„Last du schon viele Skalpe erbeutet, großer Läuptling?"
„Genau so viele, wie du Koranverse auswendig weißt, edler Beduinenscheich/
ÄNÜÜers gegen Schulzes Von Werner GranvUle Schmidt
Zebedäus Müller war ein großer Tierfreund, und besonders
große Stücke hielt er auf die kleinen gefiederten Sänger, die seinen
Siedlergarten bevölkerten. Bis tief in den Frühling hinein deckte
er auf dem Fenstersims seinen Lieblingen den Tisch, und wenn die
Meisen und Finken ihm gar auf die Land flogen, um sich ihr Futter
zu holen, kannte seine Freude keine Grenzen.
Sein Nachbar, Aribert Schulze, war auch ein richtiger Tiernarr;
nur erstreckten sich seine Gefühle einzig und allein auf seinen pech-
schwarzen Kater „Mohrle."
Man könnte beinahe sagen, Müllers und Schulzes lebten fried-
lich nebeneinander wie die Turteltauben. Ab-
wechselnd kamen sie an schönen Tagen in ihren
Lauben zusammen. Die Frauen verrichteten
eine Landarbeit oder putzten Gemüse, und
was dergleichen nützliche Beschäftigungen mehr
sind; die Männer aber redeten von ihrem Tag-
werk oder der hohen Politik und rauchten ihre
Pfeifen dazu. Brach einmal eine Gesprächs-
pause aus, dann lauschte Zebedäus Müller
versunken dem Gesänge der Vögel; Aribert
Schulze aber kraulte gedankenvoll das seidig-
glänzende Fell seines „Mohrle". So lebten
sie unbeschwert und heiter dahin, bis die Taube
„Lili" dem Idyll ein jähes Ende bereitete.
Frau Müller schenkte nämlich ihrem Mann
zu seinem fünfzigsten Geburtstag eine schnee-
weiße Taube, die sie „Lili" nannten.
Zebedäus Müller hatte eine große Freude
an der Taube, die bald so zahm war, daß
sie zierlich im Lofplatz hinter dem Lause um-
hertrippelte und dort Körner suchte.
Gegensätze ziehen sich bekanntlich an.
So ist es wohl zu verstehen, daß sich der
tiefschwarze Kater „Mohrle" verdächtig für
die schneeweiße Taube „Lili" interessierte.
Stundenlang konnte er unbeweglich im
Nebenhof hinter dem Drahtzaun liegen und
die Taube mit grünlich-schillernden Augen
mustern. — Ob aus platonischer Liebe, steht
auf einem andern Blatt.
68
Lerr Müller jedenfalls bezweifelte es, und
er äußerte seine Bedenken so laut, daß auch
Lerr Schulze sie vernehmen mußte, worüber
Lerr Schulze, der sich viel auf die Wohler-
zogenheit seines „Mohrle" einbildcte, natur-
gemäß verschnupft war. Erste Sturmzeichen
machten sich auf diese Weise zwischen den ge-
treuen Nachbarn bemerkbar.
Eines Morgens stürmte Zebedäus Müller
mit allen Anzeichen höchster Erregung zu seiner
Frau in die Küche: „Frau, ich vergesse mich!
— Ich gehe ihm zu Kleide! — Ich erwürge
seinen Malefizkater mit eigenen Länden!"
Frau Müller ließ vor Schreck fast einen
Teller fallen.
„Aber Mann, was ist dir denn?"
„Komm!" forderte er nur dumpf und ging
ihr voraus in den Los.
„Sieh her! — Was ist das?"
Ja, das war nicht einmal schwer zu raten,
denn Federn kennt schließlich jedes Kind.
Also da lagen, auf dem Lose verstreut, eine
Anzahl flaumige, schneeweiße Federn.
„Lili!" schrie jetzt auch Frau Müller ent-
setzt und empört auf. „Der „Mohrle", dieses
Rabenvieh, hat sie gerupft und gefressen! —
Von heute ab grüßen wir diese Schulzes nicht
mehr! Die Lerzlosen wußten doch, wie du an „Lili" hängst."
Diese Kampfansage wurde mit solchem Stimmenaufwand hinaus-
geschmettert, daß Frau Schulze, die gerade am offenen Schlafstuben-
fenster stand und ihre Betten lüftete, es nicht überhören konnte.
Ja, sie hörte sogar, wie Lerr Müller wutentbrannt drohte: „Dieser
elende Kater soll mir nur unter die Finger kommen! — Der hat
fünf Minuten lang nichts zu lachen!"
Amsonst lockte Frau Müller tränenden Auges: „Pi-Pi-Pi-Pi-Pi!"
Keine „Lili" folgte mehr dem zärtlichen Werben, was ihr, wenn
sie in „Mohrles" Magen ruhte, auch wohl unmöglich war.
Eine Stunde später wollte Frau Schulze ihrem „Mohrle" die
obligate Schüssel mit Frühstücksmilch reichen;
aber soviel sie auch „Mi—mi—mi—mi!" träl-
lerte, kein „Mohrle" ließ sich sehen.
Eingedenk der nachbarlichen Drohungen
hatte sie düstere Ahnungen.
Noch etwas später klingelte es. Ein junger
Mann stand an der Tür, hielt ihr ein in weißes
Papier gehülltes längliches Etwas hin und
sagte: „Ich soll das hier abgeben!"
Damit wandte er sich, bestieg sein Fahrrad
und strampelte davon.
Kopfschüttelnd ging Frau Schulze mit dem
Paket in die Küche, und erwartungsvoll lüftete
sie die Umhüllung.
Da brach ein Schreckensschrei aus ihrem
Mund, und kraftlos ließ sie sich auf den
Küchenhocker sinken.
Wild stürmte sie, nachdem sie sich etwas
gesammelt hatte, zu dem Zimmer ihres Mannes
hinauf: „Aribert — o Schmach und Schande!
— Müllers haben sich furchtbar gerächt! —
Sie haben „Mohrle" getötet und ihm das Fell
abgezogen und um ihre niedrige Racke, ganz
auszukosten, schicken sie uns seinen Leichnam.
— Wie kann man nur so gemütsroh sein? —
Leute noch verklagst du diese Müllers!"
Erschüttert blickte Aribert Schulze auf den
köpf- und fellosen Kadaver.
Gab es denn überhaupt solch abgrundtiefe
Gemeinheit?
Mauerblümchen
„Genau so viele, wie du Koranverse auswendig weißt, edler Beduinenscheich/
ÄNÜÜers gegen Schulzes Von Werner GranvUle Schmidt
Zebedäus Müller war ein großer Tierfreund, und besonders
große Stücke hielt er auf die kleinen gefiederten Sänger, die seinen
Siedlergarten bevölkerten. Bis tief in den Frühling hinein deckte
er auf dem Fenstersims seinen Lieblingen den Tisch, und wenn die
Meisen und Finken ihm gar auf die Land flogen, um sich ihr Futter
zu holen, kannte seine Freude keine Grenzen.
Sein Nachbar, Aribert Schulze, war auch ein richtiger Tiernarr;
nur erstreckten sich seine Gefühle einzig und allein auf seinen pech-
schwarzen Kater „Mohrle."
Man könnte beinahe sagen, Müllers und Schulzes lebten fried-
lich nebeneinander wie die Turteltauben. Ab-
wechselnd kamen sie an schönen Tagen in ihren
Lauben zusammen. Die Frauen verrichteten
eine Landarbeit oder putzten Gemüse, und
was dergleichen nützliche Beschäftigungen mehr
sind; die Männer aber redeten von ihrem Tag-
werk oder der hohen Politik und rauchten ihre
Pfeifen dazu. Brach einmal eine Gesprächs-
pause aus, dann lauschte Zebedäus Müller
versunken dem Gesänge der Vögel; Aribert
Schulze aber kraulte gedankenvoll das seidig-
glänzende Fell seines „Mohrle". So lebten
sie unbeschwert und heiter dahin, bis die Taube
„Lili" dem Idyll ein jähes Ende bereitete.
Frau Müller schenkte nämlich ihrem Mann
zu seinem fünfzigsten Geburtstag eine schnee-
weiße Taube, die sie „Lili" nannten.
Zebedäus Müller hatte eine große Freude
an der Taube, die bald so zahm war, daß
sie zierlich im Lofplatz hinter dem Lause um-
hertrippelte und dort Körner suchte.
Gegensätze ziehen sich bekanntlich an.
So ist es wohl zu verstehen, daß sich der
tiefschwarze Kater „Mohrle" verdächtig für
die schneeweiße Taube „Lili" interessierte.
Stundenlang konnte er unbeweglich im
Nebenhof hinter dem Drahtzaun liegen und
die Taube mit grünlich-schillernden Augen
mustern. — Ob aus platonischer Liebe, steht
auf einem andern Blatt.
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Lerr Müller jedenfalls bezweifelte es, und
er äußerte seine Bedenken so laut, daß auch
Lerr Schulze sie vernehmen mußte, worüber
Lerr Schulze, der sich viel auf die Wohler-
zogenheit seines „Mohrle" einbildcte, natur-
gemäß verschnupft war. Erste Sturmzeichen
machten sich auf diese Weise zwischen den ge-
treuen Nachbarn bemerkbar.
Eines Morgens stürmte Zebedäus Müller
mit allen Anzeichen höchster Erregung zu seiner
Frau in die Küche: „Frau, ich vergesse mich!
— Ich gehe ihm zu Kleide! — Ich erwürge
seinen Malefizkater mit eigenen Länden!"
Frau Müller ließ vor Schreck fast einen
Teller fallen.
„Aber Mann, was ist dir denn?"
„Komm!" forderte er nur dumpf und ging
ihr voraus in den Los.
„Sieh her! — Was ist das?"
Ja, das war nicht einmal schwer zu raten,
denn Federn kennt schließlich jedes Kind.
Also da lagen, auf dem Lose verstreut, eine
Anzahl flaumige, schneeweiße Federn.
„Lili!" schrie jetzt auch Frau Müller ent-
setzt und empört auf. „Der „Mohrle", dieses
Rabenvieh, hat sie gerupft und gefressen! —
Von heute ab grüßen wir diese Schulzes nicht
mehr! Die Lerzlosen wußten doch, wie du an „Lili" hängst."
Diese Kampfansage wurde mit solchem Stimmenaufwand hinaus-
geschmettert, daß Frau Schulze, die gerade am offenen Schlafstuben-
fenster stand und ihre Betten lüftete, es nicht überhören konnte.
Ja, sie hörte sogar, wie Lerr Müller wutentbrannt drohte: „Dieser
elende Kater soll mir nur unter die Finger kommen! — Der hat
fünf Minuten lang nichts zu lachen!"
Amsonst lockte Frau Müller tränenden Auges: „Pi-Pi-Pi-Pi-Pi!"
Keine „Lili" folgte mehr dem zärtlichen Werben, was ihr, wenn
sie in „Mohrles" Magen ruhte, auch wohl unmöglich war.
Eine Stunde später wollte Frau Schulze ihrem „Mohrle" die
obligate Schüssel mit Frühstücksmilch reichen;
aber soviel sie auch „Mi—mi—mi—mi!" träl-
lerte, kein „Mohrle" ließ sich sehen.
Eingedenk der nachbarlichen Drohungen
hatte sie düstere Ahnungen.
Noch etwas später klingelte es. Ein junger
Mann stand an der Tür, hielt ihr ein in weißes
Papier gehülltes längliches Etwas hin und
sagte: „Ich soll das hier abgeben!"
Damit wandte er sich, bestieg sein Fahrrad
und strampelte davon.
Kopfschüttelnd ging Frau Schulze mit dem
Paket in die Küche, und erwartungsvoll lüftete
sie die Umhüllung.
Da brach ein Schreckensschrei aus ihrem
Mund, und kraftlos ließ sie sich auf den
Küchenhocker sinken.
Wild stürmte sie, nachdem sie sich etwas
gesammelt hatte, zu dem Zimmer ihres Mannes
hinauf: „Aribert — o Schmach und Schande!
— Müllers haben sich furchtbar gerächt! —
Sie haben „Mohrle" getötet und ihm das Fell
abgezogen und um ihre niedrige Racke, ganz
auszukosten, schicken sie uns seinen Leichnam.
— Wie kann man nur so gemütsroh sein? —
Leute noch verklagst du diese Müllers!"
Erschüttert blickte Aribert Schulze auf den
köpf- und fellosen Kadaver.
Gab es denn überhaupt solch abgrundtiefe
Gemeinheit?
Mauerblümchen
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Hast du schon viele Skalpe erbeutet, großer Häuptling?" "Mauerblümchen"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1939
Entstehungsdatum (normiert)
1934 - 1944
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 190.1939, Nr. 4879, S. 68
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg