Geschichten von Tante Paula
Else und Frieda, Tante Pau-
las Nichten, sind auf ein halbes
Jahr zu ihr ins Laus gekommen.
Die beiden jungen Mädchen
machen einen Ausbildungskurs
durch, und Tante Paula hat sich
gern erboten, sie bei sich einzu-
quartieren.
Else und Frieda haben zu-
sammen ein Zimmer bekommen.
Es ist ein schönes Zimmer, und
sie können zufrieden sein. Aber
da ist noch ein unbenutztes Frem-
denzimmer, und nun bittet Else:
„Gib mir doch ein Zimmer für
mich allein, Tantchen I Mal habe
ich abends länger zu arbeiten und
störe dann die Frieda, und mal
sitzt Frieda länger auf, und ich
möchte schon Ruhe haben."
„Ein Zimmer für dich allein?"
Tante Paula überlegt, aber dann
schüttelt sie mild ablehnend den
Kopf. „Nein, Kindchen, das geht
nicht! Sieh mal: Ich würde dir
ja gern den Gefallen tun, aber
dann würde doch Frieda kommen
und auch ein Zimmer für sich
haben wollen."
Das muß man Tante Paula
lassen: sie ist nicht wie viele Da-
men — und vielleicht noch mehr
Lerren! — ihres Alters den Fort-
schritten der Neuzeit abgeneigt.
O nein, sie freut sich über das
Neue, soweit es gut und ange-
nehm ist; sie kann sogar darüber
begeistert sein, und besonders vor
jeder technischen Errungenschaft
hat sie großen Respekt, auch wenn
sie persönlich gar nichts davon
hat. Aeberhaupt traut sie der
Technik die größten Wunder zu.
Kleines Anglück: Beim Früh-
stück fällt es Tante Paula ein,
daß ja heute der Schwager Fa-
bian in Königsberg sein 25jäh-
riges Geschäftsjubiläum feiert.
Daß sie diesen Tag vergessen konnte! So viele Gratulanten werden
sich einstellen, und auch die Post wird mancherlei bringen, aber von
ihr wird nichts dabei sein. Wie peinlich ist das!"
Aber halt — — vielleicht läßt sich noch etwas machen. Tante Paula
erinnert sich, einmal etwas von telegraphischen Blumenbestellungen
gehört zu haben. Also geht sie sofort
in das nächste Blumengeschäft.
Der Blumenmann bestätigt
ihre rettende Vermutung. „Ge-
wiß, meine Dame: eine telegra-
phische Bestellung können Sie in
Königsberg ausführen lassen; in
etwa zwei Stunden schon werden
die Blumen dort zugestellt. Was
soll es denn sein?"
Tante Paula sieht in dem
Laden einen schönen fertigen Blu-
menkorb. „Der ist wohl bestellt?"
„Leider nur irrtümlicher
Weise!" erklärt der Blumenmann
seufzend. „Jetzt sitze ich damit da."
„Aber das paßt ja großartig!"
freut sich Tante Paula. „Dann
nehme ich den Korb. Lassen Sie
ihn doch gleich nach Königsberg
telegraphieren!"
Acht Kannen Wasser
Besselmann hat sich schön
hochgearbeitet. Mit einem Amboß
fing er an, jetzt hat Besselmann
eine eigene Fabrik mit beinahe
hundert Arbeitern. Die Fabrik
geht glänzend, Besselmann kann
die Arbeit kaum bewältigen,
Besselmann ist stolz auf seine
Fabrik. Eines Tages kam nun
Besuch aus ASA. daher.
Der Besuch betrachtete Bes-
selmanns Eigentum.
„Well, ganz nett," sagte er
dann, „meine Fabrik aber ist viel
größer als deine — wieviel Ma-
schinen hast du?"
„Sechzig."
„Oh — ich habe zweihundert!
Wieviel Arbeiter hast du?"
„Lundert."
„Oh — ich habe fast tausend."
So ging das in einem Tone
fort. Besselmann stiegen die
Grausbirnen auf. And er schickte
heimlich einen Zettel ins Kessel-
haus.FünfMinuten später erschie-
nen acht Arbeiter. Zeder trug eine schwere und große Kanne Wasser.
Der Amerikaner schaute verwundert: „Oh — wozu brauchst du das
viele Wasser?" — „Für meine Geschäftskorrespondenz."
„Für deine Korrespondenz?"
„Ja. Zum Anfeuchten der Briefmarken."
„Können Sie mir über jene junge Dame nähere Auskunft geben?"
Ein Ma n n sucht einen Brief
Ein Mann, der seiner Tante schreiben wollte
(es muß nicht gerade eine Tante sein),
weil sie ihm wegen seines Schweigens grollte,
befand sich alsbald in der größten Pein.
Er sucht’ den Brief von ihr, den er wo hatte,
doch war er ohne Ahnung, wo es war.
Er saß zunächst vor seiner Schreibtischplatte
besinnlich kratzend Nase, Bart und Haar.
Der Brief?! — Ob ich ihn in der alten Tasche . . ?
Ob er vielleicht in der Nommode dort . . ?
Ob er es war, der neulich in der Asche . . ?
Mein Gott, der Brief, der dumme Brief ist fort!
Der Mann durchsuchte Stoße von Papieren
und fand zu seinem Staunen mancherlei,
was er schon lang vermißt — auf allen Vieren
kroch er zuletzt in stummer Raserei
von Schrank zu Schrank und suchte in den Ecken
(und fand viel Dreck), den Brief, den fand er nicht.
Spät nachts mußt* er erschöpft die Waffen strecken
Und ging zu Bett mit bitterem Gesicht.
Doch hoffte er bei sich so ganz im stillen,
zu träumen, wo der Brief verborgen sei,
und dachte innig: Traum, sei mir zu Willen
und mach ein Ende dieser Quälerei!
Und siehe, beim Erwachen früh um sieben
war ihm der Platz des Briefes zwar nicht klar,
doch hatte er im Traum Antwort geschrieben,
womit der Fall für ihn erledigt war. R. S. S.
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Else und Frieda, Tante Pau-
las Nichten, sind auf ein halbes
Jahr zu ihr ins Laus gekommen.
Die beiden jungen Mädchen
machen einen Ausbildungskurs
durch, und Tante Paula hat sich
gern erboten, sie bei sich einzu-
quartieren.
Else und Frieda haben zu-
sammen ein Zimmer bekommen.
Es ist ein schönes Zimmer, und
sie können zufrieden sein. Aber
da ist noch ein unbenutztes Frem-
denzimmer, und nun bittet Else:
„Gib mir doch ein Zimmer für
mich allein, Tantchen I Mal habe
ich abends länger zu arbeiten und
störe dann die Frieda, und mal
sitzt Frieda länger auf, und ich
möchte schon Ruhe haben."
„Ein Zimmer für dich allein?"
Tante Paula überlegt, aber dann
schüttelt sie mild ablehnend den
Kopf. „Nein, Kindchen, das geht
nicht! Sieh mal: Ich würde dir
ja gern den Gefallen tun, aber
dann würde doch Frieda kommen
und auch ein Zimmer für sich
haben wollen."
Das muß man Tante Paula
lassen: sie ist nicht wie viele Da-
men — und vielleicht noch mehr
Lerren! — ihres Alters den Fort-
schritten der Neuzeit abgeneigt.
O nein, sie freut sich über das
Neue, soweit es gut und ange-
nehm ist; sie kann sogar darüber
begeistert sein, und besonders vor
jeder technischen Errungenschaft
hat sie großen Respekt, auch wenn
sie persönlich gar nichts davon
hat. Aeberhaupt traut sie der
Technik die größten Wunder zu.
Kleines Anglück: Beim Früh-
stück fällt es Tante Paula ein,
daß ja heute der Schwager Fa-
bian in Königsberg sein 25jäh-
riges Geschäftsjubiläum feiert.
Daß sie diesen Tag vergessen konnte! So viele Gratulanten werden
sich einstellen, und auch die Post wird mancherlei bringen, aber von
ihr wird nichts dabei sein. Wie peinlich ist das!"
Aber halt — — vielleicht läßt sich noch etwas machen. Tante Paula
erinnert sich, einmal etwas von telegraphischen Blumenbestellungen
gehört zu haben. Also geht sie sofort
in das nächste Blumengeschäft.
Der Blumenmann bestätigt
ihre rettende Vermutung. „Ge-
wiß, meine Dame: eine telegra-
phische Bestellung können Sie in
Königsberg ausführen lassen; in
etwa zwei Stunden schon werden
die Blumen dort zugestellt. Was
soll es denn sein?"
Tante Paula sieht in dem
Laden einen schönen fertigen Blu-
menkorb. „Der ist wohl bestellt?"
„Leider nur irrtümlicher
Weise!" erklärt der Blumenmann
seufzend. „Jetzt sitze ich damit da."
„Aber das paßt ja großartig!"
freut sich Tante Paula. „Dann
nehme ich den Korb. Lassen Sie
ihn doch gleich nach Königsberg
telegraphieren!"
Acht Kannen Wasser
Besselmann hat sich schön
hochgearbeitet. Mit einem Amboß
fing er an, jetzt hat Besselmann
eine eigene Fabrik mit beinahe
hundert Arbeitern. Die Fabrik
geht glänzend, Besselmann kann
die Arbeit kaum bewältigen,
Besselmann ist stolz auf seine
Fabrik. Eines Tages kam nun
Besuch aus ASA. daher.
Der Besuch betrachtete Bes-
selmanns Eigentum.
„Well, ganz nett," sagte er
dann, „meine Fabrik aber ist viel
größer als deine — wieviel Ma-
schinen hast du?"
„Sechzig."
„Oh — ich habe zweihundert!
Wieviel Arbeiter hast du?"
„Lundert."
„Oh — ich habe fast tausend."
So ging das in einem Tone
fort. Besselmann stiegen die
Grausbirnen auf. And er schickte
heimlich einen Zettel ins Kessel-
haus.FünfMinuten später erschie-
nen acht Arbeiter. Zeder trug eine schwere und große Kanne Wasser.
Der Amerikaner schaute verwundert: „Oh — wozu brauchst du das
viele Wasser?" — „Für meine Geschäftskorrespondenz."
„Für deine Korrespondenz?"
„Ja. Zum Anfeuchten der Briefmarken."
„Können Sie mir über jene junge Dame nähere Auskunft geben?"
Ein Ma n n sucht einen Brief
Ein Mann, der seiner Tante schreiben wollte
(es muß nicht gerade eine Tante sein),
weil sie ihm wegen seines Schweigens grollte,
befand sich alsbald in der größten Pein.
Er sucht’ den Brief von ihr, den er wo hatte,
doch war er ohne Ahnung, wo es war.
Er saß zunächst vor seiner Schreibtischplatte
besinnlich kratzend Nase, Bart und Haar.
Der Brief?! — Ob ich ihn in der alten Tasche . . ?
Ob er vielleicht in der Nommode dort . . ?
Ob er es war, der neulich in der Asche . . ?
Mein Gott, der Brief, der dumme Brief ist fort!
Der Mann durchsuchte Stoße von Papieren
und fand zu seinem Staunen mancherlei,
was er schon lang vermißt — auf allen Vieren
kroch er zuletzt in stummer Raserei
von Schrank zu Schrank und suchte in den Ecken
(und fand viel Dreck), den Brief, den fand er nicht.
Spät nachts mußt* er erschöpft die Waffen strecken
Und ging zu Bett mit bitterem Gesicht.
Doch hoffte er bei sich so ganz im stillen,
zu träumen, wo der Brief verborgen sei,
und dachte innig: Traum, sei mir zu Willen
und mach ein Ende dieser Quälerei!
Und siehe, beim Erwachen früh um sieben
war ihm der Platz des Briefes zwar nicht klar,
doch hatte er im Traum Antwort geschrieben,
womit der Fall für ihn erledigt war. R. S. S.
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Können Sie mir über jene junge Dame nähere Auskunft geben?"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1939
Entstehungsdatum (normiert)
1934 - 1944
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 190.1939, Nr. 4891, S. 263
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg