Der Mann, von dem Vera träumte
Von Lellmuth Lange
„Ich kenne das Mädel ja erst seit zwei Wochen, Rolf, aber mir
ist so, als hatte ich immer an sie gedacht."
„Also Liebe auf den ersten Blick, Ferdi?"
Ferdinand nickte stumm und schlug vor Verlegenheit einen
Salto mit seinem Stock, der einem vortibereilenden Passanten bei-
nahe den Lut vom Kopf gefegt hätte.
„Liebt sie dich denn auch, oder ist die Leidenschaft einseitig?"
„Das weiß ich nicht."
„Das weißt du nicht?"
„Rein. Ich habe ja noch nicht mit ihr gesprochen."
„Du hast noch nicht mit ihr gesprochen?"
„Nein. Ich habe sie bisher nur gesehen."
„Du hast sie nur gesehen? Ist sie denn hübsch?"
Beglücktschlug Ferdinand
seine Augenlider auf. „Lübsch
ist sie ... sehr hübsch sogar,"
seine Lider klappten wieder
nach unten. „Wenigstens so-
weit man das auf die Ent-
fernung sehen kann."
„Da hast sie nur von
weitem gesehen?"
„Nur durch die Schau-
fensterscheibe. Jeden Tag vier-
mal. Des Morgens, wenn ich
ins Geschäft eilte, des Mit-
tags, wenn ich zum Effen
ging, am Nachmittag, wenn
ich wieder ins Geschäft mußte,
und abends auf den» Nach-
hauseweg . . ."
„Nun sage mir endlich:
>ver ist diese geheimnisvolle
Schöne?"
„Sei »nir nicht böse, Rolf,
aber sie ist »nir zu teuer, um
über sie mit irgendjemandem
zu reden ... Meinst du, daß
man ihr Blumen schicken
könnte?"
„Warum nicht," sagte
Rolf verschnupft. „Bluinen
erfreuen eine Frau immer."
„Du meinst, ich könne es
auch bei ihr ruhig mit einem
Strauß »vagen?"
„Bestimnit! Weiß sie
denn »venigstens, von >vc»n
die Bluinen konimen?"
„Ich glaube ja. sie hat
mich doch immer angelächelk, »venu ich vorbeikam."
Am nächste» Tag, nach Feierabend, ging Ferdinand traurig neben
seinem Freunde Ro!f.
„Na," fragte Rolf, „hat die Sache niit de», Blumen geklappt?"
Ferdi tat eine» Seufzer »vie eine ausgemachte Selterflasche.
„Es ist ans, Rolf," hauchte er. „Aus, bevor es begonnen hat. Sie
hat mir die Blumen übelgenoinmen."
„Aebelgenominen? ... Ja, warum denn nur? Last du ihr gleich
glutrote Rosen geschickt?"
Ferdi schlackerte stumin mit den Ohren. „Lier lies!" sagte er
und drückte seinen» Freunde einen Brief i» die Land.
Rolf blieb an einer Straßenlaterne stehen, faltete den Brief
auseinander »md las: „Mein lieber Lerr von jenseits der Schau-
fensterscheibe! Ich habe mich immer gefreut, »venn Sie so bescheiden
und fröhlich an unserem Geschäft vorübergingen. Manchinal — ich
»will es Ihnen gestehen — habe ich sogar gedacht: »venn er doch nur
mal in unseren Laden käme. Es müßte nett sein, die Stimme zu
hören, die zu diese»» freundlichen Gesicht gehört. Sie hätten ein
Sträußchen kaufen können, und »venn Sie, »vas ich jetzt als getviß
annehme, niemanden haben für diese» Strauß, dann hätten Sie ihn
ruhig mir schenken können. Seien Sie gewiß, ich hätte »»ich sehr
dal'über gefreut. Daß Sie es aber fertig bringen, in eine» anderen
Blumenladen zu gehen, um eine» Strauß für »»ich zu kaufen, be-
»veist »nir. Eie sind nicht der Mann, der die Gelegenheiten beim
Schopfe zu nehmen »veiß, wie ich das immer von »»einem . . . »a,
lassen wir das. Wer Amwege dort sucht, »vo der gerade Weg direkt
vor seiner Nase liegt, der kann iin Leben nicht »veit kornmen. Aber
dieses könnte ich Ihnen schließlich »och verzeihen. Daß Sie aber auf
die grandiose Idee gckomincn sind, zu Müller & Antucht zu gehe»,
»vo die Chrysanthemen 80 Pfennig das Stück kosten, statt 65 Pfennige
»vie bei uns und in vielen anderen Geschäften, das zeigt inir, daß
Ihnen auch die notwendigen
kailfinännischen Gaben fehle»,
die nun mal notwendig sind,
»venn .. . Ich empfehle mich
Ihnen voller Enttäuschung.
Vera Litterbach. N. B. Es
»väre freundlich von Ihnen,
»venn Sie cs so einrichten
könnte»», daß Ihr Weg Sie
in Zukunft nicht inehr an un-
serein Geschäft vorbeiführt."
„Traurig," sagte Rolf und
faltete den Brief zusammen.
„Aber das hätte ich dir vor-
her sagen können, »venn du
mir den Namen deiner An-
gebeteten verrate» hättest.
Die ist in der Wahl ihres
Zukünftigen sehr vorsichtig.
Das »veiß hier i» der Gegend
fast jeder . . ."
„Sie ist ein herzloses
Frauenzimmer."
„Gestern »varst du noch
»vesentlich anderer Meinung.
Im Vertrauen gesagt: Ich
habe »nich auch eininal für
sie interessiert . . ."
„Du?"
„Linmhinm! Aber ich habe
es mit »nir selbst abgemacht.
Ich »vußte keinen Weg, »vie
ich mich ihr hätte nähern
können."
„Das »var vernünftig von
dir. Wen» es »nir schon so
gegangen ist, Rolf. . . Ach
ja, es ist nicht so einfach, eine Frau zu durchschauen."
„Trage es mit Fassung, Ferdi. An» beste», du gehst heute abend
in ein Kino, uni dich zu zerstreuen. Suche dir aber ein Stück ohne
Lappy-end aus. Je trauriger um so besser. Das geht dir nicht io
an die Nerven." Er klopfte sich mit dem Zeigefinger gegen die
Schläfe, »vas bei ihn» den Gruß ersetzte. „Also, wachs gut, und herz-
liches Beileid. Mich mußt du jetzt entschuldigen, ich habe noch zu tun."
„Was kosten denn die Chrysantheine»?" fragte Rolf die kleine,
zierliche Vera Litterbach.
„Fünfundsechzig Pfennige das Stück."
„Ei sieh mal da, fünfzehn Pfennige billiger, als ich sie vorhin
in einem anderen Geschäft sah . . ."
„O, so genau kennen Sie die Preise? Sind Sie ein so aufinerk-
sainer Beobachter, oder verschenken Sie soviel Blumen?"
Vf
„Aber Junge, wenn man einen Apfel geschenkt
kriegt, muß man doch »vas sage». Also?"
„Det Ding is »nächtig sauer!"
859
Von Lellmuth Lange
„Ich kenne das Mädel ja erst seit zwei Wochen, Rolf, aber mir
ist so, als hatte ich immer an sie gedacht."
„Also Liebe auf den ersten Blick, Ferdi?"
Ferdinand nickte stumm und schlug vor Verlegenheit einen
Salto mit seinem Stock, der einem vortibereilenden Passanten bei-
nahe den Lut vom Kopf gefegt hätte.
„Liebt sie dich denn auch, oder ist die Leidenschaft einseitig?"
„Das weiß ich nicht."
„Das weißt du nicht?"
„Rein. Ich habe ja noch nicht mit ihr gesprochen."
„Du hast noch nicht mit ihr gesprochen?"
„Nein. Ich habe sie bisher nur gesehen."
„Du hast sie nur gesehen? Ist sie denn hübsch?"
Beglücktschlug Ferdinand
seine Augenlider auf. „Lübsch
ist sie ... sehr hübsch sogar,"
seine Lider klappten wieder
nach unten. „Wenigstens so-
weit man das auf die Ent-
fernung sehen kann."
„Da hast sie nur von
weitem gesehen?"
„Nur durch die Schau-
fensterscheibe. Jeden Tag vier-
mal. Des Morgens, wenn ich
ins Geschäft eilte, des Mit-
tags, wenn ich zum Effen
ging, am Nachmittag, wenn
ich wieder ins Geschäft mußte,
und abends auf den» Nach-
hauseweg . . ."
„Nun sage mir endlich:
>ver ist diese geheimnisvolle
Schöne?"
„Sei »nir nicht böse, Rolf,
aber sie ist »nir zu teuer, um
über sie mit irgendjemandem
zu reden ... Meinst du, daß
man ihr Blumen schicken
könnte?"
„Warum nicht," sagte
Rolf verschnupft. „Bluinen
erfreuen eine Frau immer."
„Du meinst, ich könne es
auch bei ihr ruhig mit einem
Strauß »vagen?"
„Bestimnit! Weiß sie
denn »venigstens, von >vc»n
die Bluinen konimen?"
„Ich glaube ja. sie hat
mich doch immer angelächelk, »venu ich vorbeikam."
Am nächste» Tag, nach Feierabend, ging Ferdinand traurig neben
seinem Freunde Ro!f.
„Na," fragte Rolf, „hat die Sache niit de», Blumen geklappt?"
Ferdi tat eine» Seufzer »vie eine ausgemachte Selterflasche.
„Es ist ans, Rolf," hauchte er. „Aus, bevor es begonnen hat. Sie
hat mir die Blumen übelgenoinmen."
„Aebelgenominen? ... Ja, warum denn nur? Last du ihr gleich
glutrote Rosen geschickt?"
Ferdi schlackerte stumin mit den Ohren. „Lier lies!" sagte er
und drückte seinen» Freunde einen Brief i» die Land.
Rolf blieb an einer Straßenlaterne stehen, faltete den Brief
auseinander »md las: „Mein lieber Lerr von jenseits der Schau-
fensterscheibe! Ich habe mich immer gefreut, »venn Sie so bescheiden
und fröhlich an unserem Geschäft vorübergingen. Manchinal — ich
»will es Ihnen gestehen — habe ich sogar gedacht: »venn er doch nur
mal in unseren Laden käme. Es müßte nett sein, die Stimme zu
hören, die zu diese»» freundlichen Gesicht gehört. Sie hätten ein
Sträußchen kaufen können, und »venn Sie, »vas ich jetzt als getviß
annehme, niemanden haben für diese» Strauß, dann hätten Sie ihn
ruhig mir schenken können. Seien Sie gewiß, ich hätte »»ich sehr
dal'über gefreut. Daß Sie es aber fertig bringen, in eine» anderen
Blumenladen zu gehen, um eine» Strauß für »»ich zu kaufen, be-
»veist »nir. Eie sind nicht der Mann, der die Gelegenheiten beim
Schopfe zu nehmen »veiß, wie ich das immer von »»einem . . . »a,
lassen wir das. Wer Amwege dort sucht, »vo der gerade Weg direkt
vor seiner Nase liegt, der kann iin Leben nicht »veit kornmen. Aber
dieses könnte ich Ihnen schließlich »och verzeihen. Daß Sie aber auf
die grandiose Idee gckomincn sind, zu Müller & Antucht zu gehe»,
»vo die Chrysanthemen 80 Pfennig das Stück kosten, statt 65 Pfennige
»vie bei uns und in vielen anderen Geschäften, das zeigt inir, daß
Ihnen auch die notwendigen
kailfinännischen Gaben fehle»,
die nun mal notwendig sind,
»venn .. . Ich empfehle mich
Ihnen voller Enttäuschung.
Vera Litterbach. N. B. Es
»väre freundlich von Ihnen,
»venn Sie cs so einrichten
könnte»», daß Ihr Weg Sie
in Zukunft nicht inehr an un-
serein Geschäft vorbeiführt."
„Traurig," sagte Rolf und
faltete den Brief zusammen.
„Aber das hätte ich dir vor-
her sagen können, »venn du
mir den Namen deiner An-
gebeteten verrate» hättest.
Die ist in der Wahl ihres
Zukünftigen sehr vorsichtig.
Das »veiß hier i» der Gegend
fast jeder . . ."
„Sie ist ein herzloses
Frauenzimmer."
„Gestern »varst du noch
»vesentlich anderer Meinung.
Im Vertrauen gesagt: Ich
habe »nich auch eininal für
sie interessiert . . ."
„Du?"
„Linmhinm! Aber ich habe
es mit »nir selbst abgemacht.
Ich »vußte keinen Weg, »vie
ich mich ihr hätte nähern
können."
„Das »var vernünftig von
dir. Wen» es »nir schon so
gegangen ist, Rolf. . . Ach
ja, es ist nicht so einfach, eine Frau zu durchschauen."
„Trage es mit Fassung, Ferdi. An» beste», du gehst heute abend
in ein Kino, uni dich zu zerstreuen. Suche dir aber ein Stück ohne
Lappy-end aus. Je trauriger um so besser. Das geht dir nicht io
an die Nerven." Er klopfte sich mit dem Zeigefinger gegen die
Schläfe, »vas bei ihn» den Gruß ersetzte. „Also, wachs gut, und herz-
liches Beileid. Mich mußt du jetzt entschuldigen, ich habe noch zu tun."
„Was kosten denn die Chrysantheine»?" fragte Rolf die kleine,
zierliche Vera Litterbach.
„Fünfundsechzig Pfennige das Stück."
„Ei sieh mal da, fünfzehn Pfennige billiger, als ich sie vorhin
in einem anderen Geschäft sah . . ."
„O, so genau kennen Sie die Preise? Sind Sie ein so aufinerk-
sainer Beobachter, oder verschenken Sie soviel Blumen?"
Vf
„Aber Junge, wenn man einen Apfel geschenkt
kriegt, muß man doch »vas sage». Also?"
„Det Ding is »nächtig sauer!"
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Aber Junge, wenn man einen Apfel geschenkt kriegt, ..."
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1938
Entstehungsdatum (normiert)
1933 - 1943
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 189.1938, Nr. 4871, S. 359
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg