Guten Abend, Karl!
„Also denn,Ia', aber wenn dabei irgendetwas
Anangenehmes . . ."
„Es gibt nichts Unangenehmes, sondern nur
Angenehmes. Mit dem Angenehmen geht es gleich
los. Lier hast du drei Mark/ er drückte mir drei
Markstücke in die Land, „das ist dein Anteil an
dem Geschäft. Wenn du alles erledigt hast, kannst
du dir dafür ein gutes Abendessen leisten. Nur
keine Widerrede, sondern ab . . ."
Den ersten Besuch hatte ich bei Lerrn Gene-
ralkonsul Niemeier zu machen. Mir pupperte doch
das Lerz, als ich die mit dicken roten Läufern
belegten Treppen hinaufkraxelte. Mir war sehr
heiss, denn ich hatte Angst, außerdem wohnte der
Niemeier im vierten Stock, und mein Smoking
war mir in der letzten Zeit etwas eng geworden.
Es war ein sehr vornehmer Laushalt. Ein
freundliches und — wie ich trotz meiner Aufre-
gung bemerkte — sehr hübsches Mädchen machte
mir auf und begrüßte mich mit einem Knix. Das
fand ich sehr nett. Damen sind im allgemeinen
nicht so devot zu mir. Bevor ich meinen Mund
aufmachen konnte, lispelte sie: „Der Lerr Gene-
ralkonsul erwartet Sie bereits. Er hat schon un-
geduldig zweimal nach Ihnen gefragt."
Plötzlich ging die Tür des einen Zimmers auf,
und ein dicker, freundlicher Lerr, der ebenfalls
in einem Smoking steckte, packte mich und schleifte
mich ins Zimmer. „Na endlich, da bist du ja,
guten Abend, Karl," begrüßte er mich und schüt-
telte mir herzlich die Land. Dann trat er zur
Seite und gab mir die Aussicht auf eine würde-
volle Dame frei. „Gestatte, meine Frau. And das
ist Karl, von dem ich dir so viel erzählt habe," sagte
er und tänzelte lustig zur Tür zurück. „Last du einen Wagen unten?"
Ich schüttelte stumm den Kopf, denn die Ereignisse waren über
mich zusammengeschlagen wie Wellen und hatten mich in ihren
Strudeln ertränkt. Aber er ließ mir auch keine Zeit zur Antwort.
„Dann geh doch, bitte, vor und versuche, eine Taxe zu bekommen.
3ch habe nur noch ein eiliges Telephongespräch."
Ich machte eine hölzerne Verbeugung zur Gnädigen und taumelte
aus dem Zimmer. Es dauette gut und gerne zehn Minuten, bis
ich mich wieder in der Gewalt hatte und einem zweiten Abenteuer
gewachsen war.
Bei dem Versandgeschäfts-Inhaber Prierow war es nicht ganz
fo luxuriös, aber doch recht gediegen.
Lier ging alles sehr schnell. Lerr Prierow machte mir selbst
auf, sagte: „Du kommst aber spät, Karl," drückte seiner giftig blicken-
den Gattin einen Kuß auf die Stirn und kam mit mir die Treppe
runter. Er zog sich während des Linabsteigens seine Landschuhe
an, mich würdigte er weder eines Blickes noch eines Wortes. Nur
als er vor dem Laus nach links abbog — mein Weg führte mich
"ach rechts — brummte er: „Ihr Chef hätte auch einen geschickteren
^Nann senden können, n'Abend." Er war wohl zu sehr Kaufmann,
um das Menschliche in meiner Mission schätzen zu können.
Mein dritter Besuch galt dem Schauspieler Boesecke. Lier hatte
wan anscheinend noch länger auf mich gewartet, denn Frau Boesecke
riß selbst die Korridortür auf, kaum, daß ich geschellt hatte. Es war
kin richtiges Künstlerheim, in das ich hineinschneite. Lorbeerkränze
und gerahmte Bilder an den Wänden des Flurs, wohin man nur sah.
„Sie wünschen?" fragte die Frau und sah dabei aus, als ob sie
urir mit Röntgenaugen bis auf den Grund der Seele sähe.
Aber ich war nun durch meine Erfahrungen gewitzt. Ich lächelte
verbindlich und tauchte meinen Blick mutig in ihre stahlharten Augen.
»Gnädige Frau, ich bin doch Karl."
„Du gibst wohl dein ganzes Geld für Garderobe aus!"
„Nee, ich bezahle auch nur 20 Pfennig wie du."
„Wer sind Sie?" Sie drehte sich empört um und rief mit der Stimme
eines Regimentskommandeurs: „Otto, Otto, komm doch mal her!"
Otto entpuppte sich auf den ersten Blick als ein ausgezeichneter
Kenner des Weinwesens, wenn man von dem Aussehen seiner Nase
charakterkundliche Schlüsse ziehen darf.
„Kennst du diesen Lerrn?" fragte die Dame und deutete mit
ihrem Daumen auf mich, einem Daumen, der weltgeschichtliches
Format hatte. Nero muß einen solchen Daumen gehabt haben.
Die Wirkung auf den Gatten war entsprechend. Ein schüchterner
Blick traf mich. „Tja," sagte er, und ich klappte bei diesem Wort
innerlich zusammen. Tja ist immer das Eingeständnis einer Nieder-
lage. „Ich weiß ... ich glaube ..." und dann, nachdem er sich
einen geistigen Ruck gegeben hatte, „doch Mathilde, den kenne ich . . .
natürlich ... wo hatte ich meine Augen, das ist doch mein alter
Freund..." kleine Stolperpause, in der der Name unlerging,
„. . . lange nicht gesehen. Wo kommst du denn her? Leg doch ab,
oder mußt du gleich wieder weg, dann begleite ich dich natürlich, so
schnell lasse ich dich nicht wieder los . ." Er schüttelte an meinem
rechten Arm, als hätte er einen Pumpenschwengel in der Land.
Ich sagte es schon: er war von Beruf Schauspieler. Aber ent-
weder war er ein sehr miserabler Komödiant, oder seine Frau war
mit einem außerordentlichen Scharfblick begabt. Sie runzelte empört
die Stirn und sprach in einem Ton, der einen Laufen Steine in die
Flucht gejagt hätte: „Soso, du kennst ihn also?"
„Gnädige Frau, Sie müssen doch . . ." versuchte ich zu vermit-
teln, aber ich kam über diese wenigen Worte nicht hinaus.
„Sie schweigen," herrschte sie mich an. And dann zu ihrem Man«
gewandt: „Ist das etwa dein Freund Karl?"
„Karl?" sagte Boesecke und schlug die Augen empört auf. „Keine
Spur, das ist doch nicht Karl. Na weißt hu, wenn du dich nicht mehr
an Karl erinnern kannst ..."
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„Also denn,Ia', aber wenn dabei irgendetwas
Anangenehmes . . ."
„Es gibt nichts Unangenehmes, sondern nur
Angenehmes. Mit dem Angenehmen geht es gleich
los. Lier hast du drei Mark/ er drückte mir drei
Markstücke in die Land, „das ist dein Anteil an
dem Geschäft. Wenn du alles erledigt hast, kannst
du dir dafür ein gutes Abendessen leisten. Nur
keine Widerrede, sondern ab . . ."
Den ersten Besuch hatte ich bei Lerrn Gene-
ralkonsul Niemeier zu machen. Mir pupperte doch
das Lerz, als ich die mit dicken roten Läufern
belegten Treppen hinaufkraxelte. Mir war sehr
heiss, denn ich hatte Angst, außerdem wohnte der
Niemeier im vierten Stock, und mein Smoking
war mir in der letzten Zeit etwas eng geworden.
Es war ein sehr vornehmer Laushalt. Ein
freundliches und — wie ich trotz meiner Aufre-
gung bemerkte — sehr hübsches Mädchen machte
mir auf und begrüßte mich mit einem Knix. Das
fand ich sehr nett. Damen sind im allgemeinen
nicht so devot zu mir. Bevor ich meinen Mund
aufmachen konnte, lispelte sie: „Der Lerr Gene-
ralkonsul erwartet Sie bereits. Er hat schon un-
geduldig zweimal nach Ihnen gefragt."
Plötzlich ging die Tür des einen Zimmers auf,
und ein dicker, freundlicher Lerr, der ebenfalls
in einem Smoking steckte, packte mich und schleifte
mich ins Zimmer. „Na endlich, da bist du ja,
guten Abend, Karl," begrüßte er mich und schüt-
telte mir herzlich die Land. Dann trat er zur
Seite und gab mir die Aussicht auf eine würde-
volle Dame frei. „Gestatte, meine Frau. And das
ist Karl, von dem ich dir so viel erzählt habe," sagte
er und tänzelte lustig zur Tür zurück. „Last du einen Wagen unten?"
Ich schüttelte stumm den Kopf, denn die Ereignisse waren über
mich zusammengeschlagen wie Wellen und hatten mich in ihren
Strudeln ertränkt. Aber er ließ mir auch keine Zeit zur Antwort.
„Dann geh doch, bitte, vor und versuche, eine Taxe zu bekommen.
3ch habe nur noch ein eiliges Telephongespräch."
Ich machte eine hölzerne Verbeugung zur Gnädigen und taumelte
aus dem Zimmer. Es dauette gut und gerne zehn Minuten, bis
ich mich wieder in der Gewalt hatte und einem zweiten Abenteuer
gewachsen war.
Bei dem Versandgeschäfts-Inhaber Prierow war es nicht ganz
fo luxuriös, aber doch recht gediegen.
Lier ging alles sehr schnell. Lerr Prierow machte mir selbst
auf, sagte: „Du kommst aber spät, Karl," drückte seiner giftig blicken-
den Gattin einen Kuß auf die Stirn und kam mit mir die Treppe
runter. Er zog sich während des Linabsteigens seine Landschuhe
an, mich würdigte er weder eines Blickes noch eines Wortes. Nur
als er vor dem Laus nach links abbog — mein Weg führte mich
"ach rechts — brummte er: „Ihr Chef hätte auch einen geschickteren
^Nann senden können, n'Abend." Er war wohl zu sehr Kaufmann,
um das Menschliche in meiner Mission schätzen zu können.
Mein dritter Besuch galt dem Schauspieler Boesecke. Lier hatte
wan anscheinend noch länger auf mich gewartet, denn Frau Boesecke
riß selbst die Korridortür auf, kaum, daß ich geschellt hatte. Es war
kin richtiges Künstlerheim, in das ich hineinschneite. Lorbeerkränze
und gerahmte Bilder an den Wänden des Flurs, wohin man nur sah.
„Sie wünschen?" fragte die Frau und sah dabei aus, als ob sie
urir mit Röntgenaugen bis auf den Grund der Seele sähe.
Aber ich war nun durch meine Erfahrungen gewitzt. Ich lächelte
verbindlich und tauchte meinen Blick mutig in ihre stahlharten Augen.
»Gnädige Frau, ich bin doch Karl."
„Du gibst wohl dein ganzes Geld für Garderobe aus!"
„Nee, ich bezahle auch nur 20 Pfennig wie du."
„Wer sind Sie?" Sie drehte sich empört um und rief mit der Stimme
eines Regimentskommandeurs: „Otto, Otto, komm doch mal her!"
Otto entpuppte sich auf den ersten Blick als ein ausgezeichneter
Kenner des Weinwesens, wenn man von dem Aussehen seiner Nase
charakterkundliche Schlüsse ziehen darf.
„Kennst du diesen Lerrn?" fragte die Dame und deutete mit
ihrem Daumen auf mich, einem Daumen, der weltgeschichtliches
Format hatte. Nero muß einen solchen Daumen gehabt haben.
Die Wirkung auf den Gatten war entsprechend. Ein schüchterner
Blick traf mich. „Tja," sagte er, und ich klappte bei diesem Wort
innerlich zusammen. Tja ist immer das Eingeständnis einer Nieder-
lage. „Ich weiß ... ich glaube ..." und dann, nachdem er sich
einen geistigen Ruck gegeben hatte, „doch Mathilde, den kenne ich . . .
natürlich ... wo hatte ich meine Augen, das ist doch mein alter
Freund..." kleine Stolperpause, in der der Name unlerging,
„. . . lange nicht gesehen. Wo kommst du denn her? Leg doch ab,
oder mußt du gleich wieder weg, dann begleite ich dich natürlich, so
schnell lasse ich dich nicht wieder los . ." Er schüttelte an meinem
rechten Arm, als hätte er einen Pumpenschwengel in der Land.
Ich sagte es schon: er war von Beruf Schauspieler. Aber ent-
weder war er ein sehr miserabler Komödiant, oder seine Frau war
mit einem außerordentlichen Scharfblick begabt. Sie runzelte empört
die Stirn und sprach in einem Ton, der einen Laufen Steine in die
Flucht gejagt hätte: „Soso, du kennst ihn also?"
„Gnädige Frau, Sie müssen doch . . ." versuchte ich zu vermit-
teln, aber ich kam über diese wenigen Worte nicht hinaus.
„Sie schweigen," herrschte sie mich an. And dann zu ihrem Man«
gewandt: „Ist das etwa dein Freund Karl?"
„Karl?" sagte Boesecke und schlug die Augen empört auf. „Keine
Spur, das ist doch nicht Karl. Na weißt hu, wenn du dich nicht mehr
an Karl erinnern kannst ..."
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Du gibst wohl dein ganzes Geld für Garderobe aus!"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1939
Entstehungsdatum (normiert)
1934 - 1944
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 190.1939, Nr. 4878, S. 55
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg