Die blinde Hand
Von Leopold Falley
Tante Lelene schickte immer, wenn Be-
such kam, dem mit Geistigkeit zu dienen
war, hinauf zur Anhöhe, wo die Gärten
waren, zum Dichter Lerbert Dürrbäck, der
sich dort in einem glyzinienumhangenen
Lolzhäuschen vor dem Ruhm und der An-
sterblichkeit versteckt hielt, und lud ihn, wo-
für der stets Lungrige dann Geist zu geben
hatte, zum Tee.
Einmal durfte der Dichter sogar an
einem festlichen Abendessen teilnehmen, das
verwöhnten großstädtischen Gästen zu Ehren
gegeben wurde. Die Festlichkeit des Essens
fand ihren gipfelnden Ausdruck darin, daß
neben jedem mit Weinlaub umkränzten
Gedeck in zierlicher Vase ein kleines Feld-
blumensträußchen leuchtete und mitte» auf
dem runden Tische neben einer Flasche
schillernden Meersburger Weines eine
große Altmeißener Schüssel prangte, die
fast bis zum Rande mit köstlich garnierter
Götterspeise gefüllt war.
Man tafelte und hörte in angeregter
Runde den launigen Monolog des Dich-
ters an, den dieser, von Tante Lelenens
zwingendem Blick angefeuert, sprach. Aus
der Weinflasche war schon einmal für den
ersten höflichen Zutrunk jedem ein halbes
Glas voll ausgeschenkt worden. Da geschah
es, daß plötzlich das Licht, das elektrische,
erlosch. Vielleicht hatte der Sturmwind,
der draußen zu hören war, die Leitung
zerstört. Tante Lelene sprach in die Fin-
sternis hinein Worte der Entschuldigung,
rückte ihren Stuhl und tappte in die Küche,
um Kerzen zu holen. Es war so dunkel,
daß die Frauen verlegen lachten.
And der Dichter schwieg. Zn der Blitz-
sekunde des Verlöschens hatte das Licht
vor seinen Augen den schillernden Wein
in der Flasche aufleuchten lassen, als ob
ihm in die Dunkelheit hinein bedeutet
werden sollte, wo der Trunk, von dem er
sich Zeit seines reiferen Lebens schöpferi-
schen Trost versprach, für den Zugriff be-
reit stand. Da griff er denn auch, dem
Winke des wohlmeinenden Zufalles fol-
gend, ins Ungefähre der vollbesetzten Tafel,
stieß mit den tastenden Fingern sogleich
auf die Flasche, nahm sie, zog den silber-
knaufigen Korken ab und tat einen Zug, wahrlich, einen Zug, als
gälte es, den Durst von Jahren zu löschen. Dann stellte er die
Trostbereiterin sacht und behutsam wieder auf den Tisch zurück.
Kurz darauf erschien Tante Lelene in wehendem Kerzenlicht,
und auch das elektiische Licht flammte wieder auf. Sogleich fühlte
jeder Anwesende seinen Blick auf den Tisch gezogen. Die Lunger-
wangen des Dichters aber färbten sich grau. Seine hängende Lippe
zitterte und sein Auge starrte töricht. Er hatte die Weinflasche —
o, blinde Land! — mitten in die köstlich garnierte Götterspeise
gestellt.
Je nun! Was blieb zu tun? Tante Lelenens kleine Augen glitzer-
ten gefährlich über der errötenden Nasenspitze. Da erhob er sich
eben, der Dichter, wehmütigen Blickes, und sagte im Davonschreiten:
„Wie soll ein Mensch da glauben lernen und in Frömmigkeit sich
flnden, wenn der Zufall so schäbig ist. Verzeihen Sie mir!"
„Merken Sie hier viel vom Fremdenverkehr?"
„And ob — gestern abend war sogar unser
Stammtisch nicht frei."
And dann ging er gebeugten Lauptes durch die Tür.
Leicht erklärt
„Sie glauben gar nicht, welch ein reges
Interesse meine Frau an meinem Beruf
nimmt!"
„So, was sind Sie denn?"
„Modezeichner!"
Die Wissende
Mucke kam spät heim. Mucke entschul-
digte sich: „Ja, wir haben nämlich über
neue Erfindungen gesprochen . . ."
„Aha," sagte seine Frau, „und was für
eine neue Ausrede hast du erfunden?"
„Sagen Sie mal, Lerr Ober, was ist
denn das für eine Wirtschaft in Ihrem
Lotel? An meinen Fenstern sind nicht ein-
mal Vorhänge! Da kann man von außen
hineinsehen."
„Ausgeschlossen, mein Lerr! Wir haben
ja die Scheiben nicht geputzt."
Vergeßlichkeit
Max geht in den Keller. „Am endlich
einmal gründlich aufzuräumen," sagt er.
Aeberraschend schnell aber erscheint er
wieder aus der Bildfläche: „Ich habe noch
etwas vergessen . . . ."
Sagt seine Frau: „Ich weiß, den Kork-
zieher!"
Lleberraschung
„Die Ahr war ja recht billig, die Sie
mir vor drei Wochen verkauft haben, aber
sie geht bald vor, bald nach!"
„Donnerwetter, geht die noch immer?"
„Ä^ährend wir heute im Fluß badeten,
entlud sich plötzlich ein Gewitter!" — „Wie
unangenehm! Seid ihr naß geworden?"
Dr. med. Robisch hat einen vierzehn-
jährigen Jungen. Natürlich raucht der
Bengel-wer weiß, wie lange schon!
Dr. Robisch erwischt seinen Sohn mit
einer brennenden Zigarette. Er macht kei-
nen Krach, er spricht milde: „Das schadet
dir, mein Junge! Darum verbiete ich dir, zu rauchen."
Der Bengel zuckt die Achseln. „Aber Vater-ich bin dock
kein Patient."
Verlust
Neulich hat Bock kein Geld bei sich gehabt, und da hat ihm Zapf
mit einem Fünfzigmarkschein ausgeholfen. Warum auch nicht? Bock
ist ein ordentlicher Mann.
Aber heute kommt Zapf mit einem sehr verdrossenen Gesicht auf
Bock zu. „Ihnen werd' ich noch mal Geld geben!" knurrte er.
„Aber bester Lerr Zapf! Ich habe doch grade gestern die 50 Mark
durch Postanweisung an Sie geschickt; Sie müssen sie heute früh
bekommen haben."
„Nee, ich Hab' sie nicht gekriegt! Sie hätten sie mir persönlich
geben sollen. Der Geldbriefträger hat sie an meine Frau ausgezahlt."
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Von Leopold Falley
Tante Lelene schickte immer, wenn Be-
such kam, dem mit Geistigkeit zu dienen
war, hinauf zur Anhöhe, wo die Gärten
waren, zum Dichter Lerbert Dürrbäck, der
sich dort in einem glyzinienumhangenen
Lolzhäuschen vor dem Ruhm und der An-
sterblichkeit versteckt hielt, und lud ihn, wo-
für der stets Lungrige dann Geist zu geben
hatte, zum Tee.
Einmal durfte der Dichter sogar an
einem festlichen Abendessen teilnehmen, das
verwöhnten großstädtischen Gästen zu Ehren
gegeben wurde. Die Festlichkeit des Essens
fand ihren gipfelnden Ausdruck darin, daß
neben jedem mit Weinlaub umkränzten
Gedeck in zierlicher Vase ein kleines Feld-
blumensträußchen leuchtete und mitte» auf
dem runden Tische neben einer Flasche
schillernden Meersburger Weines eine
große Altmeißener Schüssel prangte, die
fast bis zum Rande mit köstlich garnierter
Götterspeise gefüllt war.
Man tafelte und hörte in angeregter
Runde den launigen Monolog des Dich-
ters an, den dieser, von Tante Lelenens
zwingendem Blick angefeuert, sprach. Aus
der Weinflasche war schon einmal für den
ersten höflichen Zutrunk jedem ein halbes
Glas voll ausgeschenkt worden. Da geschah
es, daß plötzlich das Licht, das elektrische,
erlosch. Vielleicht hatte der Sturmwind,
der draußen zu hören war, die Leitung
zerstört. Tante Lelene sprach in die Fin-
sternis hinein Worte der Entschuldigung,
rückte ihren Stuhl und tappte in die Küche,
um Kerzen zu holen. Es war so dunkel,
daß die Frauen verlegen lachten.
And der Dichter schwieg. Zn der Blitz-
sekunde des Verlöschens hatte das Licht
vor seinen Augen den schillernden Wein
in der Flasche aufleuchten lassen, als ob
ihm in die Dunkelheit hinein bedeutet
werden sollte, wo der Trunk, von dem er
sich Zeit seines reiferen Lebens schöpferi-
schen Trost versprach, für den Zugriff be-
reit stand. Da griff er denn auch, dem
Winke des wohlmeinenden Zufalles fol-
gend, ins Ungefähre der vollbesetzten Tafel,
stieß mit den tastenden Fingern sogleich
auf die Flasche, nahm sie, zog den silber-
knaufigen Korken ab und tat einen Zug, wahrlich, einen Zug, als
gälte es, den Durst von Jahren zu löschen. Dann stellte er die
Trostbereiterin sacht und behutsam wieder auf den Tisch zurück.
Kurz darauf erschien Tante Lelene in wehendem Kerzenlicht,
und auch das elektiische Licht flammte wieder auf. Sogleich fühlte
jeder Anwesende seinen Blick auf den Tisch gezogen. Die Lunger-
wangen des Dichters aber färbten sich grau. Seine hängende Lippe
zitterte und sein Auge starrte töricht. Er hatte die Weinflasche —
o, blinde Land! — mitten in die köstlich garnierte Götterspeise
gestellt.
Je nun! Was blieb zu tun? Tante Lelenens kleine Augen glitzer-
ten gefährlich über der errötenden Nasenspitze. Da erhob er sich
eben, der Dichter, wehmütigen Blickes, und sagte im Davonschreiten:
„Wie soll ein Mensch da glauben lernen und in Frömmigkeit sich
flnden, wenn der Zufall so schäbig ist. Verzeihen Sie mir!"
„Merken Sie hier viel vom Fremdenverkehr?"
„And ob — gestern abend war sogar unser
Stammtisch nicht frei."
And dann ging er gebeugten Lauptes durch die Tür.
Leicht erklärt
„Sie glauben gar nicht, welch ein reges
Interesse meine Frau an meinem Beruf
nimmt!"
„So, was sind Sie denn?"
„Modezeichner!"
Die Wissende
Mucke kam spät heim. Mucke entschul-
digte sich: „Ja, wir haben nämlich über
neue Erfindungen gesprochen . . ."
„Aha," sagte seine Frau, „und was für
eine neue Ausrede hast du erfunden?"
„Sagen Sie mal, Lerr Ober, was ist
denn das für eine Wirtschaft in Ihrem
Lotel? An meinen Fenstern sind nicht ein-
mal Vorhänge! Da kann man von außen
hineinsehen."
„Ausgeschlossen, mein Lerr! Wir haben
ja die Scheiben nicht geputzt."
Vergeßlichkeit
Max geht in den Keller. „Am endlich
einmal gründlich aufzuräumen," sagt er.
Aeberraschend schnell aber erscheint er
wieder aus der Bildfläche: „Ich habe noch
etwas vergessen . . . ."
Sagt seine Frau: „Ich weiß, den Kork-
zieher!"
Lleberraschung
„Die Ahr war ja recht billig, die Sie
mir vor drei Wochen verkauft haben, aber
sie geht bald vor, bald nach!"
„Donnerwetter, geht die noch immer?"
„Ä^ährend wir heute im Fluß badeten,
entlud sich plötzlich ein Gewitter!" — „Wie
unangenehm! Seid ihr naß geworden?"
Dr. med. Robisch hat einen vierzehn-
jährigen Jungen. Natürlich raucht der
Bengel-wer weiß, wie lange schon!
Dr. Robisch erwischt seinen Sohn mit
einer brennenden Zigarette. Er macht kei-
nen Krach, er spricht milde: „Das schadet
dir, mein Junge! Darum verbiete ich dir, zu rauchen."
Der Bengel zuckt die Achseln. „Aber Vater-ich bin dock
kein Patient."
Verlust
Neulich hat Bock kein Geld bei sich gehabt, und da hat ihm Zapf
mit einem Fünfzigmarkschein ausgeholfen. Warum auch nicht? Bock
ist ein ordentlicher Mann.
Aber heute kommt Zapf mit einem sehr verdrossenen Gesicht auf
Bock zu. „Ihnen werd' ich noch mal Geld geben!" knurrte er.
„Aber bester Lerr Zapf! Ich habe doch grade gestern die 50 Mark
durch Postanweisung an Sie geschickt; Sie müssen sie heute früh
bekommen haben."
„Nee, ich Hab' sie nicht gekriegt! Sie hätten sie mir persönlich
geben sollen. Der Geldbriefträger hat sie an meine Frau ausgezahlt."
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Merken Sie hier viel vom Fremdenverkehr?"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1938
Entstehungsdatum (normiert)
1933 - 1943
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 189.1938, Nr. 4867, S. 292
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg