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Ein Wiedersehen Von Pe«er

Ich sitze auf einer Bank im Stadtpark. Rechts neben
mir hat sich ein junges Mädel niedergelassen und betreut
einen drolligen Knirps von etwa fünf Jahren. Der Junge
ist Besitzer einer kleinen „Maus", wie man sie für etliche
Pfennige erstehen kann. Er dreht an diesem Grautierchen
mit einem Schlüssclchen eine Feder auf und setzt es neben
sich auf die Bank, worauf die Maus einen kleinen Lopser
tut und lostrippelt. Geradewegs auf das kleine Fräulein
zu. das. halb gemacht, halb wirklich erschreckt, mit einem
niedlichen Schrei aufspringt und von der scheinbaren Ge-
fahr einen gemessenen Abstand einnimmt. Nun will der
Knabe wissen, weshalb das Fräulein sich erschreckt habe.

Aber die Kleine bedeutet ihm, sichtlich verlegen, er möge
nicht so naseweis fragen, sondern mit seinem Mäuschen
nebenan im Sandkasten spielen. Der Junge schmollt ein
wenig, aber er gehorcht und trollt sich davon. And dann
zieht das Fräulein ein Buch aus der Landtasche und
schmökert.

Gleich darauf kommt mit kurzen Schritten ein altes
Männchen daher. Reichlich verwittert und klapperig, wie
wir alle um die Achtzig herum das einmal sein würden.

Aeberdies ist es offenbar kurzsichtig, und es vergehen ein
paar Augenblicke, bis es festgestellt hat, daß zu meiner
Linken noch ein Platz frei ist.

Der Nachbar kommt mir irgendwie bekannt vor, nur weiß ich
nicht gleich, in welcher Lirnschublade ich die Erinnerung an ihn ver-
staut habe. Aber ich brauche nicht lange nachzustöbern, da Hab ich's:
das ist doch dein früherer Lateinlehrer, der Professor Lasenbrink.

Der entnimmt nun seiner Rocktasche einen abgegriffenen Text,
blättert ein wenig in den vergilbten und mit Randbemerkungen über-
streuten Seiten und beginnt leise murmelnd zu lesen. Fast empfinde
ich es als beglückendes Wunder: seine Lektüre ist der gute alte Loraz,
de» wir vor so und so viel Jahren zusammen gelesen haben. And
was Lasenbrink vor sich hinflüstert, ist die liebliche Lobpreisung

Pädagogisches Geschenk „Vor allen Dingen gehört noch ein Wasch-
tisch in die Puppenstube hinein-Len-

chen will sich nieordentlich waschen lassen."

„Lina, wie oft muß ich Ihnen sagen, daß
ich Männerbesuche einfach nicht dulde!"

ländlichen Lebens: „Beatus ille qui procul negotiis.

Seltsam: wie das einen jetzt packt und aufwühlt. Trotz der komL
sckcn Art, in der der Professor die Verse, mit zittriger Greisenhand
auf und »iederwippend, skandiert.

Das Fräulein nebenan streift Lasenbrink mit einem flüchtigen
Blick und lächelt leise. Ich möchte ihr das beinahe verweisen, aber
da fällt mir ein, daß ich selbst ein Sünder bin und meinem
alten Lehrer etwas abzubitten hätte.

Freilich: damals stand Lasenbrink in den besten Jahren, und wir
waren noch keine gesetzten Primaner, denen man den Loraz aus-
einandergelegt, sondern windige Tertianer, und zu alle» Streichen
imstande. And wir konnten weder dafür, daß es unter den Fuß-
böden unseres in einem ehemaligen alten Kloster untergebrachten
Gymnasiums Mäusenester gab, noch war es unsere Schuld, daß
Lasenbrink vor den harmlosen Tierchen eine uns unverständliche
Angst hatte. Wer verdenkt es uns daher, daß gelegentlich, >ven»
während der Latcinstunde so ein niedliches Mäuschen mit großen
schwarzen Perlaugen aus einem Loch zwischen Fußboden und
Wandleiste sich hervorwagte, plötzlich die ganze Klasse in de»
heuchlerischen Schreckensschrei „Eine Maus, eine Maus!" ausbrach.
Die Wirkung unseres Alarms war nämlich allemal von einer
erschütternden Komik. Denn sobald wir losschrien, verließ Lasen-
brink mit einer beinahe unwahrscheinliche» Schnelligkeit das Ka-
theder und flüchtete in unsere Bänke. Bis wir ihm schließlich hoch
und heilig versicherten, daß die Gefahr endgültig vorbei sei.

Eines Tages stürzte gar, als wir wieder einmal wegen einer
Maus einen Löllenspektakel angestellt hatten, der Direktor ins
Klassenzimmer und erkundigte sich streng, was los sei. And da
erhielt Lasenbrink in aller Oeffentlichkeit einen Verweis wegen
seines „lächerlichen Mäusekomplexes". Zu unserer Ehre sei fest-
gestellt, daß dieser böse Rüffel, der unserem Lehrer augenscheinlich
sehr nahe ging, uns Taugenichtsen das Gewissen weckte. Eigent-
lich mochten wir Lasenbrink nämlich recht gut leiden. So nahmen
wir uns denn vor, ihn fortan nie wieder um eine Maus in Ver-
legenheit zu bringen. — Ach, wie lang ist das nun schon alles her!

Ich überlege eben, ob ich Lasenbrink, wenn er den Loraz zu-
klappen werde, nicht anreden soll. Aber da geschieht etwas Aner-
wartetes. Plötzlich kommt der kleine Knirps, der ein Weilchen
im Sandkasten nebenan gespielt hat, auf uns zugeschlichen, setzt
Lasenbrink sein Spielzeug, dessen Feder er vorher aufgedreht hat,
auf die Knie, und schreit schelmisch erschreckt: „Ne Maus, Onkel!
Ne Maus!"

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Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Pädagogisches Geschenk" "Lina, wie oft muß ich Ihnen sagen, daß ich Männerbesuche einfach nicht dulde!"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Claus, Martin
Entstehungsdatum
um 1938
Entstehungsdatum (normiert)
1933 - 1943
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift
Einbrecher

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 189.1938, Nr. 4870, S. 343

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CC0 1.0 Public Domain Dedication
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