nicht schlimm gewesen, bei gegenseitiger Ankenntnis ihres
Vorhandenseins und räumlicher Trennung von wenigstens einigen
Kilometern. So aber waren die beiden Mädchen dicke Freundinnen
und wohnten außerdem im gleichen Laus. Das heißt, Freundinnen
waren sie nur bis zum Auftauchen des Lerrn Beck gewesen. Von
diesem Zeitpunkt an verwandelten sie sich in zwei Gendarme, von
denen einer aus den andern aufpaßte. Daher kam es, daß die Be-
kanntschaft vom Anfang an eine rein kleeblättrige war. Zuerst fühlte
sich Lerr Beck geschmeichelt, mit zwei hübschen Damen auszugehen,
die sich darin überboten, ihre Vorzüge schillern zu lassen, und die
ihm insofern bis aufs äußerste entgegenkamen, daß sie beide gehei-
ratet werden wollten. Allmählich jedoch wurde ihm schwül, und außer-
dem kam die Geschichte auf die Dauer teuer, zumal er als Kavalier
die gedrittelte Rechnung nicht zulassen konnte. Also zahlte er schwei-
gend, aber es drängte zur Entscheidung. Aber welche? Ilse? Marga?
Es war ein wunderschöner Sonntag, an dem sie zu dritt wieder
einmal einen Ausflug machten. Zu einem Ausflug gehört ein Berg,
oder wenigstens eine Anhöhe und obendrauf ein Restaurant, wo man
Kaffee trinken kann. So auch in diesem Fall. Leicht erhitzt kamen
sie oben an und fanden einen Tisch mit schöner Fernsicht.
„Schön ist es da!" stellte Lerr Beck fest.
„Entzückend, wirklich lieb," zwitscherte die lebhafte Ilse.
„Märchenhaft!" sagte die hoheitsvolle Marga.
Dann griff zuerst Ilse nach der Puderdose, Marga folgte ihrem
Beispiel, wie alle Frauen, wenn sie irgendwohin kommen: erstens
schauen sie sich um, zweitens bestellen sie Kaffee, und drittens ent-
glänzen sie ihre Rase. Was das Wichtigste ist.
„Tschihah —haatschi—" niesle Marga.
„Wohlsein!" sagte Lerr Beck schlicht. (Fortsetzung Seite 279)
Aufforderung
Der Bader von Frötting findet sich sonntags
nicht bloß wegen des Biergenusses im Wirtshaus
ein, sondern auch, weil er bisweilen als Wund-
arzt verlangt wird.
Letzten Sonntag aber verlief der Abend ruhig,
und schon wollte der Bader heimgehen. Da erhob
sich bei den Burschen ein hitziger Wortwechsel,
und der Bader blieb deshalb, der Dinge har-
rend, an der Tür stehen. Doch es blieb beim
Wortgefecht, und dem Bader wurde das
Warten zu dumm. Er rief darum den Bur-
schen zu: „Daß ihr's wißt: wenn ihr schon
raufen wollts, dann raufts gleich — später steh
i nimmer auf."
„Der Lerr Gemahl scheint neuerdings sehr häuslich zu sein,
Frau Lippke; er geht wohl gar nicht mehr abends aus?"
„Allerdings. Wie kommen Sie darauf?"
„Ihr Laar riecht so nach Zigarrenrauch."
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Der Herr Gemahl scheint neuerdings sehr häuslich zu sein, ..." "Ich habe ihm unsere knitterfreien Kravatten empfohlen, ..."
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1938
Entstehungsdatum (normiert)
1933 - 1943
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 188.1938, Nr. 4840, S. 276
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg