In Eile
„Ein Skandal ist das, Emil! Der erste, der hier betrunken ist, bist du!"
„Deine Schuld, Karoline! Du hast gesagt: Wir wollen aber früh nach Lause."
Die Flöte Von Io Kanns Rösicr
Wer eine Blockflöte besitzt, geht flöten.
Warum sollte er auch nicht? Oder stellt man
je ein Klavier ungespielt als Wandschmuck in
die Zimmer und hängt eine Laute lautlos
auf? Was aber Sebastian mit seiner Soloba-
rockblockflöte trieb, war wahrlich übertrieben.
Von frühster Morgenstunde bis spät in den
Schlaf der Nachbarn hinein blies er. Da war
kein Lied vor ihm sicher. Mit gleicher Leftig-
keit flötete er den weichen Walzer „Links he-
rum" und den straffen Marsch „Augen rechts",
ja auch die Triosonaten alter Mensur um 1700
flössen ihm genau so aus dem Aeberblas-
loch wie die Bachkantaten und Ländelsonaten.
And wanderte Sebastian sonntags ins Grüne,
begleitete ihn die Barockblockflöte und ein
Fläschlein Flötenöl und ein Döslein Zapfen-
fett. Dann saß er am Wiesenrand und flötete
sich die Gegend menschenleer. So verliebt war
Sebastian in seine Barockblockflöte und seine
Kunst, sie zu blase».
Eines Tages klopfte es an Sebastians
Tür. — Ein fremder Lerr stand draußen.
„Ich habe Ihnen etwas mitgebracht."
„Mir?" — „Ein Schallplattenaufnahme-
gerät." — „Was soll ich damit?"
Der Vertreter wickelte eine Art Grammo-
phon aus.
„Das kann für Sie eine tönende Erinne-
rung werden, mein Lerr," begann er, „Sie
können sich alle akustischen Genüsse ins Ohr
zurückrufen I Welch reiche Möglichkeiten bieten
sich Ihnen da? Welch unschätzbare Werte
können Sie sich so für wenig Geld sichern, um
sich selbst oder gar späteren Generationen
immer wieder Freude zu machen? Was Sie
singen, was Sie pfeifen, was Sie sprechen —
alles hält die Schallplatte naturgetreu fest.
Wollen wir eine Aufnahme machen?"
„Ja," sagte Sebastian.
Er war begeistert.
Sebastian holte seine Flöte aus dem Futte-
ral. Leise blies er in den Luftkanal.
„Fertig?" — „Ja." — „Los!"
Die Platte lief. Sebastian flötete.
Sebastian flötete lange und laut.
Dann setzte er die Flöte ab.
„Ich bin zu Ende." — „Bravo! Bravo!"
„Ich danke Ihnen."
„Wollen Sie jetzt die Platte hören?"
„Ich bitte darum."
Der Vertreter legte die Platte auf.
Im Raum ertönte Sebastians Flötensolo.
„Genau als ob Sie im Zimmer bliesen!"
lobte der Fremde.
„So klingt das?"
„Genau so. Täuschend ähnlich."
„Anheimlich! Das hätte ich nie geglaubt!"
sagte Sebastian.
„Was, da staunen Sie?"
„Ja, da staune ich."
„Darf ich also dem Lerrn den Apparat
verkaufen?"
„Rein. Aber ich werde Ihnen etwas ver-
kaufen." — „Was?"
Sebastian sagte demütig: „Die Flöte."
Eine gefährliche Frau
Die drei Freunde hatten einander
jahrelang nicht gesehen, und nun saßen sie
beisammen und plauderten von vergangenen
Zeiten und tauschten Erfahrungen aus.
„Wie ich meine Frau kennen gelernt
habe?" meinte Clemens. „Wir fuhren in
demselben Abteil nach Berlin. Sie halte
ihre Fahrkarte verloren und war bezau-
bernd in ihrer Ratlosigkeit. Ich half ihr
suchen, und wir fanden die Karte zwischen
zwei Butterbroten. Es war die Liebe auf
den ersten Blick."
„Ich saß neben meiner Frau im Kino,"
erzählte Valentin. „Sie schluchzte so herz-
zerreißend, daß ich ihr mein Taschentuch
leihen mußte. Acht Tage später waren wir
verlobt."
„Die erste Begegnung mit meiner Frau
verlief allerdings ganz anders," berichtete
Karl. „Ich stand ruhig da, rauchte eine
Zigarette und dachte an nichts Besonderes.
Da kam sie von rückwärts, schlug mir mit
einem Stock den Lut vom Kopf und ver-
setzte mir einen so heftigen Stoß, daß ich
auf die Rase fiel. Dann warf sie sich auf
mich und preßte mich nieder, daß ich bei-
nahe erstickte."
„Das muß ja eine ganz gefährliche
Frau sein!" riefen die Freunde erschrocken
aus.
„Es ist nicht ganz so schlimm," entgeg-
nete Karl lächelnd. „Das arme Kind stand
eben zum erstenmal aus Skiern."
Stilblüte
„Bis aus den letzten Mann verteidigte
sich die mutige Schar, und dieser war so-
gar eine Frau!"
Eindeckung
„Wie kann man so fressen, Mensch?
Mit dem, was du bei diesem Festessen
vertilgst, komme ich drei Tage aus!"
„Ich auch!"
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„Ein Skandal ist das, Emil! Der erste, der hier betrunken ist, bist du!"
„Deine Schuld, Karoline! Du hast gesagt: Wir wollen aber früh nach Lause."
Die Flöte Von Io Kanns Rösicr
Wer eine Blockflöte besitzt, geht flöten.
Warum sollte er auch nicht? Oder stellt man
je ein Klavier ungespielt als Wandschmuck in
die Zimmer und hängt eine Laute lautlos
auf? Was aber Sebastian mit seiner Soloba-
rockblockflöte trieb, war wahrlich übertrieben.
Von frühster Morgenstunde bis spät in den
Schlaf der Nachbarn hinein blies er. Da war
kein Lied vor ihm sicher. Mit gleicher Leftig-
keit flötete er den weichen Walzer „Links he-
rum" und den straffen Marsch „Augen rechts",
ja auch die Triosonaten alter Mensur um 1700
flössen ihm genau so aus dem Aeberblas-
loch wie die Bachkantaten und Ländelsonaten.
And wanderte Sebastian sonntags ins Grüne,
begleitete ihn die Barockblockflöte und ein
Fläschlein Flötenöl und ein Döslein Zapfen-
fett. Dann saß er am Wiesenrand und flötete
sich die Gegend menschenleer. So verliebt war
Sebastian in seine Barockblockflöte und seine
Kunst, sie zu blase».
Eines Tages klopfte es an Sebastians
Tür. — Ein fremder Lerr stand draußen.
„Ich habe Ihnen etwas mitgebracht."
„Mir?" — „Ein Schallplattenaufnahme-
gerät." — „Was soll ich damit?"
Der Vertreter wickelte eine Art Grammo-
phon aus.
„Das kann für Sie eine tönende Erinne-
rung werden, mein Lerr," begann er, „Sie
können sich alle akustischen Genüsse ins Ohr
zurückrufen I Welch reiche Möglichkeiten bieten
sich Ihnen da? Welch unschätzbare Werte
können Sie sich so für wenig Geld sichern, um
sich selbst oder gar späteren Generationen
immer wieder Freude zu machen? Was Sie
singen, was Sie pfeifen, was Sie sprechen —
alles hält die Schallplatte naturgetreu fest.
Wollen wir eine Aufnahme machen?"
„Ja," sagte Sebastian.
Er war begeistert.
Sebastian holte seine Flöte aus dem Futte-
ral. Leise blies er in den Luftkanal.
„Fertig?" — „Ja." — „Los!"
Die Platte lief. Sebastian flötete.
Sebastian flötete lange und laut.
Dann setzte er die Flöte ab.
„Ich bin zu Ende." — „Bravo! Bravo!"
„Ich danke Ihnen."
„Wollen Sie jetzt die Platte hören?"
„Ich bitte darum."
Der Vertreter legte die Platte auf.
Im Raum ertönte Sebastians Flötensolo.
„Genau als ob Sie im Zimmer bliesen!"
lobte der Fremde.
„So klingt das?"
„Genau so. Täuschend ähnlich."
„Anheimlich! Das hätte ich nie geglaubt!"
sagte Sebastian.
„Was, da staunen Sie?"
„Ja, da staune ich."
„Darf ich also dem Lerrn den Apparat
verkaufen?"
„Rein. Aber ich werde Ihnen etwas ver-
kaufen." — „Was?"
Sebastian sagte demütig: „Die Flöte."
Eine gefährliche Frau
Die drei Freunde hatten einander
jahrelang nicht gesehen, und nun saßen sie
beisammen und plauderten von vergangenen
Zeiten und tauschten Erfahrungen aus.
„Wie ich meine Frau kennen gelernt
habe?" meinte Clemens. „Wir fuhren in
demselben Abteil nach Berlin. Sie halte
ihre Fahrkarte verloren und war bezau-
bernd in ihrer Ratlosigkeit. Ich half ihr
suchen, und wir fanden die Karte zwischen
zwei Butterbroten. Es war die Liebe auf
den ersten Blick."
„Ich saß neben meiner Frau im Kino,"
erzählte Valentin. „Sie schluchzte so herz-
zerreißend, daß ich ihr mein Taschentuch
leihen mußte. Acht Tage später waren wir
verlobt."
„Die erste Begegnung mit meiner Frau
verlief allerdings ganz anders," berichtete
Karl. „Ich stand ruhig da, rauchte eine
Zigarette und dachte an nichts Besonderes.
Da kam sie von rückwärts, schlug mir mit
einem Stock den Lut vom Kopf und ver-
setzte mir einen so heftigen Stoß, daß ich
auf die Rase fiel. Dann warf sie sich auf
mich und preßte mich nieder, daß ich bei-
nahe erstickte."
„Das muß ja eine ganz gefährliche
Frau sein!" riefen die Freunde erschrocken
aus.
„Es ist nicht ganz so schlimm," entgeg-
nete Karl lächelnd. „Das arme Kind stand
eben zum erstenmal aus Skiern."
Stilblüte
„Bis aus den letzten Mann verteidigte
sich die mutige Schar, und dieser war so-
gar eine Frau!"
Eindeckung
„Wie kann man so fressen, Mensch?
Mit dem, was du bei diesem Festessen
vertilgst, komme ich drei Tage aus!"
„Ich auch!"
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"In Eile"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1939
Entstehungsdatum (normiert)
1934 - 1944
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 190.1939, Nr. 4889, S. 231
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg